Samstag, Januar 18, 2014

(Alp-)Traum mit Gummibund

Uniform gegen die Leistungsgesellschaft? Die Jogginghose als Projektionsfläche

- Zum Internationalen Jogginghosentag am kommenden Dienstag 

Gedenk- und Aktionstage gibt es viele – vom Welttoilettentag bis zum Tag der Händehygiene, vom Internationalen Biertag bis hin zum Deutschen Lebertag. Schön auch der Sprich-wie-ein-Pirat-Tag oder der Welttag der Feuchtgebiete, der mit Charlotte Roche im Übrigen exakt gar nichts zu tun hat. Nicht alle diese Tage sind von großer Relevanz oder Sinnhaftigkeit. Dem am kommenden Dienstag zum erst fünften Mal in seiner Geschichte zu begehenden Internationalen Jogginghosentag ist zumindest aber der Sinn zu unterstellen, Karl Lagerfeld auf die Palme zu bringen. Immerhin ist von diesem mindestens ein empörtes Zitat zum Thema bekannt: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ 

Nahrung statt Sushi 

Einem kontrollierten Arbeitstier wie dem deutschen Modedesigner ist das natürlich nicht beizubringen – aber sagen wir so: Wer die mangelnde Work-Life-Balance nicht von ihn umgebenden Topmodels und einem zwischen New York und Tokio lukrierten Mördereinkommen kompensiert bekommt und stattdessen täglich acht Stunden am Hochofen steht, will abends nicht nur von der Welt nichts mehr wissen. Er will dann auch ihrer Bestimmung nach nahrhafte Nahrung sich in nachgiebigen Kleidungsstücken entfalten lassen, anstatt in straff geschnittenen Selbstdisziplinierungshemden breite Wege um das Sushi-Buffet nehmen zu müssen, weil dieses zu viele Kalorien beherbergt.

Zweifelsohne ist die Rolle der Jogginghose als Kleidungsstück dabei längst nicht so schwarz-weiß wie die Debatte um sie. Ursprünglich – und wie auch die englische Originalbezeichnung als „Sweatpants“ beweist – durchaus zur sportlichen Betätigung angedacht, kommt sie unter Profis der körperlichen Ertüchtigung vor allem bei leichten Feiertagstrainings und Aufwärmrunden zum Einsatz, so man sie nicht gleich nur für die Autogrammstunde verwendet. Der Rest heißt Dress. Unter Anführung der deutschen Fußballnationalmannschaft und ihres Betreuerstabs wurde die Jogginghose schließlich auch auf der Trainerbank von entschieden modischeren Einheitslooks abgelöst. Diese überließen einem erfahrenen Kollegen wie etwa Otto Rehhagel in seiner Altersrolle als Rehakles zwar den Status eines griechischen Coaching-Gottes, deklassierten ihn aber zum Bekleidungsdilettanten in Polyester. Fachlich hervorragend, aber in Sachen Fashion für manche ein Alptraum mit Gummibund! 

„Casual Friday“-Bezug 

Gesamtgesellschaftlich wurde die Funktion der Jogginghose als bequemes After-Work-Beinkleid für das Eigenheim wiederum durch verstärkte Außendienste im öffentlichen Raum in Gefahr gebracht – aus der Entspannungsdress der arbeitenden Bevölkerung wurde eine Uniform gegen die Leitungsgesellschaft, die in städtischen Einzugsgebieten mit hoher Diskonterdichte sowie vor allem auch in McDonaldʼs-Filialen florierte. In den USA trug der mit dem Internationalen Jogginghosentag wesensverwandte Casual Friday dieser Entwicklung bereits ab Ende der 50er Jahre Rechnung, indem er den saloppen Kleidungsstil auch im Büro legitimierte und einen arbeitnehmerfreundlichen Einstieg ins Wochenende erlaubte. Schließlich durften ja auch Giganten des Showgeschäfts wie etwa ein Freddie Mercury oder später ein Austrofred in der Fünferpanier dienstleisten, wenn ihnen der Sinn danach stand. Wobei vor allem auch von Männern mit Pudelfrisuren und Heroinspritzen im Arm verwendete Spandex-Hosen popkulturell stets über ihren sackförmigen Bruder dominierten, der in seiner XXL-Ausprägung noch am ehesten im Hip-Hop oder in der sportlichen Variante mit Mel „Sporty Spice“ C bei den Spice Girls reüssierte. 

Rehabilitationen 

Zeitweilige (und sehr zum Ärger Karl Lagerfelds erfolgte) Rehabilitationen der Jogginghose vom Catwalk herab beweisen zusätzlich, dass die Angelegenheit eine durch und durch komplizierte ist. Mit dem Hipster als Garant dafür, dass Modesünden von früher auch in Trendgegenden zwischen Wien-Neubau und Berlin-Prenzlauer Berg wieder „gehen“, wird wiederum an Grätzlbewohner erinnert, die vor 30 Jahren an der gleichen Stelle und in der gleichen Montur ihren Zweier-Golf auf Hochglanz polierten. 

Die Rechte am Internationalen Jogginghosentag halten übrigens vier junge Männer aus Graz, die zum Gründungszeitpunkt im November 2009 vermutlich einen langweiligen Schultag zu überstehen hatten – und das im als unangenehm empfundenen Beinkleid. Ihre Anweisung zum Aktionstag lautet auf der offiziellen Facebook-Seite schlicht: „Trag am 21. Januar einfach den ganzen Tag eine Jogginghose. Egal ob du in die Schule, zur Arbeit oder sonst wo hin gehst.“ 

Ja? Wie bitte, was? Es ist schon Wochenende? Dann aber Schluss. Rein in die Jogginghose. Raus aus dem Alltag. Und ab auf die Couch mit uns kleinen Potatoes! 

(Wiener Zeitung, 18./19.1.2014)

Keine Kommentare: