„Shaking The Habitual“: Das
schwedische Duo The Knife und sein neues Album
- Ein dekonstruktivistisches
Manifest in 13 Akten
Bereits die zweite Nummer am
Album hört sich an, wie die Filme des US-amerikanischen Abstrakt- und
Krypto-Regisseurs David Lynch aussehen. Die Rede ist von überschminkten Zwergen
in Damenunterwäsche, gut abgelebten Männern, die von gut aussehenden
Schauspielstudentinnen an der Leine Gassi geführt werden, sowie von einem
Close-up auf den diabolisch lachenden Dorfgendarmen, um den herum es im
Stroboskopgewitter Dollarscheine und Kokain durch den Trockeneisnebel schneit.
Im Hintergrund: Vier Prostituierte, zwei Barkeeper, acht Flaschen Whiskey und
mindestens ein großes Fragezeichen.
Hinterfragte Gewohnheiten
Und auch der im Anschluss
gereichte, sagen wir, Song, mit dem das aus Schweden stammende Geschwisterduo
The Knife so etwas Ähnliches wie Avantgarde nach Scott Walker spielen geht,
lässt in Sachen Fiebertraum als Musik keinen Wunsch offen. Nicht erst bei „Wrap
Your Arms Around Me“, mit dem die Einstürzenden Neubauten anno 1981 auf einer
Baustelle in Westberlin aufgesucht werden, als N. U. Unruh mit einem
Mords-Schepperer gerade die Hirnsäge aus der Hand und auf ein Wellblechdach
fällt, sollte sich der Hintergrund dieser Arbeit also erklärt haben. Mit ihrem
neuen und mittlerweile vierten Studio-Album, das den bei Michel Foucault
entlehnten Titel „Shaking The Habitual“ trägt, müssen musikalische
Hörgewohnheiten zugunsten eines radikalen künstlerischen Statements im Sinne
von Dekonstruktion und Zerlegungswahn wieder einmal hinterfragt werden wollen.
Kopfmusik mit der Betonung auf „Kopf“, die so fantastisch klingt, dass es weh
tut, steht über die Dauer von nicht weniger als 98 betont schwierigen und
gelegentlich auch sehr langen Spielminuten auf dem Programm.
Nach dem Klangstudium im
Unterfach „Wind und dessen Folgen in gegeneinander krachenden Metallstäben, die
von der Wäscheleine baumeln“, hören wir einem Zither-Spieler andächtig beim
Stimmen zu. Die Keyboards klingen wie Babyaffen beim Herumtollen im Zoogehege,
sofern es sich dabei nicht doch um vom Free Jazz her kommende Klarinetten
handelt, mit denen sich der Klapprechner einen Jux erlaubt. Ein Track besteht
aus Säge-, Schaukel- und Kehlkopfgeräuschen, während uns mit „Old Dreams
Waiting To Be Realized“ das 19-minütige Schlüsselstück des Albums die
Südosttangente von Dröhnland ins Wohnzimmer weht. Die Protagonisten von David
Lynch setzen jetzt die Gasmaske auf und beginnen zu röcheln. Achtung,
Umweltkatastrophen-, Abgas- und womöglich auch akuter Fetischalarm! Das dabei
als Rhythmusinstrument zweckentfremdete Geräusch dürfte übrigens auf eine
Bachforelle zurückzuführen sein, die sich am Asphalt windend und wendend noch
gegen den Fischhimmel sträubt.
Kurz: Vom intelligenten und
dabei noch gefälligen Elektropop ihres selbstbenannten Debütalbums von 2001
sowie der Nachfolgewerke „Deep Cuts“ (2003) und „Silent Shout“ (2006) haben
sich The Knife zwar bereits mit ihrer modernen Evolutionsoper frei nach Charles
Darwin weitestmöglich entfernt, die vor drei Jahren zwischen surrenden Laptops
und gurrenden Hühnern auch auf der Doppel-CD „Tomorrow, In A Year“ festgehalten
wurde. Mit „Shaking The Habitual“ ist nun aber ein Höhepunkt in der
Kunstwerdung des Duos erreicht, das die Nachwehen von frühem Techno auch heute
noch zulässt, sie ohne Anspruch auf Clubtauglichkeit aber eher als Angebot an
isländische Installationskünstler zur Verwendung für audiovisuell bespielte
Innenstadtflächen anlegt.
Man kann sich vorstellen, dass
der thematische Referenzkosmos des Albums kaum unambitionierter ausfällt. Von
Gendertheorie und Queer Studies geht es über die Irrwege des Finanzkapitalismus
bald hin zu Naturkatastrophen, Endzeitstimmung und Weltuntergang, auf den mit
„Oryx“ und „Crake“ bereits die auf Margaret Atwoods Dystopie-Literatur
verweisenden Songtitel deuten.
Harmonieleere, Unbehagen,
Ambient-Drones, Klangabstraktionen und Gesang, der kein Gesang sein will –
sowie natürlich nervös machende Atmosphären, nachtschwarze Stimmungen und
kakofonische Störgeräusche, verschmolzen zu einem Meisterwerk und Manifest der
Verweigerung. Und auch wenn dazwischen etwas aufblitzen sollte, das die
Allgemeinheit als Musik anerkennt: Hieße man Björk, müsste man jetzt verdammt
neidisch sein.
(Wiener Zeitung, 6./7.4.2013)
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