Mit „Delta
Machine“ legen Depeche Mode ihr kohärentestes Album seit 1997 vor: Zum Trademark-Sound
gesellen sich auch Überraschungen.
Die
Gefahren bei einer Wiederbegegnung mit der Jugendliebe von einst sind mannigfaltiger
Natur. Man könnte sich etwa so sehr auseinanderentwickelt haben, dass die
Anziehungskraft vergangener Tage verblasst oder erst gar nicht mehr
nachvollziehbar ist. Das gilt für tatsächliche Romanzen ebenso wie für
musikalische Bindungen, die sich diesbezüglich als besonders heikel erweisen.
Wie viele altgediente Bands etwa können von sich behaupten, ihren gut
abgesteckten Fankreisen mit neuen Alben mehr abzuringen als freundlichen
Applaus, der gleichbedeutend ist mit der wesentlich höheren Vorfreude auf ein hoffentlich
baldiges Greatest-Hits-Konzert?
Im
Falle von Depeche Mode drohte die Entwicklung zuletzt in eine ähnliche Richtung
zu verlaufen. Nach den zwischen 1986 und 1997 erschienenen Manifesten „Black
Celebration“, „Music For The Masses“, „Violator“, „Songs Of Faith And Devotion“
sowie auch und vor allem dem düsteren „Ultra“, das nach dem drogenbedingten
Beinahe-Tod von Sänger Dave Gahan fast nicht erschienen wäre, setzte es zwar
auch im Spätwerk keine schlechten Alben. Der lichtdurchflutete Sound von „Exciter“
(2001), die Rückbesinnung auf dunkle Kernkompetenzen mit „Playing The Angel“
(2005) und vor allem das 2009 erschienene „Sounds Of The Universe“ aber ließen
die alte Grandezza mitunter doch deutlich vermissen.
Synthie-Blues
Dass
Dave Gahan, der die Produktionen als Neo-Songwriter für drei Songs pro Album ab
2005 zusätzlich nach unten nivellierte, danach erfolgreich mit den Soulsavers
kollaborierte und Martin Gore von seinem einstigen Bandkollegen Vince Clarke zur
Gründung des Techno-Joint-Ventures VCMG überredet wurde, durfte Fans aber
erneut hellhörig machen. Immerhin standen Depeche Mode ab Anfang der 1990er-Jahre
für eine gewinnende Mischung aus unterkühlter Elektronik und beseeltem Blues. Mit
„Delta Machine“ löst ihr nun erschienenes
13. Album entsprechend ein, was schon der Titel vorwegnahm: Der Ur-Sound aus
dem Mississippi-Delta ist ebenso zurück (und dabei expliziter denn je zu hören),
wie das räudig-rohe Knarzen und Knattern der Analoggerätschaft wieder im
Vordergrund steht. Keine Frage: Das dritte von Ben Hillier produzierte Album gehört
in Sachen Sounddesign mit zum Besten im Werkkatalog des Trios – was auch mit
der Unterstützung durch Christoffer Berg zu tun haben dürfte, der bereits die
schwedischen Elektropop-Adepten The Knife und deren Schwesternprojekt Fever Ray
fantastisch klingen ließ.
Die
Fährte, die „Heaven“ als in ihrer Balladenform untypische Vorabsingle ausgelegt
hatte, erweist sich für den Rest von „Delta Machine“ schnell als trügerisch: Von
Martin Gore als „our take on 70s rock“ und sogar über einen
Rod-Stewart-Vergleich beschrieben, hat man es mit der organischen Ausnahme inmitten
einer brodelnden Soundlava zu tun, die bittersüßen, stark auf die „Black Celebration“-Ära
verweisenden Elektropop neben erfreulich experimentelle Soundtüfteleien stellt
– die nur als „sophisticated“ zu bezeichnenden Ergebnisse dieser Schiene wiederum
finden ihr Gegenstück in „Soothe My Soul“, dessen sexuell konnotierter Call-and-response-Refrain
auf den Spuren von „Personal Jesus“ ins Stadion schielt, als zweite Single explizit
Spaß machen soll und mit Dave Gahan als lechzendem Lumpi („I’m coming for you /
My body’s hungry / I’m coming for you / Like a junkie“) den latent
würdelosen Teil des Albums verkörpert. Inhaltlich in eine ähnliche Richtung bewegt
sich „Slow“, das, von Gore bereits zu Zeiten von „Songs Of Faith And Devotion“
geschrieben, ein Bluesriff aus der Schule John Lee Hookers am Ende gegen elektronisch
grundierte Glam-Rock-Drastik auffahren lässt.
Die
Klugheit des Albums, das sich ohne Weiteres in die Top 5 von Depeche Mode
einreihen wird, zeichnet sich hingegen schon mit dem Auftakt ab. „Welcome To My
World“ beginnt mit einer betont ungeraden elektronischen Bassdrum und
spartanischem Synthie-Surren, ehe der Song mit Streicherarrangements und Gores
prototypischem Hintergrundgesang zur Hymne ansetzt – gerade wo der
Chef-Songwriter seine diesbezüglichen Möglichkeiten mit sämtlichen Trümpfen
ausspielt, kippt die Nummer aber kurz ins Unbehagliche, um nur wenig später auf
den Spuren von Kraftwerk durch Elektroland zu tuckern. Der bewusste Weg vom
Plakativen hin zum Bruch erweckt nicht nur an dieser Stelle den Anschein, als
würde die Band den einen oder anderen Hit auf „Delta Machine“ bewusst verhindern.
Zugunsten des Albums als Gesamtwerk und der Immer-und-immer-wieder-Hörbarkeit
der dreizehn Songs allerdings wird damit auch jener zeitgemäße „Pop der großen
Gesten“ Lügen gestraft, unter dem ungleich dienstjüngere Bands wie The Killers heute
schlimm schablonierten Ausschuss produzieren.
Innerer Friede
Den
experimentellsten Teil des Albums verantwortet „My Little Universe“, das
Depeche Mode den Häcksel-Sound von Radiohead und Thom Yorke annehmen lässt, um
dennoch oder gerade deshalb nach klassischen Depeche Mode zu klingen – und auch
die von Gore geschmetterte State-of-the-Art-Ballade „The Child Inside“ ist eindeutig
der sublimen Ecke zuzurechnen. Bei „Angel“ wiederum mimt Dave Gahan den
besessenen „Preacher Man“ auf dem Pfad der Erlösung, der über verführerisch
pulsierende Synthie-Spuren hin zum Befreiungsblues des Refrains wandert: „Oh
leave me here forevermore / I’ve found the peace I’ve been searching for“, das
steht prototypisch für die Songtexte Gores, die heute vor allem um inneren
Frieden kreisen. Gleichermaßen erfreulich und dabei sehr überraschend sind
zudem die Fortschritte von Dave Gahan als Songwriter, der (unterstützt von Kreativpartner
Kurt Uenala) mit „Should Be Higher“ seinen ersten Allzeitklassiker in die Bandgeschichte einschreibt.
Auch
aufgrund so nicht erwartbarer Synthiepop-Melodramen wie „Alone“ und einmal
abgesehen von dem als B-Seite womöglich besser aufgehobenen „Soft Touch/Raw
Nerve“ ist „Delta Machine“ das Album geworden, an das Fans nicht mehr zu hoffen
wagten – wir hören die Essenz, wir hören den Herzschlag von mittlerweile 33
Jahren Depeche Mode.
Depeche Mode:
Delta Machine (Sony Music)
(Wiener Zeitung, 23./24.3.2013)
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