Dienstag, Dezember 17, 2013

Bekenntnisse einer Erotomanin

Online-Veröffentlichung ohne Vermarktungs-Trara: US-Star Beyoncé ist zurück 

Wieder einmal wurde also ein Album veröffentlicht – und wieder einmal spricht niemand über die darauf enthaltene Musik. Im Falle der US- R-’n’-B-Sängerin Beyoncé geht es vielmehr um die Erscheinungsweise und ihre Begleitumstände. Immerhin wurde das selbstbetitelte neue Werk ebenso überraschend und nach exakt gar keiner Vorab-Werbung wie vorerst ohne physisches Format als Download im Internet veröffentlicht. Exklusiv über iTunes kann „Beyoncé“ seit Freitag um 14,99 Euro bezogen werden. 

„Visuelles Album“ 

Die Tatsache, dass das Album binnen drei Tagen knapp 830.000 Mal auf die Heimrechner wanderte, lässt dabei mehrere Schlüsse zu. Einer davon könnte sein, dass die beste Marketing-Abteilung eine nicht vorhandene Marketing-Abteilung ist – wobei Beyoncé als 17-fache Grammy-Preisträgerin gerade am US-Markt natürlich als Selbstläuferin gilt. Und auch die nicht durchwegs auf Mainstream gepolte Produktion verhärtet den Verdacht, dass sich Beyoncé ohnehin massig verkauft – völlig ungeachtet also der Qualität oder auch nur der Art ihrer Musik, was wiederum schon erklärt, warum über diese so wenig gesprochen wird. Ein weiterer Grund für die Nebensächlichkeit ist im systemimmanenten Celebrity-Charakter zu finden, der die wesentlichen Fakten eines Beyoncé-Albums zwischen „Hast du schon gehört? Auf dem neuen Album singt sie superkrass über ihr Sexleben. Derbe!“ und „Ihre Tochter ist auch dabei – irre niedlich!“ verortet.

Dabei ist „Beyoncé“ zunächst einmal ein Anschlag auf die Zeit, die wir nicht haben. Zu einer Spieldauer von einer Stunde und sechs Minuten, die sich auf 14 Nummern verteilt, kommen 17 Musikvideos, die man zumindest als nachträgliches Marketing betrachten könnte – und die das kleine Ich-bin-Ich ungefragt mit Einblicken ins Privatleben definieren, um Wikipedia-Zeilen wie „On January 7, 2012, Knowles gave birth to a daughter, Blue Ivy Carter, at Lenox Hill Hospital in New York under heavy security“ zu kontrastieren. 

Mut zur Lücke 

Dabei hätte Beyoncé diesmal durchaus auch Grund, den Fokus wieder verstärkt auf die Musik zu legen. Im Gegensatz zu den Kuschelballaden für Radio Lalelu, die ihr Album „I Am… Sasha Fierce“ aus 2008 bestimmten, sind heute auch mutigere Zwischentöne erlaubt. Stolpernde Subbässe und atmosphärische elektronische Soundscapes, die einen gleichermaßen experimentellen und verspielten Zugang bevorzugen, kommen zu einem hübsch bei Prince in seiner Phase als spitzer Lumpi andockenden L’amour-Hatscher wie „Rocket“ oder dem unterkühlt groovenden Funk von „Blow“. Und auch dem gemeinsam mit Frank Ocean intonierten „Superpower“ ist zwischen Paukentupfern, Streicherschlieren und markanten Doo-Wop-Gesängen aus dem Hintergrund etwas durchaus Originelles zu eigen. „XO“ wiederum, eine Art Coldplay-Adaption für R-’n’-B-Hörer, muss man als Vorabsingle betrachten, die für das Formatradio letztlich doch nötig war. Mehrteilige, mit Mut zur Lücke arrangierte und nicht und nicht in Erinnerung bleiben wollende Sechsminüter wie „Haunted“ machen sich dort nicht so gut. 

Peinlich sexy 

Inhaltlich erklärt Beyoncé vor allem eine Schwierigkeit mit großem Nachdruck: nämlich jene, unpeinlich über Sex zu singen. Wobei auch das Selbstporträt des Popstars als „modern-day feminist“ ins Wanken gerät, wenn Zeilen wie „Take all of me / I just wanna be the girl you like“ fallen. Und vor allem auch die mit einem Song namens „Jealous“ deklarierte Vorabendbeschäftigung, ihren Ehemann nackt zu bekochen, lässt die Eigenbeschreibung eher nach „modern-day“ enden und Alice Schwarzer bereits zum Ordnungsruf schreiten. Schlicht in die Hose (beziehungsweise auf den Kittel) gegangen ist hingegen die Beschreibung eines Sexualakts während der Limousinen-Fahrt im Stoßverkehr („He monica lewinsky’d all over my gown!“), während Ehemann Jay-Z als Gastrapper über das liebste Frühstück informiert, das ihm seine heimatliche Feministerin ans Bett bringen darf: „Your breasteses is my breakfast!“

Empfohlen sei übrigens ein Besuch der Text-Interpretations-Seite rapgenius.com, die der Sexualpraktik hinter „Rocket“ auch mit einer unterleibsanatomischen Grafik auf den Grund gehen will. Biologie-Unterricht per Beyoncé ist möglich. Wer hätte das gedacht?

(Wiener Zeitung, 18.12.2013)

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