Montag, März 25, 2013

Friede und Bondage-Sex

Depeche Mode präsentierten ihr neues Album "Delta Machine" mit einem Exklusivkonzert im Wiener Museumsquartier

Auf neues Material ihrer Herzensband reagieren Depeche-Mode-Fans von Osnabrück bis Cottbus erfahrungsgemäß so, dass a) früher alles besser war und sich b) jetzt kein „Enjoy The Silence“ in dem Sinn auf dem neuen Album befindet (wo sind denn hier die MELODIEN??), sofern es im Dunkel der Forumsnacht bezüglich Ausrufe- und Fragezeichen nicht ohnehin „Alan come back!“ oder „Was soll der Mist??“ heißt.

Es dauert dann verlässlich längstens vier Jahre, bis das nächste Album alles relativiert und a) die Klasse des Albums davor (mitsamt seinen damals ja auch wirklich noch sehr starken Melodien!) heute einfach nicht mehr erreicht wird und der zwischen Osnabrück und Cottbus mindestens für seine Loyalität weltberühmte Depeche-Mode-Fan dennoch Tickets für jedes der anstehenden Stadionkonzerte auf bundesdeutschem Boden kauft, wo sich bestimmt auch „Enjoy The Silence“ wieder auf der Setlist befinden wird.

Intime Stadionatmosphäre

Dieser Umstand führt nun auch dazu, dass Depeche Mode selbst ihrem exklusiven „Album Launch Event“ vor weniger als 1500 geladenen Gästen im Wiener Museumsquartier die Intimität jener Stadionkonzerte verleihen, die ab Frühling auf  dem Programm stehen und für die man sich solchermaßen schon einmal warmzuspielen gedenkt. Mit „Personal Jesus“, „Enjoy The Silence“ und dem auch nach zwanzig Jahren und fünf Welttourneen noch immer für Gänsehaut sorgenden „Walking In My Shoes“ gelingt das auch aufgrund eines entsprechend nostalgisch gestimmten Publikums prächtig. Dieses muss den Schock erst verdauen, dass mit „Delta Machine“ ein neues Album vorliegt, an dessen Qualitäten es aus Fan-Sicht wenig zu rütteln gibt – vor allem auch, weil mit dem hübschen Elektropop von Songs wie „Broken“ nicht zuletzt auf die „Black Celebration“-Ära verwiesen wird, die man im Publikum bis heute betrauert. Wir sehen gealterte Männer in nietenbesetzten Lederroben, die in bester Master-and-Servant-Gedenk-Manier an die 1984 eingeführte Bondage-Motivik erinnern und von der Band immerhin mit neuen Visuals befriedigt werden, für die sich auch Marilyn Manson heute zu schade wäre. Auf der Videowall setzt es nichts weniger als gefallene Liebesengel am Kreuze, die mit Gummiball-Knebel im Mund dem feuerroten Himmel der Apokalypse entgegenblicken.

Mit „Angel“ geht das einstündige Konzert um 21 Uhr pünktlich los. Die pulsierenden Synthesizer unterstützen Dave Gahans Predigt auf dem Pfad der Erlösung, der über technoide Elektronik letztlich hin zum reinigenden Blues-Mantra des Refrains führen wird. Ebenso wie mit der als erste Single ausgekoppelten Befreiungs-Ballade „Heaven“ ist damit erklärt, was Martin Gore vorab mit Songs meinte, die eine Art Frieden ermöglichen wollen. 

Schuld und Sühne

Die hier (und wie so oft seit Anfang der 90er-Jahre) instrumentalisierte Religions-Symbolik passt entsprechend gut zu einem zwischen Schuld und Sühne angesiedelten Karriereweg, der bei Depeche Mode selbst als Passion lesbar ist. Davon, wie vergleichsweise profan das Seelenheil doch erreicht werden kann, kündet der für die Großraumarena produzierte Synthie-Blues von „Soothe My Soul“, der Gahan nach einem „girl“ lechzen lässt. Das von ihm selbst geschriebene „Should Be Higher“ wiederum bündelt als zwischen Licht und Schatten mäanderndes Albumhighlight auch live alle Kernkompetenzen.

Apropos: Was an sublimen Momenten möglich wäre, darf bei Songs wie „Barrel Of A Gun“ aus 1997 und der live von Martin Gore gegebenen Götterballade „Only When I Lose Myself“ überprüft werden. Dass im Stadion nur wenig davon übrig bleibt, ist zwar gelebte Erfahrung. Am Ende dieses per Mobilfunkkonzern präsentierten Abends strahlen die Schmerzensmenschen im Publikum nichtsdestotrotz wie zuvor schon ihre Smartphones. Auch H.P. Baxxter von Scooter fand das Konzert dem Vernehmen nach megageil. 

(Wiener Zeitung, 26.3.2013)

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