Donnerstag, Dezember 12, 2013

Weihnacht als Syndrom

Niemand will das hören, aber: Pop-Weihnachtsalben verkaufen sich trotzdem 

- Jahrgang 2013 mit klassischen und unorthodoxen Weihnachts-CDs 

Weihnachten ist eine tolle Sache – zumindest, wenn man davon lebt. Sicher werden zwar auch der Maronibrater oder der Weihnachtsmann unseres Vertrauens froh darüber sein, wenn sie nach getaner Arbeit oder erledigter Tour zwischen dem Mäcki in der PlusCity Pasching und der Vösendorfer Starbucks-Filiale nach Hause kommen und finstere Gedanken wie „depperte Papier-Stanitzl!“ oder „scheiß Kinder!“ endlich laut aussprechen dürfen.

Weil sich der Dienstleister aber damit trösten darf, dass bald Saisonende ist und er als brav nachhaltig – also ganz ohne Schlitten mit Düsenantrieb! – zur Tat schreitender Santa günstig und ohne schlechtes Gewissen von Wien nach Bangkok fliegen kann, wenn er dazwischen auch noch den Londoner Flughafen besichtigt: letztlich wird belohnt werden, wer sich per Ausgleichs-Yoga oder Hausapotheke für den Job rüstet. „Fitspritzen“ ist ein Wort aus der Sportwelt, das sich auf den Erwerbsbetrieb (sogar für den Weihnachtsmann!) heute so übersetzt, dass man diesen und seine Begleiterscheinungen ja auch sportlich nimmt. Nehmen muss. 

Jedenfalls ist die Tätigkeit, die die Pause auf Ko Samui finanziert, während die Versicherungs-Leute vom Süden nur träumen können, in ihrem Glücksverbreitungsstreben durchaus redlich. Leider funkt ein ähnliches Interesse der Musikindustrie, das nur von materiellen Begehrlichkeiten noch etwas übertroffen wird, auf Orchesterschmelz-Basis oder mit fröhlichen Abzählreimmelodien für den Kindergarten dazwischen. Spätestens am ersten Advent ist damit auch für den Weihnachtsmann ein Punkt erreicht, an dem die Hausapotheke nichts mehr ausrichten kann. Empathische Menschen und geschäftstüchtige Burn-out-Therapeuten können hinter jedem „ho-ho-ho!“ immer auch ein bitteres „buhu!“ vernehmen. So ein Santa bei Ruefa Reisen, ja, das sieht lustiger aus als im Mäcki drin, aber man muss das verstehen!

Die Musikindustrie frisiert ihre Bilanzen am Jahresende schließlich nicht nur mit Verwurstungsboxen aus dem Archiv tüchtig auf. Heuer beispielsweise im Rennen: Die Werkschau „Jahreszeiten 1967-2013“ von Reinhard Mey um 222 Euro (Universal). Vor allem wird mit genuinen Weihnachts-Alben von unter Bestseller-Verdacht stehenden Künstlern und über Menschen mit zu viel Glühwein intus versucht, noch einmal wertzuschöpfen. 

Die schon immer für Absatzzahlen auf Weltmeister-Niveau und den entsprechenden Grammy-Regen Gewehr bei Fuß stehende US-Sängerin Mary J. Blige kommt diesbezüglich gerade recht. Ihr nach Schema F – Fahrstuhlstreicher mal Faserschmeichelei – produziertes Weihnachts-Album geht bereits beim Lesen der Eckdaten gehörig auf die Nerven. Immerhin führte auf „A Mary Christmas“ (Universal) David Foster Regie, auf dessen Strafregisterauszug bereits ähnliche Machwerke von Michael Bublé oder Celine Dion verzeichnet sind. Zusätzlich tritt Barbra Streisand in Erscheinung, die nicht erst seit ihrem Vorjahres-Gastspiel bei John Travolta und Olivia Newton-John als Frau mit dem Weihnachtssyndrom gilt. Mit üppigen Orchesterarrangements, Hotellobby-Klavier und Seitensprüngen in Richtung Groove reicht Mary J. Blige ein Klischee-Album, das sich als Geschenk für Menschen mit gutem Einkommen und schlechtem Geschmack aber durchaus eignet.

Mit um Andachts- und lustig klingende britische Latein-Gesänge erweitertem Synthie-Pop sind Erasure angetreten, weniger auf vorgegebenen Pfaden zu wandeln. Auf „Snow Globe“ (Mute) wird, gleichermaßen mit Originalsongs und Genre-Standards, klassische Erasure-Ware geboten. Fans dürften davon nicht nur begeistert sein, wenn die schnelleren Ausreißer erklären, dass es zu Weihnachten auch in der Gay-Disco rundgehen kann. Über die (betont religiösen) „Christmas Songs“ (Epitaph/Indigo) von Bad Religion wiederum lässt sich sagen, dass diese als gespielter Witz daherkommen, der nichtsdestotrotz ernst gemeint sein könnte. Ein Gutes aber hat die Sache: 20 Prozent der Erlöse gehen an Opfer von sexuellem Missbrauch durch Priester.

Mit ihrem nun erstmals auf CD vorliegenden, zur Hochzeit von 2002 veröffentlichten „A Christmas Album“ (Saddle Creek/Cargo) erinnern abschließend Bright Eyes daran, dass ihr Mastermind Conor Oberst von übermotivierten Kritikern einst als neuer Bob Dylan bezeichnet wurde – auch von diesem ist mittlerweile ein (schlechtes) Weihnachtswerk erhältlich. Bright Eyes hingegen sorgen mit ihrem verhuschten Lo-Fi-Folk allerdings für vergleichsweise erträgliche Resultate, die dem Weihnachtsmann die Arbeit heuer doch noch erleichtern dürften. Urlaub ist super, ein Besuch beim Thai am Eck tut es aber auch! 

(Wiener Zeitung, 13.12.2013)

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