Freitag, April 15, 2011

Verzweiflung und Volkstanz

Beinahe zeitgleich erscheinen neue Alben der heimischen Pop-Exporte Ja, Panik, Clara Luzia und Attwenger.

Man kann den Österreicher zwar nach Berlin bringen, aber man wird ihm dort das Österreichische nicht austreiben können. Wie die Gruppe Ja, Panik , die sich einst aus dem Burgenland nach Wien und später in die deutsche Bundeshauptstadt verfügte, mit ihrem vierten Album, "DMD KIU LIDT", beweist, bleibt eine Tatsache auch nach Jahren des Reflektierens bestehen: "Alles hin, hin, hin." Der österreichische Hang zu Depression und Fatalismus ist, so scheint es, auch der Realismus der Bohème dieser Tage.

Nun kennt und schätzt man die 2005 gegründete Band um Sänger Andreas Spechtl dafür, dass sie mit Hilfe sich selbst relativierender Songtexte ein Verwirrspiel mit der Hörerschaft treibt. Auch eingedenk ironischer Brüche, die in Berlin als "Wiener Schmäh" gehört werden wollen, muss man die titelgebende Abkürzung mit Vorsicht genießen. Schließlich steht diese für nichts weniger als "Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit".

Wo Ja, Panik mit Alben wie "The Taste And The Money" (2008), das von der Berliner Popdiskursgazette "Spex" als "wichtigste deutschsprachige Platte seit Blumfelds "L’Etat Et Moi" (1994) bezeichnet wurde, zwar für eine Grundhaltung standen, diese aber auf der nach oben hin offenen Interpretationsskala verklausuliert ausformulierten, legt es Spechtl diesmal ein wenig direkter an. Songtitel wie "Trouble", "The Horror" oder "Suicide" nehmen den jeweiligen Inhalt treffend vorweg. Auch wenn die Musik dabei viel mehr lustvoll als beklemmend ausfällt, will uns Spechtl so leicht nicht davonkommen lassen. Dieses Album dreht sich um den Blues der Verzweiflung und unseren Umgang damit. "Save the planet, kill yourself", wie Spechtl mit Chris Korda ausgerechnet den irren Gründer der "Church of Euthanasia" zitiert. "So I can’t cry you a river / For there is salt in my tears / But if I cried you an ocean / It would flood us for years" oder "And like the devil runs from holy water / run from the ones that say I love you!" sind als lose ausgewählte Zitatangebote durchaus exemplarisch zu verstehen.

Über Songzeilen wie "Suicide is love, suicide is passion" kann man streiten, dennoch: Ja, Panik haben sich mit diesem Album ein Denkmal errichtet. Erneut unter Regie von Moses Schneider (Tocotronic, Fehlfarben) und an nur zehn Tagen eingespielt, verzichtet das Quintett diesmal auf seinen nervösen, von Stakkato-Klavier getriebenen Sound. Die Lieder lassen sich im Aufbau mehr Zeit und warten an allen Ecken und Enden mit Melodien auf.

Trotz eines recht homogenen Klangbilds ist die Stilpalette groß: Soulig schmeichelt sich "The Evening Sun" in den Gehörgang, "Mr. Jones & Norma Desmond" führt von zart aufgetragenen Keyboards schließlich zu den kalt klirrenden Gitarren aus der Schule von Sonic Youth, während bei "Surrender" afrikanisch angehauchte Backgroundvocals einfallen, die an The Police denken lassen. Bei "Nevermind" schließlich erweist Spechtl Bob Dylan die Ehre, der für ihn – neben Falco, dessen Esperanto aus Englisch und Deutsch auch Spechtl aus dem Ärmel schüttelt – schon immer ein Einfluss war.

Autark, melancholisch

Während sich Ja, Panik der Verzweiflung verschreiben, war das bevorzugte Grundgefühl in den Liedern von Clara Luzia schon immer eine leise Verstimmung. Melancholie heißt das Zauberwort, das auch das Cover ihres neuen Albums zu übersetzen versucht: Ein Holzsteg mäandert sich durch eine Hügellandschaft, die im Nebel verschwindet.

"Falling Into Place" – auch für Luzia ist es das vierte Album – zeugt zunächst von der weiteren Autarkwerdung der als Clara Luzia Maria Humpel geborenen Sängerin. Nach ersten Arbeiten mit ihrer Band Alalie Lilt verdiente sie sich ihre Sporen am harten heimischen Pop-Markt seit 2005 mehr oder minder als Ich-AG. Zwar treten auch Clara Luzia als Band auf, für das Songwriting zeichnet aber doch die namensgebende Frontfrau verantwortlich. Ihre Alben veröffentlicht Luzia auf ihrem 2006 gegründeten Label Asinella Records, auf dem mittlerweile auch Marilies Jagsch, Luise Pop oder Bettina Köster ein künstlerisches Zuhause fanden.

Elegant und stilvoll

Das aktuelle Album produzierte Luzia mit ihren Musikern nun erstmals allein, Hubert Mauracher (Mauracher, Ping Ping) fungierte lediglich als Berater. Große Veränderungen brachte dieser weitere Schritt in Richtung Unabhängigkeit für die Hörerschaft allerdings nicht mit sich. Auf den zwölf neuen Songs vertraut Luzia ihrer Kernkompetenz und lässt ihr elegantes Songwriting gewohnt stilvoll arrangiert erschallen. Das Klavier schiebt sich behutsam in den Vordergrund, kammermusikalischer Zierrat behübscht die Ergebnisse, anstelle von E-Gitarren dominiert die Akustische das Geschehen an den Saiten. Das funktioniert besonders gut bei Midtempo-Hymnen wie dem eröffnenden "We Can Only Lose", dem schwelgerischen "Release The Sea" oder "Sink Like A Stone", das aus dem jiddischen Lied "Tsen Brider" zitiert.

Als alte Hasen im aktuellen Erscheinungsreigen liefern Attwenger den betont jubilierenden Gegenentwurf: Mit ihren "dialektischen" Groovehadern bringen Markus Binder und Hans-Peter Falkner die Verhältnisse seit mittlerweile gut zwanzig Jahren zum Volkstanzen. Die Leistungen des Duos können auch nach all der Zeit nicht oft genug gewürdigt werden.

Immerhin haben es Attwenger geschafft, eine genuin österreichische Popmusik zu erfinden, die keinem internationalen Vorbild nachläuft – und der trotz ernsthaft betriebener Brauchtumspflege nichts Provinzielles anhaftet. Das Rurale wird mit dem Urbanen gekoppelt, Traditionelles subversiv aufgeladen: Markus Binder hat das Selbstporträt Attwengers als "Groove-Slang-Punk-Duo" stets realistisch bezeichnet.

Rural und urban


Der Sound mag elaborierter gewesen sein, als die beiden ihr Meisterwek "Sun" 2002 mit Mario Thaler in Weilheim produzierten, ihr Groove ist auch auf "Flux" noch unwiderstehlich. Die mit "Dog" vor knapp sechs Jahren eingeläutete Rückkehr zu ungeschliffenen Zweiminütern mit Vorwärts-Schlagzeug und Krawall-Quetsch’n passt aber ohnehin besser zum Bandimage. Immerhin geht es bei Attwenger im Sinne einer oberösterreichischen Gemütlichkeit schon immer darum, die Dinge nicht zu genau zu nehmen.

Sowohl in Eigenregie als auch mit Thomas Rabitsch oder Wolfgang Schlögl (Sufa Surfers, I-Wolf) aufgenommen, nähern sich Attwenger mit "Shakin My Brain" erstmals dem Rock ’n’ Roll eines Chuck Berry an, während sie bei "Duamasche" aufgepimpte Synthies einstreuen und es mit "Hintn umi" soulig anlegen. Anstelle politischer Slogans geht es in den Texten zunehmend um Zwischenmenschliches. Außerdem wird ein Musikmanager in den Keller gesperrt ("Proberaum"), während sich Hans-Peter Falkner den Auswirkungen eines Drogendiliriums widmet ("Trip").

Das erheitert mit zünftigen G’stanzln, die einst auch dem alten Ernst Jandl einen Produktivitätsschub verliehen. Wie es in "Kantri" so schön heißt: "Oft deng i i mecht a Bier. Daun iss so es san scho vier. Oft deng i i leg mi nieder. Daun iss so es ged scho wieder."

Ja, Panik: DMD KIU LIDT. (Staatsakt)

Clara Luzia: Falling Into Place. (Asinella Records / Hoanzl)

Attwenger: Flux. (Trikont / Lotus Records)


(Wiener Zeitung, 16./17.4.2011)

Keine Kommentare: