Dienstag, April 09, 2013

Mensch-Maschinen-Musik

James Blake, 2011 für seine Kunstlieder zwischen Dubstep und Soul gefeiert, ist zurück

- Neues Album „Overgrown“ mit Brian Eno und RZA 

Ein Trick von James Blake ist es, aus einem im Studio entworfenen Song einen Teil auszuschneiden, der als Loop den Takt des Endresultats vorgibt. Auf „Overgrown“, dem soeben erschienenen zweiten Album des britischen Musikers, wäre ein Stück namens „Voyeur“ als Beispiel zu nennen, dessen Cutting-Technik betont unsauber daherkommt und einen denkbar unvermittelten Einstieg ins Geschehen bedingt – startet der Loop (und somit der Song) doch inmitten eines Wortes, das der Schere zum Opfer fiel. 

Stimm- und Klangspiele 

James Blake liebt diese und ähnliche Techniken, die die Songs zwischendurch klingen lassen, als wäre ihr Trägermedium oder das Abspielgerät am Verrecken. Wir hören die Metaebene mit. Etwa auch, wenn der erst 24-Jährige – und das ist ein zweiter Schmäh, der bevorzugt zur Anwendung kommt – mit sanftem Hall auf der Stimme singt, und eine Abspaltung des dabei eingeführten Motivs, aus dem Hintergrund spukend, später mit ihm in Interaktion treten wird. Einmal ganz abgesehen von den Chören, die ausschließlich aus der geschichteten Stimme unseres Helden bestehen.
Eingebettet sind diese Arbeitsweisen spätestens seit dem selbstbenannten Debütalbum, mit dem Blake vor zwei Jahren (und nach der vorangegangenen Veröffentlichung dreier Eps) international reüssierte, in eine eigentümliche Mischung. 

Einerseits kam und kommt der Produzent James Blake vom Dubstep her, der als Genreamalgam viel Raum für Klangspiele lässt: Brummende und brodelnde Subbass-Attacken, nervös machendes elektronisches Surren, Zeitlupenbeats und jede Menge Hall, Hall, Hall stehen entsprechend auch auf „Overgrown“ auf dem Programm. Andererseits kennt man den Songwriter James Blake für ein schüchternes Songwriting, das, mit leidender Stimme vorgetragen, vor allem das Erbe von Gospel, Soul und R&B reflektiert und mit Blake am Klavier seinen organischen Mehrwert erhält. So kühl die Ergebnisse in ihrer Form als Binär-Soul die meiste Zeit über auch klingen mögen, so sehr zielt die konservativ anmutende Kritik doch ins Leere, Blakes Musik würde die Ästhetik über Gefühle stellen oder keine Seele besitzen. Lichtjahre nach den Elektronik-Vorreitern Kraftwerk und deren Inszenierung als Mensch-Maschinen sollten derlei Diskussionen über Kunst und Künstlichkeit hinfällig sein – zumal die Symbiose aus Klapprechner und dem diesen bedienenden Musiker bei Blake auf so wunderbare wie selbstverständliche Art und Weise funktioniert. 

Enigmatische Texte 

Im Gegensatz zum gewohnt betrübten, verstimmten oder gerne auch nachtschwarzen Klangbild, ist bei den zehn Songs des Zweitlings tatsächlich der Verzicht auf die stimmverzerrenden Auto-Tune-Effekte des Debütalbums neu sowie die Eingemeindung einer Gaststimme, die mit dusteren Raps auf den Wu-Tang-Rädelsführer RZA zurückgeht. Auf der Produktionsebene wiederum entstand das von synthetischen Sirenengeräuschen und hektischem Rattern bestimmte „Digital Lion“ bei einer Tasse Tee mit Brian Eno. 

Wir hören überraschende Brüche, glasklar gesetzte bis bedrohlich verzerrte Sounds, Aussparung, Stille, gischtgleiche Vor- und Zurück-Bewegungen, aber auch Techno-Zwischenspiele („Voyeur“), Beats, die Neo-R&B mit Artyness aufladen („Life Round Here“) und astreinen Laptop-Gospel („Retrograde“) – sowie gewohnt ökonomische und dabei bevorzugt enigmatische Texte.

Dass James Blake mittlerweile sein privates Glück gefunden hat, ist den Ergebnissen übrigens nicht anzuhören, bis „Our Love Comes Back“ das Album beendet: als smoother Schleicher und mit sanftem Raunen.

(Wiener Zeitung, 10.4.2013)

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