Modern sein zu wollen bedeutet in Wien, aufbleiben zu
müssen. Während man in Berlin dazu überging, den Wecker auf eine
pensionistische Frühstückszeit zu stellen, um ins Berghain tanzen zu gehen, mag
man es hinter den sieben Bergen nach wie vor altmodisch. Für die Pratersauna
medikamentiert sich die Party-Crowd so, dass es nach dem verrichteten Tagwerk
direkt in die schlaflose Nacht gehen kann.
Ein zentraler Abend des Run-VIE-Festivals begann am
Donnerstag aber zeitig um 23 Uhr. Im WUK mochten sich auch Personen befunden
haben, die sich ihren Lebensunterhalt nicht als prekäre DJs, sondern mit
tatsächlicher Arbeit verdienen.
Dass sich der Abend in die Länge zog, hatte aber auch mit
der Musik zu tun. Das aus dem Umfeld des visionären Hyperdub-Labels stammende
Trio Darkstar kompensierte seinen Mangel an Songs mit zerdehnten Live-Versionen,
die so zwingend klangen, dass das Publikum bald zur kollektiven Saalflucht aufbrach.
Die Mehrheit war aber ohnehin wegen Obaro Ejimiwe gekommen,
der unter seinem Alias Ghostpoet eines der Debütalben des Jahres
veröffentlichte. Darauf verbanden sich stoische Spoken-Word-Mantras über die
Härte des Lebens, die Nacht als Ort der Erlösung und den Tag danach als
höllischste Erfindung seit Brustreißer und Mundbirne mit den Nachwehen des
Dubstep-Genres.
Trotz eifriger Arbeit des MCs an seiner Schaltkanzel
entschied sich der Londoner mit polterndem Schlagzeug und ruppiger Gitarre, den
hypermodernen Einschlag seines Werks zugunsten eines druckvolleren Live-Sounds
hintanzustellen. Eine gute Entscheidung, die nicht nur bei „Liiines“ angenehme
Assoziationen mit TV On The Radio weckte.
(Wiener Zeitung, 10./11.9.2011)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen