Montag, Oktober 28, 2013

Seinerzeit unerhört

1942–2013: Lou Reed, über Dekaden aktive Zentralfigur der Rockgeschichte, ist tot.

Am Sonntag verstarb Lou Reed 71-jährig in New York

Bereits das im kollektiven Gedächtnis als Karriereauftakt Lou Reeds abgespeicherte Debütalbum von The Velvet Underground & Nico – bekannt auch über die Banane auf dem von Andy Warhol gestalteten Cover – sorgte für klare Verhältnisse. Zu Texten über Drogenmissbrauch oder obsessive sexuelle Beziehungen unter den Vorzeichen etwa von Sadomasochismus krawallte und krachte die Musik nicht nur für seinerzeitige Verhältnisse unerhört kaputt aus den Boxen. Bei gleichzeitiger Beibehaltung hübscher Melodien und einer mitunter „bloß“ melancholischen Grundgestimmtheit war ein Weg vorgegangen, auf dem Folgegenerationen von Bands das innige Verhältnis von Lärm und Schönheit weiter erforschen konnten.


Kalte, harte Fakten


Tatsächlich gilt das Album in vielerlei Hinsicht als prägend. Zur Themenpalette und dem Sound, der auf Lou Reeds für Drone-Charakter sorgende Technik der jeweils auf denselben Ton gestimmten Gitarrensaiten ebenso zurückging wie auf John Cales sägende Bratsche, kam über Andy Warhol als Mentor und Manager nicht etwa nur der Bezug zur Kunstwelt ins Spiel. Selbst als Gesamtkunstwerk betrachtbar, legten The Velvet Underground mit Lou Reed als Texter und Hauptsongwriter den nüchternen Blick gerne auch auf die kalten und harten Fakten des Lebens. Veröffentlicht im März des Jahres 1967 und somit am sich abzeichnenden Höhepunkt der Hippie-Bewegung, war mit dem Erstlingswerk auch für einen Gegenpol zum vorherrschenden Zeitgeist gesorgt. Statt dem Glauben an eine bessere Welt ließ Reed das düstere Wissen um die Kaputtheit der Zeit regieren.


Biografisch beeinflusst war der am 2. März 1942 als Lewis Allan Reed geborene Musiker diesbezüglich bereits von einer schwierigen Jugend, an deren Ende Elektroschock-Therapien (!) zur „Heilung“ seiner Bisexualität standen. Reeds Interesse an Literatur, das später eigene (düstere) und bevorzugt mit trocken-nüchterner Stimme vorgetragene Texte entstehen ließ, führte zunächst zu einem als Bachelor abgeschlossenen Studium am Syracuse Universityʼs College of Arts and Sciences in seiner Heimatstadt New York. Nach einem ersten Geldjob in der Musikindustrie als Auftragsschreiber für das Label Pickwick Records sorgte schließlich die Begegnung mit John Cale für konkrete Karrierepläne. Trotz oder gerade wegen der schwierigen Beziehung der beiden für sich genommen schon komplizierten Künstlerpersönlichkeiten zueinander entstand nichts weniger als bis heute wichtige Pionierarbeit in Sachen Rock ’n’ Roll mit Experimentierbedürfnis und anderem Mehrwert.


Zwangspessimismus


In seinem von allzu vielen Hits, nicht aber von zahlreichen zwingenden Songs oder radikalen Stilwechseln verschonten Solokarriere verschärfte Reed den angesichts der Umstände da draußen gebotenen Zwangspessimismus noch. Nach kommerziell erfolgreichen Ausreißern wie „Perfect Day“ oder „Walk On The Wild Side“, einem Bekenntnis zum von Reed auch persönlich vorgelebten Exzess und zum Außenseitertum, das Form und Inhalt weit auseinanderklaffen ließ (und 1972 von David Bowie mitproduziert wurde), stand mit den Feedback-Orgien der als unhörbar geltenden Experimentalarbeit „Metal Machine Music“ drei Jahre später bereits Publikumsvertreibung auf dem Programm. Ähnlich und doch ganz anders geschah dies zuletzt etwa auch 2011 mit der Wedekind-Bearbeitung „Lulu“ im Verbund mit Metallica.


Zugänglicher, nicht aber weniger düster „Berlin“, sein 2008 im Rahmen des Jazz Fest Wien auch hierzulande wiederaufgeführtes Konzeptalbum von 1973. Berührender seine im Gedenken an Andy Warhol 1990 noch einmal mit John Cale entstandenen „Songs For Drella“. Poetischer seine Annäherung an Edgar Allan Poe mit „The Raven“ (2003). Entspannter sein letztes reguläres Studioalbum „Hudson River Wind Meditations“, einer Ambient-Musik zum Tai-Chi, mit dem sich der seit 2008 mit Laurie Anderson verheiratete Reed bis zuletzt fithalten wollte.


Von einer Lebertransplantation im Mai dieses Jahres allerdings konnte er sich nicht mehr erholen. Am Sonntag verstarb Lou Reed 71-jährig in New York.

(Wiener Zeitung, 29.10.2013)   

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