Dienstag, September 13, 2011

Ein Strich wird kommen

Olafur Eliassons Installation "Your black horizon" auf Lopud

Wer sich auf Lopud befindet, ist vermutlich zum Schwimmen gekommen. Schließlich kann die für ihren Šunj Strand geschätzte adriatische Insel, die nur 220 Einwohner zählt, von Dubrovnik aus in kaum 50 Minuten mit dem Schiff erreicht werden. Davon, dass das zur großteils unbewohnten Inselgruppe der Elaphiten gehörende Eiland touristisch aber auch schon bessere Zeiten erlebt haben könnte, zeugt das 1936 errichtete Grand Hotel, das als Ruine der Neuzeit traurig darniederliegt.

Dabei lohnt sich vor allem ein Ausflug ins Hinterland, den nur ein Bruchteil der Touristen  tatsächlich antreten dürfte. Nur wenige Gehminuten von der Strand-Esplanade und ihrer überschaubaren Ansammlung von Geschäften, Bars und Restaurants entfernt, hat man es mit einem Paradebeispiel von Kunst in ungewöhnlicher Umgebung zu tun. Ungleich schwieriger ist es, aufgrund der beschriebenen Rahmenbedingungen auch von Kunst im öffentlichen Raum zu sprechen.

Innmitten eines gepflegt verwilderten Gartens, zwischen Zypressen und Olivenbäumen, erblickt der Besucher die auf einer Anhöhe gelegene Holzkonstruktion des britischen Architekten David Adjaye, hinter der man auch die Garage eines begüteten Sommerfrischlers vermuten könnte. Tatsächlich ist der aus vertikalen Holzpfosten errichtete Art Pavilion Schauplatz der Lichtinstallation „Your black horizon“ des in Berlin und Kopenhagen ansässigen Künstlers Olafur Eliasson. Dieser gilt immerhin als einer der wenigen Superstars im umkämpften Kunstbetrieb, über dessen Grenzen hinweg der heute 44-Jährige etwa 2008 für Aufsehen sorgte, als er mit „The New York City Waterfalls“ vier künstliche Wasserfälle in Manhattan ansiedelte.
 
Den Hang zum Superlativ, der Eliasson gern unterstellt wird, merkt man seiner von Francesca von Habsburgs Thyssen-Bornemisza Art Contemporary in Auftrag gegebenen, 2005 auf der Biennale von Venedig vorgestellten und seit 2007 nun eben auf Lopud zu bestaunenden Arbeit zwar nicht an. Zentrale Elemente seines Schaffens hingegen lassen sich aber schnell erkennen: dass etwa die Architektur ein Bestandteil der Arbeit selbst ist, Ausstellungsraum und Werk einander bedingen und vor allem auch Natur und „Labor“ in Interaktion begriffen sind.

Im Inneren des fensterlosen und schwarz ausgehüllten Pavillons wäre es gruselig finster, würde nicht durch einen in Augenhöhe angebrachten Schlitz Licht strömen. Dieses gibt über ein 360-Grad-Panorama hinweg das ganze Spektrum der Lichtverhältnisse auf der Insel wieder – vom gleißend hellen Tageslicht bis hin zu den orangen und violetten Farbtönen des Abends.

Unser eigener, schwarzer Horizont selbst wird erst beim Verlassen des Pavillons offensichtlich. Die Begegnung mit der schmalen Lichtquelle im Inneren zaubert für wenige Sekunden eine schwarze Linie vor das Auge, die den Ausblick vom Hügel hinab in zwei Hälften schneidet.

Ein Strich wird kommen. Ein Schiff wird kommen. Wie Ausstellungsraum und Werk sind bei diesem Ausflug auch Kunst und Urlaub nicht exakt voneinander zu trennen.  

(Wiener Zeitung, 14.9.2011)

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