Donnerstag, April 11, 2013

Einwegflöten und Gefühle

Eros Ramazzotti gastierte im Rahmen seiner „Noi World Tour“ wieder einmal in Wien

Der frühe Dienstantritt um 19.30 Uhr bringt es mit sich, dass beträchtliche Teile des Publikums noch vor der Stadthalle stehen, als das Konzert beginnt. Und während die pünktlich Anwesenden gerade über den besten Balsamico-Essig aus der Emilia-Romagna diskutieren, setzt es von der Bühne herab bereits das erste Stromrockgitarrensolo. Geschuldet ist es mit „Ancora Vita“ einem Stück aus 1991, dessen Whitney-Houston-Gedenkkeyboards gleichfalls erklären, dass nicht alles im Werk von Eros Ramazzotti so gut gealtert ist wie der mit 49 Jahren blendend aussehende Held dieses Abends.

Genau diese doch etwas angestaubten Italo-Hadern sind es allerdings, die eine zum Schmuserock-Kuschelsong neigende Formatradiozielgruppengesellschaft alle drei Jahre in die Mehrzweckhalle ihrer Heimatstadt pilgern lassen. Wir haben uns heute versammelt, um den größten Hits der 80er- und 90er-Jahre zu lauschen. Wir hören ein dramatisches „Adesso tu“, das von Ramazzotti an der akustischen Surfer-Gitarre gegebene „L’aurora“ und natürlich „Se bastasse una calzone“, den Song von der Pizzeria am Eck. 

Sicher, es stehen auch Lieder vom aktuellen Album „Noi“ auf der Setlist, mit denen Ramazzotti beweist, dass er nichts mehr beweisen muss. Nach einer Weltkarriere daheim in Italien sowie mindestens auch quer durch die einstige „Wetten, dass..?“-Empfangszone Deutschland, Österreich, Schweiz darf man heute gepflegten Midtempo-Pop liefern, der im Radio nicht weiter auffällt und es den Fans live ermöglicht, von draußen an der Bar Nachschub zu holen. Immerhin hat man sich von Seiten der Wiener Stadthalle gut auf das Konzert vorbereitet und schüttet Prosecco in Einwegflöten aus Plastik, mit denen sich die im Saal anwesenden Vorstandsvorsitzenden und ihre zu jungen Lebensabschnittspartnerinnen heute einen kleinen Damenspitz antrinken dürfen. Die sanfte Ignoranz dem neuen Material gegenüber ist zumindest insofern aber unangebracht, als dieses auf Preset-Unglücke am Keyboard und das überbordend eingesetzte Tina-Turner-Saxofon verzichtet, mit dem ein zwecks Authentizität und Emozione von Amerika drüben engagierter Musiker bei den Klassikern Dienst leisten darf. 

Mit seiner siebenköpfigen Band und zwei mit viel Ausdruck singenden Models am Mikrofonständer absolviert ein leger in Jeanshose und T-Shirt gekleideter Eros das Konzert mehr oder weniger aus dem Stand heraus. Er singt seine zwei und hierzulande im Schlagerkarussell rotierenden Textsujets vom „Bleib immer mein“ und „Komm wieder zu mir“ nicht mit mehr Nachdruck als nötig. Bei den Hits übernimmt das Publikum selbst. Italienische Arbeitsteilung. Ein Chef muss delegieren können. Und geht es bei Eros Ramazzotti nicht immer darum, dass wir nur gemeinsam auch wirklich zusammener sind?

Auf einer betont modernen Modulbühne erweist sich der Mann während einer Spielzeit von knapp zwei Stunden aber eh als sympathisch. Man muss sich nur die Rainhard-Fendrich-Akkorde wegdenken, die unter dem Gospelchor lauern. Händeschütteln im Bühnengraben. Textablesen vom Teleprompter. Sexy-funky Latin-Lover-Version von „Fuoco nel fuoco“ spielen gehen und mit „Più bella cosa“ noch einmal alle beglücken.

Zum untypischen und mit einem kleinen Pfeifkonzert aus dem Saal beantworteten Ende um 21:24 Uhr nur zwei Dinge: Ein wilder Rocker in dem Sinn war der Fußball-Fan Eros Ramazzotti ja noch nie. Und hatte es nicht etwas Tröstliches, Juventus Turin per Fernsehdrang zumindest über den Kunstgenuss triumphieren zu lassen?

(Wiener Zeitung, 12.4.2013)

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