Samstag, Dezember 07, 2013

Relativ glücklich

Schall & Rauch

Die Menschheit will glücklich sein. Das ist ebenso nachvollziehbar wie ihre Mittelwahl mitunter zweifelhaft. Zwar werden mit Extremshopping-Touren, esoterisch-sektiererischen Realitätsfluchten oder körperlich-geistigen Ausgleichsübungen im gesamtheitlich-spirituellen Sinn ganze Industriezweige auf Rekordkurse hochgejazzt. Warum kundenseitig bevorzugt Klischeebilder nachskizziert werden, deren optische Wirkung noch dazu fraglich ist, wäre allerdings interessant. Wovor beispielsweise läuft der Jogger davon? Wo will er hin, und warum will er weg? Wie soll man ausgerechnet entschleunigen, wenn man sich währenddessen sehr schnell bewegt? Kann die Leere tatsächlich bekämpft werden, indem man sie bloß auf das Konto verlagert? Ist die Midlife-Crisis wirklich so berechenbar, oder haben die Männer auf der Kärntner Straße nur ihre Töchter sehr lieb? Und kann mit Einkehr gemeint sein, dass man aus dem Wirtshaus überhaupt nicht mehr rausgeht?

Andere Zweige gelten am Glücksmarkt hingegen als Randsportart. Spaziergänge über Friedhöfe sind schön, wie in Hal Ashbys Tragikomödie „Harald and Maude“ zur Meisterschaft gebrachte Besuche fremder Begräbnisse gesellschaftlich aber weniger akzeptiert als Nordic-Walking-Märsche durch das Tiroler Hinterland oder ausgelassene Feiern unter quicklebendigen Freunden. Japanische Noise- oder die postmortale Slow-Motion-Musik von The Haxan Cloak, die von Dröhnland aus das Jenseits durchforstet und dem Tod solchermaßen ein Denkmal errichtet, entfaltet wiederum eine enorme kathartische Wucht, der man sich aussetzen sollte. Allerdings dürfte das Gros der diesbezüglich unbefleckten Hörerschaft eine mögliche Ersterfahrung als Folter empfinden. Dass in Guantanamo ausgerechnet auch Songs von ansonsten bei Kindern oder männlichen Biertrinkern beliebten Acts wie Britney Spears oder AC/DC aus tatsächlichen Misshandlungsgründen zum Einsatz kamen, erklärt dabei recht anschaulich, dass das Glück nicht nur ein Vogerl, sondern vor allem auch ziemlich relativ ist. Aber sagen Sie das einmal einem Gesundheitsapostel, dessen laufbedingter Endorphinpegel ihn so glaubwürdig macht wie das höchste Amphetaminhoch einen Showbranche-Alchemisten.

Ein Wort noch zur Relativität: Österreich mag im internationalen Vergleich wirtschaftlich nicht ganz so schlecht dastehen, hätte beim Rückgriff auf die 1979 vom König Bhutans geborene Idee des Bruttonationalglücks aber zuvorderst im Bereich Wien ein Problem. Dort hört man das vermutlich nicht so gerne, weiß es insgeheim aber doch: Das Unglück kann eine Triebfeder sein, zumal wenn es wunschlos ist.

(Wiener Zeitung, 7./8.12.2013)

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