Sonntag, September 19, 2010

Hässliche Fratze Rock ’n’ Roll

Solo. Kreisch! Solo: Axl Rose und Guns N’ Roses gastierten in der Wiener Stadthalle.

Am Aufgang zur Bühne wurde jede Stufe einzeln gewischt. Nicht auszudenken, wenn Axl Rose ausgerutscht und gefallen wäre, sich den kleinen Zeh verstaucht hätte oder den Ellenbogen. Der Mann hat, wie man weiß, die Bodenhaftung bereits wegen viel weniger verloren. Am Parkett markierten orange Pfeile den Weg. Sie sagten: „Gerade aus, Axl“, „Jetzt nach rechts“ und „Hier bitte stehen bleiben. Gefahr! Das ist der Bühnenrand.“

Dass sich der Samstagabend in der Wiener Stadthalle etwas in die Länge ziehen würde, war spätestens klar, als die Vorband erst um halb neun ihren Dienst aufnahm und nicht mehr aufhören wollte zu spielen. Die aus Sattledt stammende Formation erwies sich als fast so gestrig wie Guns N’ Roses, war aber um drei Jahrzehnte jünger. Sie spielt demnächst in Bad Wimsbach-Neydharting und charmierte ihr Publikum mit der in Oberösterreich nur selten gehörten Liebesbekundung: „You’re so beautiful.“

Models und Al-Kaida-Bart

Axl Rose betrat die Bühne dann gegen halb elf und wurde allein für den Umstand gefeiert, dass er noch lebt. Seitlich hinter der Bühne tanzten Models herum und filmten einander. Sie wiederum wurden von Männern gefilmt, die sich am ersten Rang von ihren Freunden filmen ließen, wie sie die Models filmten. Die Models waren auch wirklich schöner anzusehen als die unfrisierte Begleitband, die Axl Rose derzeit als Guns N’ Roses mit im Gepäck führt. Drei Musiker spielten gleichzeitig Gitarre, einer von ihnen kopierte Slash mit lässig im Mundwinkel hängender Zigarette und Hut. Ein anderer spielte die Doppelhalsgitarre und trug einen sichtlich von Al-Kaida-Sprengmeistern inspirierten Vollbart, der dritte war stark tätowiert. Was ein Konzert von Guns N’ Roses nämlich zuallererst beweisen will: Nice boys don’t play Rock ’n’ Roll! Der Rock ’n’ Roll hat eine hässliche Fratze und stinkt. Kein Geschmack und schlechte Laune für jeden!

Der lange Weg zu diesem Konzert übrigens: In den späten Achtzigerjahren und ganz am Anfang der Neunziger waren Guns N’ Roses mit Alben wie „Appetite For Destruction“ und dem doppelten Doppelalbum „Use Your Illusion“ als Weltstars des Hardrock mindestens unkaputtbar. Dann machten Axls Allüren alles sehr kompliziert. Nach dem Coveralbum „The Spaghetti Incident“ aus 1993 wurde zwar jährlich neues Material versprochen, die Veröffentlichung desselben aber genauso oft wieder verschoben. Das Album wurde zum Running Gag der Branche, bis es im Jahr 2008 unter dem Titel „Chinese Democracy“ tatsächlich erschien. Kolportierte 16 Millionen US-Dollar soll der langwierige Entstehungsprozess verschlungen haben, dazu eine Armada von Produzenten und Gitarristen.

Nostalgie und Konfettiregen

Die neuen Lieder wurden in der ausverkauften Stadthalle nun auch zur Kenntnis genommen. Axl Rose zeigte sich mit Feuerzeugballaden wie „Sorry“ und „This I Love“ von seiner kuschelweichen Seite. Richtig Stimmung kam nur bei den größten Hits auf, etwa bei einer gar nicht so üblen Zehminutenversion von „November Rain“, bei der Rose seine nicht mehr vorhanden geglaubte Stimme kurz wiederfand. „Welcome To The Jungle“, „Paradise City“ und „Sweet Child o’ Mine“ machten dem Publikum große Freude und punkteten mit nostalgischem Mehrwert. Der Rest waren Lieder über Vollsuff, Drogenspaß und „sexy time“. Scotch, Whiskey, Heroin – egal, Hauptsache gut eing’spritzt. Those were the days.

Axl Rose verschwand bei jedem Solo – und davon gab es viele –, hinter der Bühne. Einmal wollte er lustig sein, aber das hat nicht funktioniert. Nach einem Bad im Konfettiregen ging es um drei viertel eins zügig nach Hause. Toll, Wien hat jetzt auch eine Nacht-U-Bahn!

(Wiener Zeitung, 21.9.2010)

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