Hercules and Love Affair erweitern auf Album Nummer zwei ihren Sound, ohne sich neu zu erfinden.
Vor drei Jahren tauchten Hercules and Love Affair einigermaßen aus dem Nichts auf. Das Erweckungsereignis fand in den Clubs statt und wurde von pumpenden Disco-Bässen eingeläutet, zu denen sich die geschlechtslose, wunderwuzzistische Ausnahmestimme Antony Hegartys (Antony and the Johnsons) gesellte, die man bis dahin vor allem von zum Heulen schönen Klavierballaden her kannte.
Wenig später war das Projekt des in Denver aufgewachsenen Produzenten Andrew Butler aber schon in aller Munde. Schließlich klang das selbstbetitelte, im Frühling des Jahres 2008 veröffentlichte Debütalbum nicht nur schlichtweg fantastisch. Für das nicht zuletzt von Imagefaktoren und Trademarksfirlefanz dominierte System Pop nicht ganz unwesentlich, erschien die Arbeit auch noch auf dem New Yorker "It"-Label DFA Records, das die sogenannten Nullerjahre mit dem Dancefloor-Punk von The Rapture eingeläutet hatte und diesen mit seinem Haus- und Hof-Signing LCD Soundsystem endgültig in Stein meißelte.
Dekadente Orgien
Für den Label-Sound ungewohnt, katapultierten sich Hercules and Love Affair als bunter Trupp schillernder Gastsängerinnen und Gastsänger rund um Butler an die Speerspitze des grassierenden Discofiebers, das sich recht überraschend in einer Renaissance des 70er-Jahre-Genres als "Neo-Disco" veräußerte. Überraschend deshalb, weil Disco – relativ unabhängig von Stimmungslage und Trendbarometern – lange Zeit über als definitiv uncool galt.
Während sich Butler wenig um diesen Umstand scherte und bereits seine DJ-Karriere dem Genre Disco und House, dessen Derivat Nummer eins, widmete, wandelte er mit seinem Bandprojekt clubtauglich wie wohnzimmerfreundlich entlang der Grenzlinie zwischen Song und Track. Wie der Bandname, Songs wie "Athene" und "Iris" oder in der Römersauna angesiedelte Musikvideos untermauerten, lud Butler die dieser Tanzmusik inhärente, dekadente Orgienmysterien-Ästhetik mit dem Gestus der griechischen Antike auf, wobei die Musik einen entscheidenden Umstand mit Nachdruck betonte: Trotz der damit zu erreichenden Verbrüderung beim gemeinschaftlichen Tanz durch die Nacht, in der man vergessen soll, dass auch morgen wieder ein Tag beginnt, wohnt guter Popmusik auch in ihrem euphorischsten Moment immer noch ein Hauch von Melancholie inne. Wie es im Überhit Blind so schön heißt: "As a child, I knew / that the stars could only get brighter / and we would get closer / get closer" . Und: "I wish the light could shine now / For it is closer, it is near / But it will not present my present / and it makes my past and future painfully clear."
Ganz nebenbei schwangen sich Hercules and Love Affair damit auch zu Ikonen der Queer-Community empor. Die diesbezügliche, identitätsstiftende Wirkung von Disco kann historisch gesehen bereits an den Karrieren von Diven wie Donna Summer (und deren von Synthie-Zampano Giorgio Moroder produziertem Alltime-Hit "I Feel Love") oder Diana Ross abgelesen werden.
Während die Formalismen dieser "Genremusik" – und ewig pumpen die Bässe! – später auch noch mit ganz anderen Bands in den Charts auftauchen sollten (man erinnere sich etwa an das dritte Album von Franz Ferdinand), war die Arbeit am Nachfolger für Butler von Veränderungen geprägt. Nach anfänglichen und nun nur teilweise bestätigten Gerüchten über eine stilistische Neuausrichtung und dem Austausch quasi aller am Debüt beteiligten Mitstreiter, brachte der Wechsel von DFA Records zum Londoner Label Moshi Moshi Records auch den Abgang von Produzent Tim Goldsworthy mit sich.
Ersatz für diesen fand Butler mit Mark Pistel, der sich zuvor etwa für Meat Beat Manifesto verdingte, sowie dem in Wien ansässigen Tausendsassa Patrick Pulsinger, den man hierzulande vor allem als Labelgründer, DJ und Host der FM4-Sendung "La Boum de Luxe" und international neben eigenen Arbeiten auch für seine Produktionstätigkeit (u.a. für den britischen Barden Patrick Wolf) kennt und schätzt.
Unter diesen Vorzeichen klingt der Beginn des nächste Woche erscheinenden Zweitlings mit dem Titel "Blue Songs" erstaunlich vertraut. "Painted Eyes" bittet mit seiner ohrwurmtauglichen Streichermelodie in klassischer "Blind"-Manier zum Tanz, dazu orientiert sich "My House" mitsamt seinen Scat-Einlagen offenkundig am House-Sound der 2009er-Single "You Belong". Die Grandezza, mit der sich Butler durch die repetitiv-eingängig gestalteten Strukturen vorarbeitet, fegt den solchermaßen naheliegenden Verdacht eines zweiten, womöglich lauwarmen Aufgusses allerdings ratzfatz vom Tisch.
Während die Vorgaben von Disco und House mit Stücken wie "Falling" oder dem von Bloc-Party-Vorstand Kele Ukereke gesungenen "Step Up" durchdekliniert werden, ohne bei Rückgriffen auf fachspezifische Charakteristika überzeichnet zu wirken, öffnet sich Butler mit "Answers Come In Dreams" für den unterkühlten Funk einer Grace Jones, bevor diese von den Dorfdisco-Bühnen der Welt gebuht wurde. Süßlich verklebt, verträumt und entrückt wiederum wagt sich "Leonora" vor allem im Refrain in Richtung eines wohl von den Pet Shop Boys inspirierten Popentwurfs vor.
Die Bläser, die durch weite Teile des Albums tröten, verschmelzen bei "Boy Blue" mit akustischen Gitarren und pulsierendem Elektroblubbern zu einer melodramatischen Ambientcollage. Und nebenbei knarzt sich das wunderbar monotone "I Can’t Wait" mehrmals um die eigene Achse.
Dem grundsätzlich feinfühlig-sensiblen Gestus von Hercules and Love Affair wird mit "Visitor" ein Gegenentwurf nebenangestellt, dessen von Testosteronüberschuss kundender Sound sich naturgemäß in technoiden Gefilden verortet, ehe "It’s Alright" dem gleichnamigen Chicago-House-Prototypen von Sterling Void ein Denkmal errichtet. Von Butler mit hallverhangenen Mollakkorden am Klavier dekonstruiert, endet das Album zwischen verwischter Erinnerung und einer diffusen Vorahnung: Gestern war groß. Morgen wird größer.
Hercules and Love Affair treten am 22. Jänner beim FM4-Fest in der Wiener Arena auf. (Veröffentlichung des Albums am 28. Jänner 2011)
Hercules and Love Affair: Blue Songs. (Moshi Moshi Records / Universal Music)
(Wiener Zeitung, 22./23.1.2011)
Freitag, Januar 21, 2011
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