James Blake, 2011 für seine
Kunstlieder zwischen Dubstep und Soul gefeiert, ist zurück
- Neues Album „Overgrown“ mit Brian Eno
und RZA
Ein Trick von James Blake ist
es, aus einem im Studio entworfenen Song einen Teil auszuschneiden, der als
Loop den Takt des Endresultats vorgibt. Auf „Overgrown“, dem soeben
erschienenen zweiten Album des britischen Musikers, wäre ein Stück namens
„Voyeur“ als Beispiel zu nennen, dessen Cutting-Technik betont unsauber
daherkommt und einen denkbar unvermittelten Einstieg ins Geschehen bedingt –
startet der Loop (und somit der Song) doch inmitten eines Wortes, das der
Schere zum Opfer fiel.
Stimm- und Klangspiele
James Blake liebt diese und
ähnliche Techniken, die die Songs zwischendurch klingen lassen, als wäre ihr
Trägermedium oder das Abspielgerät am Verrecken. Wir hören die Metaebene mit.
Etwa auch, wenn der erst 24-Jährige – und das ist ein zweiter Schmäh, der
bevorzugt zur Anwendung kommt – mit sanftem Hall auf der Stimme singt, und eine
Abspaltung des dabei eingeführten Motivs, aus dem Hintergrund spukend, später
mit ihm in Interaktion treten wird. Einmal ganz abgesehen von den Chören, die
ausschließlich aus der geschichteten Stimme unseres Helden bestehen.
Eingebettet sind diese
Arbeitsweisen spätestens seit dem selbstbenannten Debütalbum, mit dem Blake vor
zwei Jahren (und nach der vorangegangenen Veröffentlichung dreier Eps)
international reüssierte, in eine eigentümliche Mischung.
Einerseits kam und
kommt der Produzent James Blake vom Dubstep her, der als Genreamalgam viel Raum
für Klangspiele lässt: Brummende und brodelnde Subbass-Attacken, nervös
machendes elektronisches Surren, Zeitlupenbeats und jede Menge Hall, Hall,
Hall stehen entsprechend auch auf „Overgrown“ auf dem Programm. Andererseits
kennt man den Songwriter James Blake für ein schüchternes Songwriting, das, mit
leidender Stimme vorgetragen, vor allem das Erbe von Gospel, Soul und R&B
reflektiert und mit Blake am Klavier seinen organischen Mehrwert erhält. So
kühl die Ergebnisse in ihrer Form als Binär-Soul die meiste Zeit über auch
klingen mögen, so sehr zielt die konservativ anmutende Kritik doch ins Leere,
Blakes Musik würde die Ästhetik über Gefühle stellen oder keine Seele besitzen.
Lichtjahre nach den Elektronik-Vorreitern Kraftwerk und deren Inszenierung als
Mensch-Maschinen sollten derlei Diskussionen über Kunst und Künstlichkeit
hinfällig sein – zumal die Symbiose aus Klapprechner und dem diesen bedienenden
Musiker bei Blake auf so wunderbare wie selbstverständliche Art und Weise
funktioniert.
Enigmatische Texte
Im Gegensatz zum gewohnt
betrübten, verstimmten oder gerne auch nachtschwarzen Klangbild, ist bei den zehn Songs des Zweitlings tatsächlich der Verzicht auf die stimmverzerrenden
Auto-Tune-Effekte des Debütalbums neu sowie die Eingemeindung einer Gaststimme, die
mit dusteren Raps auf den Wu-Tang-Rädelsführer RZA zurückgeht. Auf der
Produktionsebene wiederum entstand das von synthetischen Sirenengeräuschen und
hektischem Rattern bestimmte „Digital Lion“ bei einer Tasse Tee mit Brian Eno.
Wir hören überraschende Brüche,
glasklar gesetzte bis bedrohlich verzerrte Sounds, Aussparung, Stille,
gischtgleiche Vor- und Zurück-Bewegungen, aber auch Techno-Zwischenspiele
(„Voyeur“), Beats, die Neo-R&B mit Artyness aufladen („Life Round
Here“) und astreinen Laptop-Gospel („Retrograde“) – sowie gewohnt ökonomische
und dabei bevorzugt enigmatische Texte.
Dass James Blake mittlerweile sein privates Glück gefunden hat, ist den
Ergebnissen übrigens nicht anzuhören, bis „Our Love Comes Back“ das Album
beendet: als smoother Schleicher und mit sanftem Raunen.
(Wiener Zeitung, 10.4.2013)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen