2011 findet der Protestsongcontest zum achten Mal statt – als Protestmedium hat Popmusik an Kraft eingebüßt
- Geburt des Rock’n’ Roll lieferte dem Aufbegehren einen Soundtrack.
- Punk und Hip-Hop artikulierten sich scharf.
- Heute ist alles sehr kompliziert. Ein Streifzug.
Am 5. Juli des Jahres 1954 betrat Elvis Presley das Studio von Sun Records in Memphis, Tennessee. Wie die Legende besagt, waren die Aufnahme-Sessions, während derer sich Elvis an Country-Songs und Balladen versuchte, bereits im Scheitern begriffen, als der Sänger in einer Pause "It’s All Right Mama" anstimmte. In einer Zeit, in der schwarze und weiße Musiken streng voneinander abgegrenzt waren, interpretierte er den Song des Bluesgitarristen Arthur "Big Boy" Crudup neu – und erfand dabei nichts weniger als den Rock’n’ Roll.
Damit war der Grundstein für den Siegeszug populärer Musik gelegt. Und Elvis erklärte, dass mit dieser Musik nicht nur die Mädchen zum Kreischen gebracht werden konnten. Von dieser Nebenwirkung, die über einen ekstatischen, körperbetonten Beat in Richtung sexuelle Revolution deutete, einmal abgesehen: Man konnte damit vor allem die Alten ärgern. Das Wichtigste an Pop seit mindestens immer: Distinktion! Wir, das sind die anderen – eine Unterscheidung, die vor allem dann wichtig wird, wenn es Kämpfe zu schlagen gilt.
Und immerhin ging es in den 50er Jahren noch darum, die Nachkriegswelt neu zu ordnen. Während die Hippies später eine entscheidende Frage an ihre Elterngeneration richten sollten – Was habt ihr eigentlich im Krieg gemacht? –, war der frühe Rock’n’ Roll viel weniger auf politische Botschaften aus, als er bereits in seiner musikalischen Breitenwirkung zu gesellschaftspolitischen Umwälzungen beitrug.
Flower-Power vs. Wut auf alle
Die Zusammenführung von schwarzer und weißer Musik rief in den von "Rassentrennung" und Bürgerrechtsbewegung bestimmten USA die Reaktion auf den Plan. In Europa standen die Konservativen vor folgendem Dilemma: Der erste globale Star der von ihnen als "Negermusik" verunglimpften Strömung war weiß! Und er war beileibe kein Antichrist. Der adrette und charmante junge Mann war während seines ohne Allüren absolvierten Wehrdienstes sogar der Held seiner Ausbildner und sammelte als solcher zahlreiche Belobigungen. Verrückte Jugend? Verrückte Welt.. .
Als der Kalte Krieg die Tagespolitik bestimmte beziehungsweise die USA mit dem Vietnamkrieg in ein Debakel schlitterten, definierte die Flower-Power-Bewegung den Begriff der Rebellion "radikal" neu: Anstatt gewalttätige Ausschreitungen anzuzetteln, setzten die Hippies dem Schrecken der Welt die Ideale einer friedlichen Gesellschaft entgegen. Musikalisch bemühte man sich nicht zuletzt an der Wandergitarre um poetische Töne. Die Hochphase des Protestsongs der 60er Jahre berief sich auf die Traditionen der (auch politisch aktiven) Folkveteranen Pete Seeger und Woody Guthrie. Als Bob Dylan vom Folk abrückte, um sich der Rockmusik zuzuwenden, wurde er – wenn man so will – selbst zum Opfer des Protests. Immerhin vergraulte sein Griff zur elektrischen Gitarre das auf Konventionen bedachte Publikum des Newport Folk Festivals. Was für Dylan mit Buhrufen begann, war nichts weniger als die Initialzündung für seine zweite Karriere – mit der er zudem ein sinkendes Schiff verließ, als dessen Teil er sich ohnehin selbst nie sah. Auf den "Summer of Love" folgte der große Kater der Hippie-Bewegung, deren Ende nicht zuletzt mit dem Altamont Free Concert im Jahr 1969 begann, auf dem die mit Security-Agenden bedachten Hells Angels einen Konzertbesucher erstachen.
Ästhetischer Protest
Auch die Genese einzelner Genres muss unter dem Blickwinkel des Protests betrachtet werden. Punk etwa richtete sich in seinem Nihilismus nicht nur gegen alles, die Queen und das Establishment, sondern war vor allem als ästhetische Antithese zu verstehen. Die Musik, die in ihrer einfachen Ausformung auf Basis dreier Akkorde von jedermann ausgeübt werden konnte, reagierte auf den angeschwollenen Dekadenrock, während die Punks mit ihrem Groll den feindseligen Kontrapunkt zu den friedvollen Hippies markierten – und diesen den Mittelfinger entgegenstreckten.
Wenn Punk in der Diskussion um das etwaige Neo-Biedermeier der Jetztzeit als "Wir waren noch wild früher!" ins Spiel gebracht wird, muss aber schon auch auf eines verwiesen werden: Wie die Authentizität in der Popkultur in vielen Belangen von zweifelhafter Natur ist, wähnte der im Vorjahr verstorbene Ex-Manager der Sex Pistols, Malcolm McLaren, Punk zuvorderst als Moderevolution – und die Sex Pistols bloß als seine Marionetten.
Rave, Techno und spätere Derivate der Clubmusik revolutionierten dann vor allem die Party- und Drogenszene. Hip-Hop, als afroamerikanische Spoken-Word-Kultur in Sachen Gegenkultur prädestiniert und dank wortmächtiger Vertreter von Public Enemy bis hin zum New Yorker Underground-Poeten Saul Williams in den Nischen lebendig, wird von der breiten Öffentlichkeit aber schon lange nur mehr über rappende Pornoproduzenten wahrgenommen, die im Fernsehen ihren Reichtum zur Schau stellen.
Distinktion ist darüber hinaus schwierig geworden. In der Postmoderne ("Anything goes!") wurde mit stilistischen Brückenschlägen erklärt, dass alles möglich sei. Viele glauben das auch, und die Dogmatik hat abgenommen. Die permanente Verfügbarkeit von Pop wiederum hat die Musik entwertet, und an gleichmachenden Kanälen wie Myspace führt kaum ein Weg vorbei. Was in den sozialen Netzwerken herrscht, ist ein Neben- und Miteinander der Künstler, das ein Gegeneinander zumindest erschweren dürfte.
Schwindende Zielscheiben
Retrobands sämtlicher Genres begeistern die Jugend mit der Musik ihrer Eltern. Und die Eltern selbst sind auch nicht mehr, was sie einmal waren. Noch mit 60 gehen sie länger aus als die Jugend; was ein iPod ist, wissen sie nicht nur – sie haben auch selbst einen. Mit wachsendem Wohlstand und der Liberalisierung der Gesellschaft verlor der Protest wichtige Zielscheiben. Und wer sich dem Protest vorrangig widmet, wird von der Öffentlichkeit kritisch beäugt.
Dem spanisch-französischen Globalisierungskritiker Manu Chao etwa wird bisweilen die Glaubwürdigkeit abgesprochen, weil er seine Musik nicht nur am Rande von Demonstrationen zum G8-Gipfel aufführte, sondern sie auch über ein multinationales Major-Label veröffentlicht. Die vor Jahren für ihre erfrischende Angriffslust zu Recht gelobte britisch-tamilische Rapperin Mathangi "Maya" Arulpragasam alias M.I.A. wiederum ereilte ein ähnliches Schicksal, als sie im Vorjahr einen amerikanischen Millionär ehelichte. Seither funktioniert die Rezeption ihres Werks über den Begriff des "Radical Chic".
Neil Young hat Ronald Reagan übrigens auch einmal toll gefunden. Und im Alter dann doch noch ein Impeachment-Album für George W. Bush eingesungen.
Der Protestsongcontest
Zum achten Mal geht es beim Protestsongcontest im Wiener Rabenhof auch heuer wieder darum, Protestnoten als zünftige Gnackwatschen – freilich verbal – zu verabreichen. Oder um es mit Homer Simpson zu formulieren: So long, suckers!
Die zur Erinnerung an die sogenannten Februar-Unruhen des Jahres 1934 beziehungsweise an den österreichischen Bürgerkrieg traditionell am 12. Februar abgehaltene Veranstaltung will dem Aufbegehren also eine Plattform errichten. Trotz aller gebotenen Ernsthaftigkeit funktionierte der Protestsongcontest dabei schon immer als lustvolles Spektakel. Wie zuletzt die auf Twitter ausgetragene Affäre #grassermovies oder die kabarettistische Lesung aus polizeilichen Telefonprotokollen bewies, wird dem Grauen hierzulande so oder so tränenden Auges begegnet. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Der nach einer Idee eines Dreier-Kollegiums um den Rabenhof-Intendanten Thomas Gratzer initiierte Protestsongcontest folgt dem Konzept seines Namensgebers, des Concours Eurovision de la Chanson, lose: Nach einer Vorauswahl durch eine Jury treten die zehn Finalteilnehmer live gegeneinander an. Der Bewerb, der diesmal auf bereits bekannte Namen zu verzichten scheint und von männlichen Teilnehmern bestimmt wird, thematisiert die Asylpolitik des Landes ebenso wie alltägliche Ärgernisse (Stichwort Nespresso). Musikalisch ist neben Punk-Brettern, Dichtkunst an der Lagerfeuergitarre und Hip-Hop ein angenehmer Ausreißer im Fach des Wienerliedes zu finden. Moderiert wird der Abend von Dirk Stermann. FM4 überträgt ab 19 Uhr live.
(Wiener Zeitung, 8.2.2011)
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