Freitag, Juni 17, 2011

Interkontinentale Verschmelzungen

Die ehemalige Ruppigkeit der Arctic Monkeys ist auf ihrem vierten Album, "Suck It And See", einer neuen Zugänglichkeit gewichen.

Wer die Arctic Monkeys in ihren Anfangstagen als rastlos bezeichnete, bezog sich zunächst auf den hyperventilierenden Sound des aus Sheffield stammenden Quartetts. Wie man auf dem Debütalbum "Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not" aus 2006 sowie dem nur ein Jahr später nachgeschobenen Zweitling "Favourite Worst Nightmare" nachhören kann, galt es für die allesamt in den Jahren 1985 und 1986 geborenen Musiker, bloß keine Zeit zu verlieren.

Weil die Jugend hinaus drängen muss in die Welt, um dort Mauern niederzureißen und offene Türen einzurennen, legten es auch die Arctic Monkeys mit nur als quengelig bis nervös zu bezeichnenden Songs forsch an. Ästhetisch zeigte sich die Band von Post-Punk und New Wave ebenso beeinflusst wie vom britischen Indie-Rock nur unwesentlich älterer Kollegen wie etwa The Libertines.

Vom Netz in die Charts

Die Erfolgsgeschichte der Arctic Monkeys wurde oft und nie ohne den Hinweis erzählt, dass sich die Band bereits früh mit gratis auf Myspace zur Verfügung gestellten Songs eine Fan-Community aufbaute, um als erster Act den weiten Sprung vom Netz in die Charts zu schaffen: Das Debütalbum brach mit mehr als 360.000 verkauften Einheiten allein in der Veröffentlichungswoche sämtliche Rekorde. In Frontmann Alex Turner fand die Fachpresse zudem ihren neuen liebsten Songwriter, der es verstand, aus dem ruppigen Klangbild immer wieder auch große Melodien herausragen zu lassen.

Für einen stilistischen Bruch sorgte die Band erst auf "Humbug", ihrem dritten Album, das sie gemeinsam mit Josh Homme (Queens Of The Stone Age) in den USA produzierte. Auch eingedenk Alex Turners Arbeit mit The Last Shadow Puppets, die dem orchestralen Sixties-Pop eines Scott Walker ein Denkmal errichteten, und seines aktuellen Soundtracks für Richard Ayoades Spielfilmdebüt "Submarine" erfuhr der Zustand der Rastlosigkeit bei den Arctic Monkeys aber eine andere Bedeutung.

Wie "Suck It And See", das nun vorliegende vierte Album der Band und Turners sechste Veröffentlichung in nur fünf Jahren beweist, haben wir es bei den Arctic Monkeys mit fleißigen Menschen zu tun. Das Klangbild hat sich indes noch einmal verändert: Nach seiner zweiten Mutation präsentiert sich das Quartett glatter, erstaunlich konventionell und vor allem auch um geruhsamere Tempi bemüht.

Der Opener, "She’s Thunderstorms", gibt die Richtung vor: Alex Turner kennt keine Eile mehr, seine Zunge muss nicht länger hektisch durch Wortwälder jagen. Mit Mut zur Singstimme wird zunächst einmal geschaut, was passiert. "Suck it and see" ist ins Deutsche am Besten mit "Probieren geht über Studieren" übersetzt und erklärt auch die Arbeitsweise der Band, die diesmal weitestgehend auf Overdubs verzichtete und die Strukturen live erarbeitete und aufnahm.

Die zwölf in New York geschriebenen und mit dem altvertrauten Produzenten James Ford in Los Angeles eingespielten Songs bemühen sich solchermaßen um interkontinentale Verschmelzungen. Klassisch als britisch zu bezeichnende Elemente treffen auf zunehmend im Vordergrund stehende amerikanische Klänge, oder anders formuliert: man hört dem Album – vor allem in seinen besseren Momenten – an, dass sich Turner zuletzt eingehend sowohl mit David Bowie als auch mit Lou Reed beschäftigt hat.

Das Titelstück oder der bereits von Turners Soundtrack bekannte und hier leicht überarbeitete "Piledriver Waltz" stammen aus dieser Ecke. Neben dem eleganten Songwriting, das Turner unaufdringlich zur Schau stellt, und den maximal eingängigen Refrains von Stücken wie "Black Treacle" hat das Album aber nicht nur eine Problemstelle.

Das mit einem wenig subtilen Riff vom Zuschnitt des "Peter Gunn Theme" zu dick auftragende "Don’t Sit Down Cause I’ve Moved Your Chair", das Mackertum von "Library Pictures" oder der plumpe Rockismus des Mitgröl-Haderns "Brick By Brick", der Turner auch textlich nicht würdig ist, zeugen davon. Wie es an einer anderen und besseren Stelle ironisch heißt: "I poured my aching heart into a pop song. I couldn’t get the hang of poetry."

Arctic Monkeys: Suck It And See. (Domino Records)

(Wiener Zeitung, 18./19.6.2011)

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