Freitag, April 05, 2013

„Tsk, iits-plong“

„Shaking The Habitual“: Das schwedische Duo The Knife und sein neues Album

- Ein dekonstruktivistisches Manifest in 13 Akten 

Bereits die zweite Nummer am Album hört sich an, wie die Filme des US-amerikanischen Abstrakt- und Krypto-Regisseurs David Lynch aussehen. Die Rede ist von überschminkten Zwergen in Damenunterwäsche, gut abgelebten Männern, die von gut aussehenden Schauspielstudentinnen an der Leine Gassi geführt werden, sowie von einem Close-up auf den diabolisch lachenden Dorfgendarmen, um den herum es im Stroboskopgewitter Dollarscheine und Kokain durch den Trockeneisnebel schneit. Im Hintergrund: Vier Prostituierte, zwei Barkeeper, acht Flaschen Whiskey und mindestens ein großes Fragezeichen. 

Hinterfragte Gewohnheiten 

Und auch der im Anschluss gereichte, sagen wir, Song, mit dem das aus Schweden stammende Geschwisterduo The Knife so etwas Ähnliches wie Avantgarde nach Scott Walker spielen geht, lässt in Sachen Fiebertraum als Musik keinen Wunsch offen. Nicht erst bei „Wrap Your Arms Around Me“, mit dem die Einstürzenden Neubauten anno 1981 auf einer Baustelle in Westberlin aufgesucht werden, als N. U. Unruh mit einem Mords-Schepperer gerade die Hirnsäge aus der Hand und auf ein Wellblechdach fällt, sollte sich der Hintergrund dieser Arbeit also erklärt haben. Mit ihrem neuen und mittlerweile vierten Studio-Album, das den bei Michel Foucault entlehnten Titel „Shaking The Habitual“ trägt, müssen musikalische Hörgewohnheiten zugunsten eines radikalen künstlerischen Statements im Sinne von Dekonstruktion und Zerlegungswahn wieder einmal hinterfragt werden wollen. Kopfmusik mit der Betonung auf „Kopf“, die so fantastisch klingt, dass es weh tut, steht über die Dauer von nicht weniger als 98 betont schwierigen und gelegentlich auch sehr langen Spielminuten auf dem Programm.

Nach dem Klangstudium im Unterfach „Wind und dessen Folgen in gegeneinander krachenden Metallstäben, die von der Wäscheleine baumeln“, hören wir einem Zither-Spieler andächtig beim Stimmen zu. Die Keyboards klingen wie Babyaffen beim Herumtollen im Zoogehege, sofern es sich dabei nicht doch um vom Free Jazz her kommende Klarinetten handelt, mit denen sich der Klapprechner einen Jux erlaubt. Ein Track besteht aus Säge-, Schaukel- und Kehlkopfgeräuschen, während uns mit „Old Dreams Waiting To Be Realized“ das 19-minütige Schlüsselstück des Albums die Südosttangente von Dröhnland ins Wohnzimmer weht. Die Protagonisten von David Lynch setzen jetzt die Gasmaske auf und beginnen zu röcheln. Achtung, Umweltkatastrophen-, Abgas- und womöglich auch akuter Fetischalarm! Das dabei als Rhythmusinstrument zweckentfremdete Geräusch dürfte übrigens auf eine Bachforelle zurückzuführen sein, die sich am Asphalt windend und wendend noch gegen den Fischhimmel sträubt. 

Kurz: Vom intelligenten und dabei noch gefälligen Elektropop ihres selbstbenannten Debütalbums von 2001 sowie der Nachfolgewerke „Deep Cuts“ (2003) und „Silent Shout“ (2006) haben sich The Knife zwar bereits mit ihrer modernen Evolutionsoper frei nach Charles Darwin weitestmöglich entfernt, die vor drei Jahren zwischen surrenden Laptops und gurrenden Hühnern auch auf der Doppel-CD „Tomorrow, In A Year“ festgehalten wurde. Mit „Shaking The Habitual“ ist nun aber ein Höhepunkt in der Kunstwerdung des Duos erreicht, das die Nachwehen von frühem Techno auch heute noch zulässt, sie ohne Anspruch auf Clubtauglichkeit aber eher als Angebot an isländische Installationskünstler zur Verwendung für audiovisuell bespielte Innenstadtflächen anlegt. 

Man kann sich vorstellen, dass der thematische Referenzkosmos des Albums kaum unambitionierter ausfällt. Von Gendertheorie und Queer Studies geht es über die Irrwege des Finanzkapitalismus bald hin zu Naturkatastrophen, Endzeitstimmung und Weltuntergang, auf den mit „Oryx“ und „Crake“ bereits die auf Margaret Atwoods Dystopie-Literatur verweisenden Songtitel deuten. 

Harmonieleere, Unbehagen, Ambient-Drones, Klangabstraktionen und Gesang, der kein Gesang sein will – sowie natürlich nervös machende Atmosphären, nachtschwarze Stimmungen und kakofonische Störgeräusche, verschmolzen zu einem Meisterwerk und Manifest der Verweigerung. Und auch wenn dazwischen etwas aufblitzen sollte, das die Allgemeinheit als Musik anerkennt: Hieße man Björk, müsste man jetzt verdammt neidisch sein. 

(Wiener Zeitung, 6./7.4.2013)

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