Freitag, April 05, 2013

Songs of Herz und Schmerz

„Sing To The Moon“: Die 26-jährige Britin Laura Mvula und ihr Debütalbum

- Orchestraler Pop trifft auf Black Music 

Zunächst einmal wäre anzumerken, dass Laura Mvula zu Unrecht „nur“ auf Platz vier des „BBC Sound of 2013“-Rankings zu finden war, das als einschlägigste Durchbruchsprognose auch heuer wieder über die Newcomer der Folgesaison informierte (um sie als selbsterfüllende Prophezeiung gleichsam zu fördern): Im direkten Vergleich mit der blutjungen, aus der sonnigen Entertainment-Metropole Los Angeles stammenden Schwesternband Haim, die die Listenspitze diesmal erklomm, hatte Mvula zwar das offensichtlichere Talent und ungleich mehr Substanz in den besseren Vorabsongs. Womöglich war es aber auch ihr an ein erwachseneres Publikum gerichteter Popentwurf, der den in dieser Hinsicht breiter aufgestellten Haim – der Jugend eine Chance! – am Ende zugutekam. 

Von den Inhalten einmal abgesehen, geht die erwachsene Aura von Mvulas Musik vordergründig auf einen Stilmix aus orchestralem Pop und Black Music zurück – wobei vor allem in den starken Gospel-, Soul- und R&B-Bezügen der Songs eine nicht zu unterschätzende Gefahr lauert. Nach dem Siegeszug von Amy Winehouse und den im Anschluss entsprechend auch über stattliche Pfund- und Dollar-Etats geförderten Karrieren von Sängerinnen wie Adele, Duffy, Rumer und vielen anderen mehr mag die öffentliche Meinung einen neuen Namen als bloß eine weitere Stimme im Genre-Kanon betrachten. Die aus Birmingham gebürtige Musikerin mit karibischen Vorfahren allerdings hat hörbar genug Potenzial, um ähnliche Vorwürfe erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Hinter der Raffinesse ihres nun vorliegenden Debütalbums „Sing To The Moon“ liegt ein langer und klassischer Weg der musikalischen Vor-, Aus- und Weiterbildung: Seit Kindheitstagen am Klavier und an der Geige aktiv, engagierte sich die heute 26-Jährige später in Gospelchören und Soulbands, ehe sie am Konservatorium ihrer Heimatstadt ein Kompositions-Diplom erlangte. Dem erdigen Klang ihrer auf modernistisches Beiwerk verzichtenden Songs zum Trotz entstanden erste Skizzen aber nicht etwa am Flügel oder beim Griff in die Saiten, sondern am Klapprechner daheim auf der Couch, während Mvula ihren Lebensunterhalt noch als Hauptschullehrerein verdiente. Der rasche Weg zum Plattenvertrag mit der Sony-Tochter RCA Records in New York City muss sich auch aktuell noch etwas surreal anfühlen. 

Ästhetisch werden die zwölf Songs ihres Erstlingswerks nun von dichten Orchesterklängen (und unter besonderer Berücksichtigung von zartem Streicherschmelz, taumelnden Harfen und Paukendonner) sowie den verschiedenen Spielarten genuin schwarzer Genres getragen – zudem stehen innige, afrikanisch angehauchte Gruppengesänge und Vokalschichtungen ebenso im Vordergrund wie liebliche Glocken- und Glockenspielmelodien, die den gefühligen Charakter des Albums untermauern. Die dahingehende Könnerschaft wird mit „Like The Morning Dew“ bereits vom Auftaktsong unter Beweis gestellt, dessen zwischenzeitlicher Wiegenlied-Einschlag mit beschwingt-ratternden Snare-Drums aus der Marching-Band-Schule später zu neuem Leben erwacht – Verlustangst, Los-lassen-Müssen, Herzerwärmung, alles ist dabei. Als R&B-Stampfer mit tonangebenden Blechbläsern erweist sich im Anschluss das von Mvula auf Angriffslust gestimmte „Make Me Lovely“ („Please don’t try to hold me down / It’s over now!“), ehe „Green Garden“ als nicht nur vergleichsweise dezent arrangierter Pop-Moment mit vom Jazz her kommendem Kontrabass, Handclaps und Vocoder-Chören bei der Wieder-Ankunft am Wohlfühlort für heiter-melancholische Glücksgefühle sorgt: „Take me outside / sit in the green garden / Nobody out there / but it’s okay now / Bathe in the sunlight / don’t mind if rain falls …“ – runterkommen, abschalten, durchatmen. Musikalisch findet Mvula die Balance zwischen konsumbedingender Leichtigkeit und songschreiberischer Tiefe hier auf eine mehr als überzeugende Art und Weise.

Für die extrem homogene Produktion wiederum ist es erstaunlich, dass das Album auch über die Spielzeit von 50 Minuten hinweg nicht monoton wird. Schließlich bieten die inhaltlich zwischen Herz, Schmerz, emotionaler Standortbestimmung und Seelentröstung changierenden Songs auch noch Momente seufzender Barhocker-Kontemplation („Can’t Live With The World“) und biegen mit „Is There Anybody Out There?“ zwischendurch in Richtung einer Art Outer-Space- und Sci-Fi-Tauglichkeit ab, ehe es „Father, Father“ als Meditation am Gospelklavier spielt und das Album mit „I Don’t Know What The Weather Will Be“ gegen Ende hin einen sublimen Höhepunkt in Sachen Songwriting erreicht.

Keine Frage: Laura Mvula ist mit „Sing To The Moon“ der perfekte Karriereauftakt geglückt. Wir haben es mit einem im besten Sinne berührenden Album zu tun, das die Laufkundschaft im richtigen Moment ganz schön am falschen Fuß erwischen kann. 

Laura Mvula: Sing To The Moon (RCA / Sony Music)

(Wiener Zeitung, 5.4.2013)

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