Schall &
Rauch
Entgegen
der mehrheitlich von religiös-spirituellen Bewegungen und zwielichtigen Berufspolitikern
gepflegten Suche nach Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, sogenannten Werten und der
einen, tatsächlichen und wirklichen Wahrheit, fühlt sich der Endverbraucher in
uns noch immer am wohlsten, wenn er nach Strich und Faden belogen wird. 36
Millionen Follower von Justin Bieber auf Twitter können nicht irren. Das
Wahlvolk hat immer recht. Und auch die Analogkäse, Restl-Presswurst und faschiertem
Pferd zum Trotz mindestens boomende Instant-„Gourmet“-Branche ist dankbar für
den Input, den Hollywood und Kastelruth ihr in puncto Echtheit bescheren. Und so
sprach Pietro Pizzi zu den Dienern: Belegt die Margherita mit Gummi! Und aus
Gummi wurde Mozzarella.
Push-up-BHs,
Botox, Eigenhaartransplantationen, aber auch virtuelle Realitäten, Florian
Silbereisen und Lady Gaga: Vielleicht einmal abgesehen von Beziehungsfragen und
der bitteschön dann doch besser faktengetreuen Auskunft von Politikern und
Ökonomen in Sachen Banken- und Wirtschaftskrise sind uns Wahrheit und
Wirklichkeit aktuell nicht mehr zumutbar. Sie sind langweilig, nicht sexy, gemein
und tun weh, während der Schwindel unsere Nerven beruhigt und in seiner
systemstabilisierenden Art alles wohlig am Laufen hält. Manche sagen Notlüge, andere
„Photoshop“, „nach oben zeigende Formkurve“, „öffentlich-rechtlicher Mehrwert“
oder „Optimierung der Konzernstruktur“ dazu. Mit ein klein wenig gutem Willen
also, mit entsprechend angepasster Diktion und durch die Euphemismus-Brille betrachtet,
ist die Welt am Ende ja doch noch in Ordnung.
Nicht
von ungefähr heißt es, dass die Azubis und Azubinen der Kommunikationsbranche im
Hauptberuf nur mehr selten investigativ, oft allerdings Pressesprecher und
Promo-Frau von Presspferd-Konzernen sein wollen. Das ist zwar Käse, der Welt
aber grundsätzlich wurst – wobei der Arbeitsmarkt die Sache mit der
Gleichgültigkeit sanft relativiert und bezüglich des rechten, echten, wahrhaften
und tatsächlichen (sprich: des erwünschten) Wegs in eine Richtung
weist, wo das verkaufbare „Ja“ deutlich näher liegt als das strukturkritische „Nein“.
Warum
sich auch von Tatsachen depressiv machen lassen, wenn man in der (Selbst)-Täuschung
glücklich sein kann? Die Zeitung macht Zukunftsangst, Marketing hingegen macht
gute Laune. Wahrheit ist nicht wichtig, aber eine Frage des Standpunkts.
Sollten
Sie das alles übrigens anders sehen: vielleicht will ich Ihnen auch bloß etwas
vormachen. Von meinem Opa weiß ich, dass Fakten einer guten Geschichte durchaus
im Weg stehen können.
(Wiener Zeitung, 6./7.4.2013)
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