Freitag, September 17, 2010

"Wo sind wir da gelandet?"

Die Austrian Music Awards wurden verliehen: Randnotizen aus der Wiener Stadthalle

Geht man davon aus, dass der Amadeus, Österreichs einziger und wichtigster Musikpreis, historisch gesehen nicht so ganz ernst genommen wird, so hat die Veranstaltung in Michael Ostrowski den perfekten Moderator gefunden. Der Schauspieler ("Contact High", "Nacktschnecken") setzt in seiner Rolle als abgehalfterter wie akut notgeiler Entertainment-Veteran in zwischen Villacher Fasching und Andy Borg pendelnden Ansagen auf ironischen Bruch und schlechten Altherrenwitz: Wir mögen uns heute zwar in der Halle D der Wiener Stadthalle eingefunden haben. Allerdings stellt Ostrowski alias Schallbert Gilet gleich eingangs die entscheidende Frage. Sie lautet: "Wo sind wir da gelandet?!"

Freibier und Stoffmangel


Schließlich hat der Amadeus als durchaus um Anspruch und Bedeutung, also auch Oberflächenglanz und Red Carpet bemühte Abendgala längst den Status eines Gesellschaftsevents. Wer es geschafft hat, sich an Männern in Mackerpose und den sie behübschenden Frauen mit zu hohen Stilettos und Stoffdefizit am Restkörper vorbei zu schummeln, findet sich im Foyer also zwischen Richard Lugner und seinem Schwiegermopp wieder.

Auch Wolfgang Amadeus Fellner ist dabei. Das Mausi plärrt in die Kamera, dazwischen wuseln vor allem sich selbst wichtig nehmende Herren zum Telefonieren in Richtung Ausgang. Es könnte Barack Obama sein oder der Papst. "Ist das Bier gratis? Dann gib mir gleich drei."

Vorbei an einer Soirée, die den auf "casual smart" gestellten Dresscode recht unterschiedlich und bis hin zu wie Kartoffelsäcke aussehenden Designerfetzen mit dem geschätzten Wert eines Mittelklassewagens interpretiert, erleben wir den Amadeus heuer als bei der Peter Alexander Show angelehnten Abend mit Hang zum subversiven Element.

Peter Hörmanseder von der Gruppe maschek mimt den Bundespräsidenten, während sich das Erste Wiener Heimorgelorchester als Pepe-Lienhard-Band 2.0 erweist. Das ist gut. Einzig die in den Kategorien "Volkstümliche Musik" und "Schlager" ausgezeichneten Klostertaler und Semino Rossi müssten auf Schallbert Gilet für die auf ihr Genre bezogenen Kalauer mit körperlicher Gewalt reagieren. Wie es sich für das Fach gehört, setzt es aber bloß ein Lächeln, herzlichen Dank – und alles Liebe.

Ballermann und Hüttengaudi

Dazwischen und danach singen Seal und Wir Sind Helden als internationaler Aufputz jeweils ein Lied. Anna F. ist mit "Jimmy Page" dabei. Leider heißt nur der Song so. Wer Charlee sein soll, weiß eigentlich niemand. Sie singt "Boy Like You" und stellt die Vorzeichen auf Gangbang. Schallbert Gilet ist begeistert und spricht vom Amadeus als erotischstem Musikpreis des Landes.

Die sich um das seit gefühlten zehn Jahren totgeglaubte Drum-’n’-Bass-Genre kümmernden Camo & Krooked bewegen sich gemeinsam mit den Schwermetallern von Boon sowie den Jungen Zillertalern zwischen Ballermann und Hüttengaudi. Das kann man sich nicht anhören, egal, der FM4-Alternative-Award geht sich für das Duo auch so aus. Die Sofa Surfers wundern sich über den Amadeus in der Kategorie "Electronic/Dance". Ihr Album "Blindside" ist zuletzt rocklastig ausgefallen. Hans Theessink schickt seine Frau, er selbst spielt heute in Edinburgh. Marianne Mendt ehrt Toni Stricker.

Als große Sieger des Abends gehen Anna F., Bauchklang und Skero mit je zwei Preisen nach Hause. Um also mit Schallbert Gilet zu resümieren. "Alter Vater! Ich scheiß’ mich an."

(Wiener Zeitung, 18./19.9.2010)

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