Doris Knechts Romandebüt "Gruber geht".
Die Geschichte geht so: Ein als Schwerenöter hoch aktiver Misanthrop, der über das nötige Kleingeld verfügt, um seine Luxusbedürfnisse zwischen Haubenküche, Hotellobby und dem Reinheitsgebot verpflichtetem Marschierpulver aus den Anbaugebieten Kolumbiens mehr als zu stillen, begegnet seinem Leben mit Gleichmut. Er hat alles und weiß von nichts, bis er auf die Berliner DJane Sarah trifft, sich in sie verliebt, von seiner Krebserkrankung erfährt und plötzlich gezwungen ist innezuhalten. Nachzudenken. Sich einmal selbst zu hinterfragen. Wer bin ich? Wie bin ich? Bin ich wirklich so? Und, frei nach unseren Hamburger Freunden Die Sterne: Wo fing das an? Was ist passiert? Was hat mich bloß so ruiniert?
Sowie natürlich: Wer holt mich hier raus? Schließlich werden wir Zeugen, wie ein literarischer Antiheld, der sich selbst als „Mover und Shaker“, als Selfmademan und Macher betrachtet, auf seine eigene Art weicher wird, ohne sich aufzulösen.
Der (Anti-)Held heißt Gruber, ist Mitte dreißig, kümmert sich um „Investmentscheiß“ und wohnt in einem Designerloft am Wiener Naschmarkt. Gruber mag: Bob Dylan, Kokain, One-Night-Stands und frisch gebügelte Hemden. Er verachtet Spießer, vorgetäuschte Familienidylle und jedweden Kontrollverlust, der sich nicht über die Freuden der toxischen Eigenkontamination einstellt. Gruber ist der vermutlich einzige Manager auf Mutter Erde, der Al Green, die Eels, LCD Soundsystem und John Grant hört, sich aber trotzdem nicht schämt, einen Porsche zu fahren.
Ihren Protagonisten stellt uns die Autorin auf dem Weg zu dessen Dienstreise vor („zürich. diese scheißstadt schon wieder“). Gruber wird von Magenschmerzen gequält, trägt einen Brief vom Krankenhaus in der Tasche, den er aber nicht zu öffnen gedenkt, und schlittert mit seinem Zürich-Trip alsbald in ein Desaster – einerseits. Der Geschäftsabschluss platzt, Gruber wird in eine Schlägerei verwickelt, als er „eine der bescheuerten Fickblondinen“ erobern will, dabei aber nur auf die Faust ihres Kerls trifft. Andererseits lernt Gruber die Berliner DJane Sarah kennen. Man findet einander interessant. Man unterhält sich vorzüglich. Man trinkt Weißwein und landet im Bett. Dort wird Gruber von einem Gefühl übermannt, das ihm bei ähnlichen Beutezügen bisher verwehrt blieb: Das hier könnte ernst sein. Und es wird noch wesentlich ernster, als Sarah Grubers Brief öffnet und ihm die Diagnose vorliest. Gruber fliegt nach Wien, begibt sich in Behandlung und meldet sich vorerst nicht mehr bei Sarah.
Dieses Setting ermöglicht es der 1966 in Vorarlberg geborenen Journalistin und Kolumnistin Doris Knecht („Falter“, „Kurier“ u. a.), ihre Kernthemen erstmals in Romanform abzuhandeln und sie zu verbreitern. Nach betont lässigen Streifzügen durch die gentrifizierten Gegenden des urbanen Ballungsraums, die Knecht mit Pop-Querverwiesen spickt, spielt der Roman bald auch in der Idylle der Pampa. Dort erholt sich Gruber bei Schwester und Schwager von seiner Chemotherapie. Dank näherer Beschäftigung mit deren Nachwuchs erkennt Gruber dort etwa auch, dass Kinder mehr sind als Störkörper, die im Flugzeug laut plärren und auch sonst nur im Weg stehen.
Der Roman, der das hedonistische Ich mit dem zurückgenommenen Wir konfrontiert, der Entwurzelung und Kontinuität nicht nur über die Schauplätze Stadt (Coolness) und Land (Verspießerung) gegenüberstellt, mag mitunter als konservativ rezipiert werden. Das muss er aber nicht. Gruber wird nachdenklich und selbstreflexiver, aber kein grundsätzlich neuer Mensch. Er wird anders und fletscht dabei die Zähne. Er leckt neues Blut. Die Möglichkeit seines Todes lässt den Protagonisten auch aus sich selbst ausbrechen. Gruber, vormals zumindest tendenziell homophob, macht seine erste schwule Erfahrung – eine inhaltliche Parallele zu Tom Tykwers Film „Drei“.
Abseits davon zeichnet Knecht das Psychogramm eines Kerls in einer Welt, die Kerle nicht länger willkommen heißt. Nicht selten bedient sich die Autorin des Stilmittels der mündlichen Nacherzählung; die erfrischende Flapsigkeit ihrer Sprache ist nicht zwingend Grubers Erscheinung als rohes Raubein geschuldet.
Zur Hochform läuft die Autorin dort auf, wo es schwierig wird. Wenn Sarah etwa über ihren ersten Sex mit Gruber erzählt, ist das von der Peinlichkeitsfalle des umschriebenen Geschlechtsaktes sehr weit entfernt. Die emotionale Dringlichkeit dieser Begegnung wäre auch ohne die verstärkende Koppelung bestens gelungen: Koitus und Tod, in inniger Umarmung.
(Wiener Zeitung, 26./27.3.2011)
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