Nick Cave triumphierte
mit seinen Bad Seeds im ausverkauften Wiener Gasometer
In
modernen Zeiten wie, sagen wir, diesen, gelten alte Männer als Auslaufmodell. Anders
als etwa in der Antike oder bei den indigenen Völkern im nördlichen Polargebiet
und deren Fokus auf Lebenserfahrung und die wohl mit dieser verbundenen
Weisheit darf man sich heute zumindest noch erwarten, nach der
Frühpensionierung Zeit für die Gartenarbeit zu haben und von jungen Menschen
als schrulliges Wesen mit weißen Haaren betrachtet zu werden, das in der Bank
noch zum Schalter geht und kein Smartphone bedienen kann. Das ist nicht fair, angesichts
eigentlich ruhestandsbedürftiger Oligarchen mit Neigung zu
Verhaltensauffälligkeit und einer späten Politkarriere aber nicht ganz verkehrt.
Abgerockte Band
Weil
die Kunst aber nicht nur Spiegelbilder der Gesellschaft zeichnet und hier immer
auch eine eigene Marktlogik herrscht, gilt gerade für den reiferen Rock ’n’
Roller in seiner Post-Heroin-Phase: Während sich die junge Kollegenschaft mit interkontinentalen
Ochsentouren und sich selbst als Roadies an den Rand zum Burnout dienstleistet,
um die Miete für 40 Quadratmeter in Brooklyn dennoch nicht bezahlen zu können, darf
die Ernte in Sachen Anerkennung und Noch-eine-Villa-in-Südfrankreich-bitte hier
mit großer Gelassenheit eingefahren werden.
Im
ausverkauften Wiener Gasometer haben wir es heute also mit dem späten Nick Cave
zu tun, der bereits beim Gang auf die Bühne euphorisch gefeiert wird. Als
ausgemergelter Dichterfürst mit Neigung zu den Haarcolorationstönen „Als ich 17
war“ und „Schwärzer als der Tod“ mag der Held des Abends optisch zwar darum
bemüht sein, sich die Vergangenheit nicht ansehen zu lassen. Sein mit
Ursuppen-Rock und gedämpften Klavierballaden nie als jugendlich in dem Sinn zu
verstehendes Werk übersetzt sich aber auch mit den Bad Seeds, die als Verwahrlosungs-Boheme
um Zauselgott Warren Ellis an Gitarre, Geige, Querflöte oder Keyboard hübsch
abgerockt zur Tat schreiten.
Mit
„Push The Sky Away“ und somit einer der kontemplativsten Alben seiner Karriere
im Gepäck spielt Nick Cave ein vor allem im ersten Drittel furioses Konzert.
Nach dem sinnbildlich für ein Gros der neuen Songs atmosphärisch-zurückgelehnt
angelegten „We No Who U R“ wird gleich „Jubilee Street“ entfesselt gedeutet. Vor
allem aber der frühe und von einem ins Publikum gebeugten Cave beim Händchenhalten
mit der ersten Reihe gepredigte Junky-Blues von Songs wie „Tupelo“ oder „From
Her To Eternity“ erweist sich als nach wie vor wirkungsmächtig – auch wenn das
seinerzeitige Gefahrenmoment ausbleibt und Cave sich zwischen nach wie vor
spürbarem Zorn und der sanften Distanz eines augenzwinkernden Entertainers für
den Mittelweg entscheidet. Und auch der nach dem Ausstieg Blixa Bargelds von
Cave als Duett mit sich selbst gegebene „Weeping Song“ oder das Gruselkabinett
von „Red Right Hand“ unterstützen den Unterhaltungswert des Auftritts mit
Nachdruck.
Höllenfeuer
Abgebremst
wird mit „Mermaids“, bei dem Nick Cave die alte Geschichte vom alten Mann und
dem Meer mit Hang zum Herrenwitz als No-pussy-Blues erzählt. „People Ainʼt No
Good“ und „Into My Arms“ von seinem zurückgenommenen Meisterwerk „The Boatman’s
Call“ aus 1997 erinnern an die Wandlung Caves zum Klavierromantiker, ehe sich
die Pforten in den Abgrund endgültig öffnen und das Höllenfeuer zu „The Mercy
Seat“ durch die akustisch überforderte Gasometer-Halle züngelt. Sehr gut auch der
„Higgs Boson Blues“ als Fiebertraum auf den Spuren Neil Youngs in seiner „On
The Beach“-Phase.
Im
Alter schaut man lieber zurück als nach vorn – Nick Caves
Greatest-Hits-Strecken allerdings sollten auch aufgrund ihrer Lebendigkeit nicht
als nostalgisch fehlinterpretiert werden. Die Form seines Lebens ist eine
Absage an die Frühpension: Lasst Nick Cave und sein Team arbeiten!
(Wiener Zeitung, 26.11.2013)
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