Schall & Rauch
Die Menschheit will glücklich sein. Das
ist ebenso nachvollziehbar wie ihre Mittelwahl mitunter zweifelhaft. Zwar
werden mit Extremshopping-Touren, esoterisch-sektiererischen Realitätsfluchten
oder körperlich-geistigen Ausgleichsübungen im gesamtheitlich-spirituellen Sinn
ganze Industriezweige auf Rekordkurse hochgejazzt. Warum kundenseitig bevorzugt
Klischeebilder nachskizziert werden, deren optische Wirkung noch dazu fraglich
ist, wäre allerdings interessant. Wovor beispielsweise läuft der Jogger davon?
Wo will er hin, und warum will er weg? Wie soll man ausgerechnet
entschleunigen, wenn man sich währenddessen sehr schnell bewegt? Kann die Leere
tatsächlich bekämpft werden, indem man sie bloß auf das Konto verlagert? Ist
die Midlife-Crisis wirklich so berechenbar, oder haben die Männer auf der
Kärntner Straße nur ihre Töchter sehr lieb? Und kann mit Einkehr gemeint sein,
dass man aus dem Wirtshaus überhaupt nicht mehr rausgeht?
Andere Zweige gelten am Glücksmarkt
hingegen als Randsportart. Spaziergänge über Friedhöfe sind schön, wie in Hal
Ashbys Tragikomödie „Harald and Maude“ zur Meisterschaft gebrachte Besuche
fremder Begräbnisse gesellschaftlich aber weniger akzeptiert als
Nordic-Walking-Märsche durch das Tiroler Hinterland oder ausgelassene Feiern unter
quicklebendigen Freunden. Japanische Noise- oder die postmortale
Slow-Motion-Musik von The Haxan Cloak, die von Dröhnland aus das Jenseits
durchforstet und dem Tod solchermaßen ein Denkmal errichtet, entfaltet wiederum
eine enorme kathartische Wucht, der man sich aussetzen sollte. Allerdings
dürfte das Gros der diesbezüglich unbefleckten Hörerschaft eine mögliche
Ersterfahrung als Folter empfinden. Dass in Guantanamo ausgerechnet auch Songs
von ansonsten bei Kindern oder männlichen Biertrinkern beliebten Acts wie
Britney Spears oder AC/DC aus tatsächlichen Misshandlungsgründen zum Einsatz
kamen, erklärt dabei recht anschaulich, dass das Glück nicht nur ein Vogerl,
sondern vor allem auch ziemlich relativ ist. Aber sagen Sie das einmal einem
Gesundheitsapostel, dessen laufbedingter Endorphinpegel ihn so glaubwürdig
macht wie das höchste Amphetaminhoch einen Showbranche-Alchemisten.
Ein Wort noch zur Relativität:
Österreich mag im internationalen Vergleich wirtschaftlich nicht ganz so
schlecht dastehen, hätte beim Rückgriff auf die 1979 vom König Bhutans geborene
Idee des Bruttonationalglücks aber zuvorderst im Bereich Wien ein Problem. Dort
hört man das vermutlich nicht so gerne, weiß es insgeheim aber doch: Das
Unglück kann eine Triebfeder sein, zumal wenn es wunschlos ist.
(Wiener Zeitung, 7./8.12.2013)
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