Es ist nur Rock
’n’ Roll: Keith Richards, Rolling Stone für immer, wird 70 Jahre alt
Mit
dem Alter kommt das große Wundern. Das hat vor allem mit dem Rückblick zu tun,
nach dem alles vor dem Jetzt wie aus einer anderen Zeitrechnung wirkt.
Entsprechende Bilder laufen mit Super-8-Projizierungsrauschen, immer etwas zu
schnell und in Schwarz-Weiß vor dem geistigen Auge ab.
Im
Falle von Keith Richards muss das aber nicht etwa bedeuten, dass die Erinnerung
an ein Leben zwischen Kofferräumen voller Drogen, keinem Schlaf und der Sache
mit dem Rock und dem Roll großes Staunen darüber auslösen würde, wie man das
alles überlebt haben mag – und wie verrückt und bescheuert man eigentlich war.
Als Mann mit Überzeugungen („Die besten Partys sind die, an die man sich nicht
mehr erinnert; alles andere taugt nichts!“) darf sich Keith Richards auch nach
jahrzehntelanger gesamtgesellschaftlicher Vorarbeit in Sachen Selbstvernichtung
und Spaß dabei hingegen darüber wundern, dass die Zeit heute eine durch und
durch genussfeindliche ist – und sein stellvertretend für uns mit dem
Spritzbesteck erschaffenes Überlebenskunstwerk langsam zerbröselt. Rauchverbot
an der Whiskey-Bar, Kondompflicht im Stundenhotel und „Keine Macht den Drogen“:
Ja spinnen denn die??
Absturz und
Umsturz
Nicht
nur in seiner Autobiografie „Life“ von 2010 gesteht Richards zwar ein, dass
etwaige Nebenwirkungen des Glücksstoffs Heroin, wie zum Beispiel die Gefahr,
durch den anhaltenden Konsum völlig gaga zu werden, letztlich eine Entwöhnung
(und mehrere Entziehungskuren) notwendig machten – während Kinderzeugs wie
Marihuana, das folgerichtig auch den eigenen Sprösslingen abgeschnorrt wurde, für
den seit Ende der 70er Jahre offiziell als clean geltenden Musiker auch zuletzt
noch auf dem Speiseplan stand. Als sturer Hund und Mann mit Gesichtszügen, wie
sie nur das Leben selbst zeichnen kann, lässt sich Richards aber zumindest den
Umstand nicht madig machen, dass die Sache auch ihr Gutes hatte: „Anfang 1965
fing ich an, Drogen zu nehmen, eine inzwischen lebenslange Angewohnheit, die
meine Wahrnehmungsfähigkeit verstärkte“ – man soll ja an keine Wirklichkeit glauben,
die man nicht höchstpersönlich verzerrt hat.
Auch
wenn Richards und die Rolling Stones sowohl im Bible Belt als auch in der englischen
Grafschaft ihres Misstrauens die volle Härte des Junkie-und-Gendarm-Spiels zu
spüren bekamen, weil die in den 60er-Jahren noch vom Nachkriegsmief umgebenen
Autoritäten Angst vor jungen Absturz- und Umsturz-Musikern hatten: Zumindest
der frühe Reichtum bescherte Keith Richards das Privileg, sich (anders als der
Drogi von der Straße) nicht auch noch über die Geldbeschaffung kriminalisieren
zu müssen. Und auch für den Erwerb ausschließlich reinen Premium-Stoffs aus
kolumbianischen Anbaugebieten mit Südhang-Lage (und somit eine weitere
Risikominderung) war das nötige Kleingeld ganz hilfreich. Keith Richards in eigenen Worten: „When I was doing drugs, it would be the finest stuff you can get. If I was doing opium, it
would be good Thai opium. When I did smack, it would be pure, pure heroin – no
street shit.“
Uppers und Downers
All
diesen Eindrücken zum Trotz war Keith Richardsʼ Aufgabe als weißer Blues-Rock-’n’-Roller aber auch durchaus mit Arbeit
verbunden. Vom Anbeginn der Rolling Stones als Chuck-Berry-und-Co-Interpreten
über die schwer vernebelte Zeit, in die mit dem aus steuerlichen Gründen in
Südfrankreich eingespielten „Exile On Main St.“ aus 1972 auch das bis heute
letzte wichtige Stones-Album fällt, und bis herauf in die 80er Jahre galt der
Alltag des Mannes nicht ausschließlich substanzbedingt als rastlos. Vermutlich
führte auch das enorme Arbeitspensum der Band dazu, dass der Lebenskreislauf
des Normalverbrauchers (vom Up zum Down) auch aus funktionalen Gründen offen
auf Rock
’n’ Roll gestimmt
wurde (vom Upper zum Downer). Auch wenn man das übrigens nicht vermuten würde: Das Riff zu „(I Can’t Get No) Satisfaction basiert womöglich auf zu viele
Downers. Zumindest spielte Richards es in den Kassettenrekorder, als er sich
doch einmal Nachtruhe zugestand und nur kurz erwachte, nachdem die Melodie im
Träumelein vom Bäumelein plumpste.
Apropos:
In seiner Spätphase als Karibik-Pirat und Vorbild Johnny Depps, den er mit
einem Drogendealer verwechselte, fiel Keith Richards auf Fiji von einer Palme
zu Boden. Das verzögerte den Start der straff durchgeplanten „A Bigger Bang
Tour“ der Stones in Europa und gab Mick Jagger Anlass, sich an alte Spannungen
zu erinnern. Stichwort: Frauentausch, kreative Differenzen und Egoprobleme –
sowie später auch die unter der Gürtellinie angesiedelten Witzeleien in „Life“,
mit denen Richards seinen Lieblingsfeind nicht nur als „Brenda“ oder „Her
Majesty“ verunglimpfen sollte.
Sicher,
bereits 1998 mussten Konzerte verschoben werden, weil Richards in seiner
Bibliothek von der Leiter gefallen war. Andererseits kennt sich auch ein
drogenseitig nur von dünner Alpinluft geprägter Bergfex wie Reinhold Messner
mit Malheuren dieses Zuschnitts gut aus.
Nach doppelter Wiederauferstehung feiert Keith
Richards am kommenden Mittwoch seinen 70. Geburtstag. Ein Wunder im Namen des Rock ’n’ Roll.
(Wiener Zeitung, 14./15.12.2013)
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