Mamma mia: Goldfrapp brachten ihr zuletzt um Abba erweitertes Oeuvre nach Wien
Kundenbindung erfordert – neben etlichen anderen Komponenten – vor allem Kontinuität. Man weiß es aus dem Handel und dem Dienstleistungsgewerbe: Der Kunde will sich verlassen können. Legt man dieses Gesetz auf die Unterhaltungsindustrie um, so haben es Goldfrapp ihren Fans nie allzu leicht gemacht.
Als die Band zum Millennium debütierte, begeisterte sie mit einem betörend eklektischen Amalgam. Auf "Felt Mountain" verbanden sich die Nachwehen des Trip-Hop-Genres mit den Harmonien Ennio Morricones und dem Wissen der Band um das Werk Shirley Basseys zu einer sinnlichen, filmmusikähnlichen Wundertüte. Daniel Millers renommiertes Mute-Label schien damit einen weiteren Coup gelandet zu haben. Immerhin wurde dem von Mastermind Will Gregory im Hintergrund gezimmerten Edelpop mit der an der Selbstvermarktungs- und Bühnenfront Schwerarbeit leistenden Alison Goldfrapp auch ein schillerndes Antlitz verliehen. Diesbezüglich hatte sich die Sängerin schon einst an der Kunsthochschule fortgebildet.
Auf Album Nummer zwei war aber auch aufgrund schlechter Verkaufszahlen wieder alles anders. Das Duo überraschte mit aus keuchenden Maschinen geschwitztem Elektro-Pop, der über die Beigabe von reichlich Glam spätestens mit "Supernature" 2005 in der Disco landete. Damit beeindruckten Goldfrapp die alte Madonna erheblich. Pünktlich zur Mittlebenskrise beschloss diese, ihre Spandexhose aus dem begehbaren Wandschrank ihrer New Yorker Loftbude zu holen und uns alle noch einmal zu rocken. Goldfrapp selbst vergönnten sich eine Verschnaufpause im Fach des introspektiven Breitwand-Folks, aus der sie heuer mit "Head First" geschmacklich nicht nur etwas verwirrt wiederkehrten.
Wie man am Mittwoch im schlecht gefüllten Gasometer hören und vor allem sehen konnte, beruft sich die Band neuerdings auf Abba und Olivia Newton-John – aus deren Hit "Physical" sie einst eine tatsächlich geniale Cover-Version gebastelt hatte – sowie Italo-Disco und die Ästhetik des 70er-Jahre-Glamrock. Vor einer überdimensionierten Lautsprechermembran als Bühnendekor sah man die Musiker als fleischgewordene, von Dauerwelle und überstrapaziertem Glätteisen- wie Haarspray-Gebrauch sichtlich gezeichnete Frisurprobleme.
In flotten Spacerock-Kostümen für etwaige Orion-Ausflüge samt für draußen im All deutlich zu brusthaarbetonter V-Ausschnitte, verrichtete die vierköpfige Band ihren Dienst vornehmlich nach Vorschrift. Alison Goldfrapp, die in scheinbar aus alten Kassettenbändern geschneiderter Arbeitskleidung an einen Vogel Strauß als Dancing Queen erinnerte, erschien später noch im Federnkleid und abschließend im pinken Zottelfelljäckchen. Davor beklagte sie Stimmprobleme, von denen man zwar nichts hören konnte, aufgrund derer das Set aber jedenfalls auf leider, leider nur dreizehn Songs gestutzt werden musste.
Zu auf zuckerlrosa eingestellten Beleuchtungskörpern und mit Umhängekeyboards, die bei als kommerzielle Wegwerfprodukte konzipierten Songs wie "Rocket" oder "I Wanna Life" den gemeinen Van-Halen-Pomp imitierten, setzte es "Head First" fast zur Gänze. Daraus gingen zurückgenommenere Stücke wie "Hunt" oder das schwebende "Dreaming" am ehesten durch. Neben betont erotisierten Synthie-Peitschern wie "Ooh La La" oder "Strict Machine" leisteten sich Goldfrapp mit den psychedelischen Instrumentalpassagen von "Little Bird" nur einen stilistischen Ausreißer.
Der Rest sollte Pop sein und Disco. In der Disco ist bekanntlich alles erlaubt. Man braucht sich dort für gar nichts zu schämen. In diesem Sinne: Dankschön für die Musi!
(Wiener Zeitung, 15.10.2010)
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