Freitag, April 08, 2011

Leerstellen herstellen

Rock ’n’ Roll Noir: Das neue Album des Duos The Kills.

Die Aufnahme des Wortes „Blutdruck“ in den Wortschatz eines Menschen ist das sicherste Anzeichen dafür, dass die sprichwörtliche Zeit ins Land gezogen ist. Stichwort: Jung sind wir früher zusammen gekommen, heute gibt es kein Schlagobers, aber koffeinfreien Kaffee!

Wenn The Kills ihr viertes Album nun also „Blood Pressures“ betiteln, wird man aber in eine andere Richtung denken müssen. Zwar darf sich Jamie Hince als auch nicht mehr ganz taufrischer Lebemann mit Rock-’n’-Roll-Vergangenheit wie -Gegenwart schon einmal Gedanken über die nächste Vorsorgeuntersuchung machen. Dennoch dürfte der Titel auf das pralle Leben anspielen und das Herz als Pumpe ins Feld führen, die sich bei regem Antrieb durch Sex oder Partyspaß in ein Hecheln, Keuchen und Stöhnen veräußert. The Kills, in ihrem Schaffen stets dem Diesseits verpflichtet, sind noch nie als Kostverächter auffällig geworden.

Seit die Band im Jahr 2002 mit ihrem Debütalbum „Keep On Your Mean Side“ vorstellig wurde, geht es um die Verheißungen des Rock ’n’ Roll, gedeutet als Flucht aus einer zunehmend genussfeindlichen Welt. Siehe dazu auch die 2005 erschienene Single „The Good Ones“ als Loblied auf die toxische Versuchung. Das Versprechen der Kills an ihre Fans war stets die Möglichkeit einer Insel, auf der dem Glamour ein Denkmal gebaut und dem Leben ein Fest ausgerichtet werden sollte.

Die Geschichte des neben den White Stripes efolgreichsten Mann-Frau-Duos der Nullerjahre beginnt um die Jahrtausendwende, als die US-amerikanische Sängerin Alison Mosshart in einem Londoner Hotel auf den britischen Gitarristen Jamie Hince trifft. Man beschnuppert einander, entdeckt die gemeinsame Vorliebe für den Blues und beginnt in Folge, Demotapes über den Atlantik zu schicken. Darauf (wie später auch noch auf dem Album „No Wow“) zu hören: eine rohe, raue wie drastisch reduzierte Spielart eines in bester Punkmanier auseinandergenommenen, bluesinfizierten Rock ’n’ Roll. Dieser zeichnet sich bis heute vor allem durch seinen Hang zur Ausspaarung aus. Wie schon in den Genres Blues und Punk ist auch für die Musik der Kills zunächst einmal entscheidend, was man ihr nicht anhört. Leerstellen herstellen, verknappen, verdichten. Nicht nur in dieser Hinsicht führte das Duo sein Konzept mit „Midnight Boom“ 2008 schließlich zur Meisterschaft. Immerhin wurden darauf zwölf scheppernde, zumeist tanzbare und stets gewinnende Lieder in knapp 34 Minuten auf den Punkt gebracht.

Was „Blood Pressures“ nun vom ersten Ton an deutlich macht: Die neuen Songs mögen vielleicht etwas weniger dringlich sein, sie sind aber auf jeden Fall deutlich weniger gedrängt. Sie übersteigen die Vierminutenmarke fast immer und schlagen dabei auch geruhsame Tempi an. Der elektronische Sound von „Midnight Boom“ ist einem wieder etwas bodenständigeren Rock ’n’ Roll gewichen, dessen Gitarren zur von Hince stilsicher programmierten Drummachine vor allem die tiefen Saiten betonen.

Obwohl The Kills nach wie vor eine sichere Bank sind, wenn es darum geht, Coolness und Lässigkeit musikalisch zu umrahmen, scheint die Band heute etwas weniger überspannt zu sein. Bereits „Midnight Boom“ hatte schließlich ein Mehr an Gefühligkeit zugelassen. Die überwiegend gedämpfte Grundstimmung des Albums lässt es diesmal jedenfalls gleich an mehreren Stellen recht ordentlich menscheln. Erstmals werden dafür auch sanft desperate Gruppengesänge ins Spiel gebracht, die mit „Satellite“ auch die erste Singleauskopplung durchziehen. Abgesehen davon bleibt die Band ihrem ökonomischen Schaffen aber konsequent treu: Bei erstaunlicher Arrangementarmut wird nicht ein einziger Ton zu viel aufgetragen.

Als stilistischer Ausreißer sei neben „Wild Charms“, bei dem Jamie Hince an John Lennons „Jealous Guy“ erinnert, noch Alison Mossharts Abschiedswalzer „The Last Goodbye“ angeführt. „Pots And Pans“ wiederum bringt den Sound der alten Männer des Delta Blues mit reichlich beschädigtem Blech und einem Mehr an Melodie beglückend ins Heute. Fürs Erste: Toll, aber ein Sieg nach Punkten.

(Wiener Zeitung, 9./10.4.2011. Langfassung)

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