Montag, September 13, 2010

Traurigsein ist keine Kunst

Mark Oliver Everett und seine Eels in der Wiener Arena

Dass das Leben mitunter so einfach nicht ist, beklagte Mark Oliver Everett alias E schon als Solokünstler. Ein erster Gruß an den Alltag da draußen, der bis heute auch den Großteil seiner Arbeit als Vorstand der Eels zusammenhält, wurde im Jahr 1992 formuliert. Er lautet, knapp und präzise: "Hello cruel world!"

Nachdem E binnen zwei Jahren Schwester und Mutter verloren hatte, ging es bei den Eels aber spätestens auf dem Album "Electro-Shock Blues" im Jahr 1998 auch um persönliche Trauerarbeit. Everetts Lieder wurden dabei Zeugnis einer existenziellen Erkenntnis: Aller Ungerechtigkeit zum Trotz kann, soll und muss es weitergehen. Nur wie?

Auf dem Open-Air-Areal der Wiener Arena liegt die Antwort im Blues. Der meint zunächst den bloßen Gemütszustand und bringt zur traurig aufheulenden Steel-Gitarre mit "End Times" und "Little Bird" zwei Lamentos aus schlechten Tagen. "Right now I can’t see makin’ sense of the world", singt Everett an einer für sein Werk synonym stehenden Stelle, und: "I don’t feel nothing now / not even fear / now that end times are near."

Während sich das Publikum also gerade daran gewöhnt hätte, zu Herzschmerzballaden ins Bier zu weinen, ist auf eins, zwei, dresch aber alles schon wieder ganz anders. Mit seinen vier Kollegen an Gitarren, Bass und Schlagzeug geht es bald darum, einen in Blues getränkten Rock’n’ Roll aufzufahren, der in seiner klugen Ausformung wahlweise bei Bob Dylan und Tom Waits andockt oder nach schwindeligen Bad Seeds am Ende einer Sauftour klingt. Songs wie "Prizefighter" oder der wüste Stampfer "Tremendous Dynamite" stellen die Vorzeichen auf kathartischen Veitstanz. In seinen zuversichtlicheren Momenten ist E als bärtiger Kauz nämlich schon auch gerne ein Werwolf auf der Suche nach frischem Blut. "I am the hombre lobo / on the prowl just past midnight!"

Während sich der 47-Jährige mit "Spectacular Girl" live sehr nahe an Neil Young in dessen Phase um "On The Beach" bewegt und "Beloved Monster" mit angejazztem Funk umgedeutet wird, überrascht Everett vor allem in einer Hinsicht: Er unterwandert die Erwartungshaltung des Publikums mit außen vor gelassenen Hits und verulknudelt ausgerechnet "Mr. E’s Beautiful Blues" als Kreuzung aus "Twist and Shout" und "La Bamba".

Denn Traurigsein ist keine Kunst. Traurigsein kann jeder. Schwer ist nur der Aufbruch. Insofern hat sich E mit diesem Konzert selbst einen Gefallen getan.

(Wiener Zeitung, 14.9.2010)

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