Online-Veröffentlichung
ohne Vermarktungs-Trara: US-Star Beyoncé ist zurück
Wieder
einmal wurde also ein Album veröffentlicht – und wieder einmal spricht niemand
über die darauf enthaltene Musik. Im Falle der US- R-’n’-B-Sängerin Beyoncé
geht es vielmehr um die Erscheinungsweise und ihre Begleitumstände. Immerhin
wurde das selbstbetitelte neue Werk ebenso überraschend und nach exakt gar
keiner Vorab-Werbung wie vorerst ohne physisches Format als Download im
Internet veröffentlicht. Exklusiv über iTunes kann „Beyoncé“ seit Freitag um
14,99 Euro bezogen werden.
„Visuelles
Album“
Die
Tatsache, dass das Album binnen drei Tagen knapp 830.000 Mal auf die
Heimrechner wanderte, lässt dabei mehrere Schlüsse zu. Einer davon könnte sein,
dass die beste Marketing-Abteilung eine nicht vorhandene Marketing-Abteilung
ist – wobei Beyoncé als 17-fache Grammy-Preisträgerin gerade am US-Markt
natürlich als Selbstläuferin gilt. Und auch die nicht durchwegs auf Mainstream
gepolte Produktion verhärtet den Verdacht, dass sich Beyoncé ohnehin massig
verkauft – völlig ungeachtet also der Qualität oder auch nur der Art ihrer
Musik, was wiederum schon erklärt, warum über diese so wenig gesprochen wird.
Ein weiterer Grund für die Nebensächlichkeit ist im systemimmanenten
Celebrity-Charakter zu finden, der die wesentlichen Fakten eines Beyoncé-Albums
zwischen „Hast du schon gehört? Auf dem neuen Album singt sie superkrass über
ihr Sexleben. Derbe!“ und „Ihre Tochter ist auch dabei – irre niedlich!“
verortet.
Dabei
ist „Beyoncé“ zunächst einmal ein Anschlag auf die Zeit, die wir nicht haben.
Zu einer Spieldauer von einer Stunde und sechs Minuten, die sich auf 14 Nummern
verteilt, kommen 17 Musikvideos, die man zumindest als nachträgliches Marketing
betrachten könnte – und die das kleine Ich-bin-Ich ungefragt mit Einblicken ins
Privatleben definieren, um Wikipedia-Zeilen wie „On January 7, 2012, Knowles
gave birth to a daughter, Blue Ivy Carter, at Lenox Hill Hospital in New York
under heavy security“ zu kontrastieren.
Mut zur Lücke
Dabei
hätte Beyoncé diesmal durchaus auch Grund, den Fokus wieder verstärkt auf die
Musik zu legen. Im Gegensatz zu den Kuschelballaden für Radio Lalelu, die ihr
Album „I Am… Sasha Fierce“ aus 2008 bestimmten, sind heute auch mutigere
Zwischentöne erlaubt. Stolpernde Subbässe und atmosphärische elektronische
Soundscapes, die einen gleichermaßen experimentellen und verspielten Zugang
bevorzugen, kommen zu einem hübsch bei Prince in seiner Phase als spitzer Lumpi
andockenden L’amour-Hatscher wie „Rocket“ oder dem unterkühlt groovenden Funk
von „Blow“. Und auch dem gemeinsam mit Frank Ocean intonierten „Superpower“ ist
zwischen Paukentupfern, Streicherschlieren und markanten Doo-Wop-Gesängen aus
dem Hintergrund etwas durchaus Originelles zu eigen. „XO“ wiederum, eine Art Coldplay-Adaption
für R-’n’-B-Hörer, muss man als Vorabsingle betrachten, die für das Formatradio
letztlich doch nötig war. Mehrteilige, mit Mut zur Lücke arrangierte und nicht
und nicht in Erinnerung bleiben wollende Sechsminüter wie „Haunted“ machen sich
dort nicht so gut.
Peinlich sexy
Inhaltlich
erklärt Beyoncé vor allem eine Schwierigkeit mit großem Nachdruck: nämlich
jene, unpeinlich über Sex zu singen. Wobei auch das Selbstporträt des Popstars
als „modern-day feminist“ ins Wanken gerät, wenn Zeilen wie „Take all of me / I
just wanna be the girl you like“ fallen. Und vor allem auch die mit einem Song
namens „Jealous“ deklarierte Vorabendbeschäftigung, ihren Ehemann nackt zu
bekochen, lässt die Eigenbeschreibung eher nach „modern-day“ enden und Alice
Schwarzer bereits zum Ordnungsruf schreiten. Schlicht in die Hose (beziehungsweise
auf den Kittel) gegangen ist hingegen die Beschreibung eines Sexualakts während
der Limousinen-Fahrt im Stoßverkehr („He monica lewinsky’d all over my gown!“),
während Ehemann Jay-Z als Gastrapper über das liebste Frühstück informiert, das
ihm seine heimatliche Feministerin ans Bett bringen darf: „Your breasteses is
my breakfast!“
Empfohlen
sei übrigens ein Besuch der Text-Interpretations-Seite rapgenius.com, die der
Sexualpraktik hinter „Rocket“ auch mit einer unterleibsanatomischen Grafik auf
den Grund gehen will. Biologie-Unterricht per Beyoncé ist möglich. Wer hätte
das gedacht?
(Wiener Zeitung, 18.12.2013)
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