Mittwoch, November 27, 2013

Alter Hader, junge Not

Immer am Zweifeln: The Who The What The Yeah und Farewell Dear Ghost 

- Zwei neue österreichische Alben im Zeichen der Unsicherheit 

„Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist!“ – bereits der bayerische Komiker Karl Valentin verstand es, einer urösterreichischen „Befürchtung“ Ausdruck zu verleihen. War das Fatalistische hinter dieser Überlegung früher den Alten von der Parkbank vorbehalten – „Ihr werdet schon noch schauen!“ –, hat sich der ernüchterte (Aus-)Blick und die mit ihm verbundene Unsicherheit längst auf die Jugend übertragen. Vom Praktikum in den Deppen-Job ist es ja auch kaum einen Gehaltssprung mehr weit. Und überhaupt: Hallo, Krise? 

Widrigkeiten 

„No Time For Dreaming“, von James-Brown-Wiedergänger Charles Bradley autobiografisch und sozialrealistisch besungen, ist längst auch im Pop angekommen. Verunsicherte junge Männer mit Wandergitarren, dünnen Stimmen und traurigen Texten haben die Utopie auf ihr Existenzminimum reduziert. Nur dass in der Sache mit der Rebellion noch reichlich Luft nach oben besteht, überrascht diesbezüglich.

The Who The What The Yeah hätten für den Widerstand zunächst einmal die richtige Formensprache gefunden. Auf ihrem soeben erschienenen dritten Album mit dem programmatischen Titel „Strom“ (Monkey/Rough Trade) wird ein zwischen Post-Punk und Indie-Rock gehaltener und mitunter an die Kollegen von Kreisky erinnernder Song-Entwurf verabreicht, der auch an Hamburger Bands wie (die frühen) Blumfeld oder Kolossale Jugend  denken lässt. Unter Produktion von Hans Platzgumer geht es an der Schnittstelle von Sturm und Drang und eingeschobenen Zwischenspielen im schwingenden 60er-Jahre-Sound allerdings eher um Widerstände und Widrigkeiten – und um deren Folgen. „Die Gegenwart ist ein schwarzes Loch, das alle Hoffnungen und Träume in sich hineinzieht.“

Sänger Martin Konvicka, dessen zumeist skandierter Gesang Frust, Ärger und Grant eine Stimme verleiht, ist entsprechend unwohl zumute: „Ein Körper gemacht aus Zweifel, eine Seele aus Unsicherheit.“ Kein Wunder, dass der Mann fliehen möchte. Nur wohin? In der Auftaktsingle wird mit „Neuseeland“ zwar ein vermuteter Sehnsuchtsort in Sachen Katharsis gefunden, eines ändert sich aber auch dort nicht: man selbst. „Am anderen Ende der Welt steck ich immer noch in derselben Haut …“ Das hat auch mit einer selbstreflexiven Erkenntnis zu tun, die man sich erst einmal eingestehen muss. Martin Konvicka geht als löbliches Beispiel und stellvertretend für uns voran: „Kein Berg ist hoch genug um über allem zu stehen!“

Die Fuzzgitarren sind auf Anschlag gestellt, der Verstärker johlt auf. „Ich bin mit meiner Welt nicht im Reinen / Die Dinge sind nicht wie sie scheinen …“ 

Licht ins Dunkel

Die bürgerlicheren Ergebnisse destilliert Philipp Szalay, der sein Debütalbum unter dem Alias Farewell Dear Ghost veröffentlicht, aus einer ähnlichen Grundgestimmtheit. Auf „We Colour The Night“ (Schoenwetter Schallplaten/GoodToGo) regieren wahlweise diffuse oder liebeszentrierte (Zukunfts-)Ängste und Unsicherheiten, die sich – der Titel lässt es vermuten – allerdings um Licht ins Dunkel bemühen. Geschafft wird dies mit akutem Pathos und einer Nähe zu U2 oder, unterschwelliger, den Kings Of Leon in ihrer Kuschelrock-Phase. Wir hören ebenso hochprofessionellen wie stadiontauglichen Weltumarmungspop mit Tröstungsgesten, der auf maximale Wirkung, maximales Gefühl und maximale Melodiebögen abzielt.

Songtitel wie „Demons“ und „Fears“ ändern nichts am Bestreben, von der Weinerlichkeit direkt in die Euphorie überzugehen. Ein österreichisches Phänomen, das man auch vom Branntweiner kennt – und dem The Who The What The Yeah vergleichsweise kaum zusprechen. Aus allem Übel und Ärger werden hier vor allem Textzeilen gewonnen, die dann auch von Karl Valentin stammen oder auf einer Parkbank entstanden sein könnten: „Ich will nicht von vorne anfangen, ich bin froh, dass es vorbei ist."

(Wiener Zeitung, 28.11.2013)

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