Uniform gegen
die Leistungsgesellschaft? Die Jogginghose als Projektionsfläche
- Zum
Internationalen Jogginghosentag am kommenden Dienstag
Gedenk-
und Aktionstage gibt es viele – vom Welttoilettentag bis zum Tag der
Händehygiene, vom Internationalen Biertag bis hin zum Deutschen Lebertag. Schön
auch der Sprich-wie-ein-Pirat-Tag oder der Welttag der Feuchtgebiete, der mit
Charlotte Roche im Übrigen exakt gar nichts zu tun hat. Nicht alle diese Tage
sind von großer Relevanz oder Sinnhaftigkeit. Dem am kommenden Dienstag zum
erst fünften Mal in seiner Geschichte zu begehenden Internationalen
Jogginghosentag ist zumindest aber der Sinn zu unterstellen, Karl Lagerfeld auf
die Palme zu bringen. Immerhin ist von diesem mindestens ein empörtes Zitat zum
Thema bekannt: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben
verloren.“
Nahrung statt
Sushi
Einem
kontrollierten Arbeitstier wie dem deutschen Modedesigner ist das natürlich
nicht beizubringen – aber sagen wir so: Wer die mangelnde Work-Life-Balance
nicht von ihn umgebenden Topmodels und einem zwischen New York und Tokio
lukrierten Mördereinkommen kompensiert bekommt und stattdessen täglich acht
Stunden am Hochofen steht, will abends nicht nur von der Welt nichts mehr
wissen. Er will dann auch ihrer Bestimmung nach nahrhafte Nahrung sich in
nachgiebigen Kleidungsstücken entfalten lassen, anstatt in straff geschnittenen
Selbstdisziplinierungshemden breite Wege um das Sushi-Buffet nehmen zu müssen,
weil dieses zu viele Kalorien beherbergt.
Zweifelsohne
ist die Rolle der Jogginghose als Kleidungsstück dabei längst nicht so
schwarz-weiß wie die Debatte um sie. Ursprünglich – und wie auch die englische
Originalbezeichnung als „Sweatpants“ beweist – durchaus zur sportlichen
Betätigung angedacht, kommt sie unter Profis der körperlichen Ertüchtigung vor
allem bei leichten Feiertagstrainings und Aufwärmrunden zum Einsatz, so man sie
nicht gleich nur für die Autogrammstunde verwendet. Der Rest heißt Dress. Unter
Anführung der deutschen Fußballnationalmannschaft und ihres Betreuerstabs wurde
die Jogginghose schließlich auch auf der Trainerbank von entschieden
modischeren Einheitslooks abgelöst. Diese überließen einem erfahrenen Kollegen
wie etwa Otto Rehhagel in seiner Altersrolle als Rehakles zwar den Status eines
griechischen Coaching-Gottes, deklassierten ihn aber zum Bekleidungsdilettanten
in Polyester. Fachlich hervorragend, aber in Sachen Fashion für manche ein Alptraum
mit Gummibund!
„Casual
Friday“-Bezug
Gesamtgesellschaftlich
wurde die Funktion der Jogginghose als bequemes After-Work-Beinkleid für das
Eigenheim wiederum durch verstärkte Außendienste im öffentlichen Raum in Gefahr
gebracht – aus der Entspannungsdress der arbeitenden Bevölkerung wurde eine
Uniform gegen die Leitungsgesellschaft, die in städtischen Einzugsgebieten mit
hoher Diskonterdichte sowie vor allem auch in McDonaldʼs-Filialen florierte. In
den USA trug der mit dem Internationalen Jogginghosentag wesensverwandte Casual
Friday dieser Entwicklung bereits ab Ende der 50er Jahre Rechnung, indem er den
saloppen Kleidungsstil auch im Büro legitimierte und einen arbeitnehmerfreundlichen
Einstieg ins Wochenende erlaubte. Schließlich durften ja auch Giganten des
Showgeschäfts wie etwa ein Freddie Mercury oder später ein Austrofred in der Fünferpanier
dienstleisten, wenn ihnen der Sinn danach stand. Wobei vor allem auch von
Männern mit Pudelfrisuren und Heroinspritzen im Arm verwendete Spandex-Hosen
popkulturell stets über ihren sackförmigen Bruder dominierten, der in seiner
XXL-Ausprägung noch am ehesten im Hip-Hop oder in der sportlichen Variante mit
Mel „Sporty Spice“ C bei den Spice Girls reüssierte.
Rehabilitationen
Zeitweilige
(und sehr zum Ärger Karl Lagerfelds erfolgte) Rehabilitationen der Jogginghose vom
Catwalk herab beweisen zusätzlich, dass die Angelegenheit eine durch und durch
komplizierte ist. Mit dem Hipster als Garant dafür, dass Modesünden von früher
auch in Trendgegenden zwischen Wien-Neubau und Berlin-Prenzlauer Berg wieder
„gehen“, wird wiederum an Grätzlbewohner erinnert, die vor 30 Jahren an der
gleichen Stelle und in der gleichen Montur ihren Zweier-Golf auf Hochglanz
polierten.
Die
Rechte am Internationalen Jogginghosentag halten übrigens vier junge Männer aus
Graz, die zum Gründungszeitpunkt im November 2009 vermutlich einen langweiligen
Schultag zu überstehen hatten – und das im als unangenehm empfundenen
Beinkleid. Ihre Anweisung zum Aktionstag lautet auf der offiziellen
Facebook-Seite schlicht: „Trag am 21. Januar einfach den ganzen Tag eine
Jogginghose. Egal ob du in die Schule, zur Arbeit oder sonst wo hin gehst.“
Ja? Wie bitte, was? Es ist schon Wochenende?
Dann aber Schluss. Rein in die Jogginghose. Raus aus dem Alltag. Und ab auf die
Couch mit uns kleinen Potatoes!
(Wiener Zeitung, 18./19.1.2014)
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