1942–2013: Lou
Reed, über Dekaden aktive Zentralfigur der Rockgeschichte, ist tot.
Am Sonntag
verstarb Lou Reed 71-jährig in New York
Bereits
das im kollektiven Gedächtnis als Karriereauftakt Lou Reeds abgespeicherte
Debütalbum von The Velvet Underground & Nico – bekannt auch über die Banane
auf dem von Andy Warhol gestalteten Cover – sorgte für klare Verhältnisse. Zu Texten
über Drogenmissbrauch oder obsessive sexuelle Beziehungen unter den Vorzeichen etwa
von Sadomasochismus krawallte und krachte die Musik nicht nur für seinerzeitige
Verhältnisse unerhört kaputt aus den Boxen. Bei gleichzeitiger Beibehaltung hübscher
Melodien und einer mitunter „bloß“ melancholischen Grundgestimmtheit war ein
Weg vorgegangen, auf dem Folgegenerationen von Bands das innige Verhältnis von
Lärm und Schönheit weiter erforschen konnten.
Kalte, harte
Fakten
Tatsächlich
gilt das Album in vielerlei Hinsicht als prägend. Zur Themenpalette und dem
Sound, der auf Lou Reeds für Drone-Charakter sorgende Technik der jeweils auf
denselben Ton gestimmten Gitarrensaiten ebenso zurückging wie auf John Cales
sägende Bratsche, kam über Andy Warhol als Mentor und Manager nicht etwa nur der
Bezug zur Kunstwelt ins Spiel. Selbst als Gesamtkunstwerk betrachtbar, legten
The Velvet Underground mit Lou Reed als Texter und Hauptsongwriter den nüchternen
Blick gerne auch auf die kalten und harten Fakten des Lebens. Veröffentlicht im
März des Jahres 1967 und somit am sich abzeichnenden Höhepunkt der
Hippie-Bewegung, war mit dem Erstlingswerk auch für einen Gegenpol zum
vorherrschenden Zeitgeist gesorgt. Statt dem Glauben an eine bessere Welt ließ
Reed das düstere Wissen um die Kaputtheit der Zeit regieren.
Biografisch
beeinflusst war der am 2. März 1942 als Lewis
Allan Reed geborene Musiker diesbezüglich
bereits von einer schwierigen Jugend, an deren Ende Elektroschock-Therapien (!)
zur „Heilung“ seiner Bisexualität standen. Reeds Interesse an Literatur, das
später eigene (düstere) und bevorzugt mit trocken-nüchterner Stimme
vorgetragene Texte entstehen ließ, führte zunächst zu einem als Bachelor
abgeschlossenen Studium am Syracuse Universityʼs College of Arts and
Sciences in seiner Heimatstadt New York. Nach einem ersten Geldjob in der
Musikindustrie als Auftragsschreiber für das Label Pickwick Records sorgte
schließlich die Begegnung mit John Cale für konkrete Karrierepläne. Trotz oder
gerade wegen der schwierigen Beziehung der beiden für sich genommen schon komplizierten
Künstlerpersönlichkeiten zueinander entstand nichts weniger als bis heute wichtige
Pionierarbeit in Sachen Rock ’n’ Roll mit Experimentierbedürfnis und anderem
Mehrwert.
Zwangspessimismus
In
seinem von allzu vielen Hits, nicht aber von zahlreichen zwingenden Songs oder
radikalen Stilwechseln verschonten Solokarriere verschärfte Reed den angesichts
der Umstände da draußen gebotenen Zwangspessimismus noch. Nach kommerziell
erfolgreichen Ausreißern wie „Perfect Day“ oder „Walk On The Wild Side“, einem
Bekenntnis zum von Reed auch persönlich vorgelebten Exzess und zum
Außenseitertum, das Form und Inhalt weit auseinanderklaffen ließ (und 1972 von
David Bowie mitproduziert wurde), stand mit den Feedback-Orgien der als
unhörbar geltenden Experimentalarbeit „Metal Machine Music“ drei Jahre später bereits
Publikumsvertreibung auf dem Programm. Ähnlich und doch ganz anders geschah
dies zuletzt etwa auch 2011 mit der Wedekind-Bearbeitung „Lulu“ im Verbund mit
Metallica.
Zugänglicher,
nicht aber weniger düster „Berlin“, sein 2008 im Rahmen des Jazz Fest Wien auch
hierzulande wiederaufgeführtes Konzeptalbum von 1973. Berührender seine im
Gedenken an Andy Warhol 1990 noch einmal mit John Cale entstandenen „Songs For
Drella“. Poetischer seine Annäherung an Edgar Allan Poe mit „The Raven“ (2003).
Entspannter sein letztes reguläres Studioalbum „Hudson River Wind Meditations“,
einer Ambient-Musik zum Tai-Chi, mit
dem sich der seit 2008 mit Laurie Anderson verheiratete Reed bis zuletzt
fithalten wollte.
Von einer Lebertransplantation im Mai dieses Jahres allerdings
konnte er sich nicht mehr erholen. Am Sonntag verstarb Lou Reed 71-jährig in
New York.
(Wiener Zeitung, 29.10.2013)
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