- Karriereschatten
"Boygroup"
Statistisch betrachtet ist die
Chance, als ehemaliges Boygroup-Mitglied eine erfolgreiche Solokarriere zu
starten, weniger aussichtsreich, als mit Meldungen über einen Besuch bei Betty
Ford und ihren kranken Schwestern oder ur-investigativen Reportagen über
unbezahlbare Stromrechnungen in der Klatschpresse zu landen. Neben der Info „ …
ist glücklich verheiratet und Vater eines Sohnes“ geben Datenbanken für
nutzloses Wissen und Society-Portale aber auch darüber Auskunft, dass nach in
Netzhemden und Gummihosen verbrachten Arbeitsjahren auf der Bühne oft ein
Wechsel in als solider empfundene Branchen nottut, die von manchen als
Halsabschneiderei, von anderen wiederum als Immobiliensektor bezeichnet werden.
Kurz: Wer sich im Fernsehen als
„Dancing Star“ oder Juror im „Starmania“-Fach durchschlagen darf, ist
vergleichsweise gut dabei. Robbie Williams (Take That) als in den
Fußballstadien Europas und Justin Timberlake ('N Sync) als im Gegensatz dazu
auch und vor allem in den USA reüssierender Entertainer sind große Ausnahmen.
Als Industrieprodukt zur
Umsatzmaximierung der in den 90er-Jahren noch wesentlich größeren Major-Labels
waren Boygroup-Karrieren zwar grundsätzlich auf Kurzlebigkeit angelegt – nicht
nur, aber auch weil das akut minderjährige Zielpublikum irgendwann erwachsen
werden wollte. Aufgrund hart selektierender Castings und eingedenk der
Vorlaufzeiten über Talentwettbewerbe sind die mangelnden Zweitlaufbahnen am
Ende aber doch erstaunlich. Stigmatisierung per Peinlichkeitsverdacht oder die
Unmöglichkeit, bereits mit Anfang 20 als ironischer Schatten seiner selbst (wie
David Hasselhoff) durch die Peripherie zu gondeln, sind als Gründe zu nennen.
Und natürlich auch die Schwierigkeit, nach erfolgter Bandauflösung ein
emanzipiertes Künstler-Ich anzunehmen – niemand war diesbezüglich konsequenter
und erfolgreicher als Robbie Williams, dessen Stammband gleichfalls ein
Kunststück gelang. Immerhin gelten die wiedervereinten Take That vor allem in
ihrer britischen Heimat nach wie vor als Teil der kommerziellen Oberliga, wofür
wiederum ihre mehr oder minder würdevolle Erwachsenwerdung verantwortlich
zeichnet.
Apropos: Auf Youtube sind Videos
des 13-jährigen Justin Timberlake aus seiner Kaderschmiede, dem auch von
Britney Spears, Christina Aguilera oder Ryan Gosling moderierten „Mickey Mouse
Club“, ein Hit. Man kann sich vorstellen, dass die aktuell mit dem nötigen
Kleingeld kompensierte Entwicklung zum globalen Player nicht immer die
scheinbare Kinderjause war.
(Wiener Zeitung,
15.3.2013)
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