Freitag, April 08, 2011

Brust, Herz, Lust, Schmerz

Anna Calvi in der Szene Wien.

„Sehnsucht ist die einzje Energie!“ Als delirierender Kunst-Punk brachte Blixa Bargeld Mitte der 80er-Jahre einen entscheidenden Lebensumstand auf den Punkt. Ohne Verlangen nach etwas oder jemanden ist der Mensch nicht mehr als eine leblose Hülle. Spätestens seit Novalis und dessen blauer Blume ist der romantisch geschulte Mensch diesbezüglich einschlägig vorbelastet.

Im London der Nullerjahre beginnt schließlich auch Anna Calvi, dieser Tatsache ihr Debütalbum zu widmen. Unter besonderer Berücksichtigung der Pole „fire“ und „desire“ – es brennt ein Feuer in mir! –, geht es darum, sich mit Brust und Herz in eine Welt aus Lust und Schmerz zu begeben. Die Sache mit der ach so schaurig-schönen Liebe als schattseitiger Rock ’n’ Roll: Ökonomisch betextet, unheimlich im Klang. Drama und Gänsehaut werden bei Anna Calvi auf den Spuren von Ennio Morricone oder der frühen PJ Harvey stets in mögliche Soundtracks für David Lynch umgemünzt.

Früh gefördert von Brian Eno und Nick Cave ist Calvi also die neueste Heldin aller Schwergemüter. Ihr erstes Wien-Konzert als Hauptact litt am Donnerstag aber an widrigen Bedingungen: Wegen einer Verletzung verzichtete Calvi weitestgehend auf die Arbeit an der Gitarre, die ihr Schaffen, abwechselnd mit Blues- oder Flamencoanklängen, allerdings entscheidend prägt. Mit ihrer dreiköpfigen Band, die sich auf Schlagzeug, Percussions und Harmonium konzentrierte und einen Kollegen an der Twang-Gitarre deutlich weniger drastisch in die Saiten greifen ließ, konnte Calvi den dichten Klang ihrer Lieder zwar niemals erreichen.

Beherzt im Vortrag und mit einer Stimme, die den werkimmanenten Hang zu laut und luise mit sanftem Hauchen und expressivem Divengesang untermauerte, blieben Götternummern wie „Desire“ oder „First We Kiss“ aber auch live nichts weniger als Götternummern.

Die Sehnsucht bleibt: Beim nächsten Mal wird alles (noch viel) besser.

(Wiener Zeitung, 9./10.4.2011)

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