Dienstag, Januar 28, 2014

Der Sänger als Aktivist

Pete Seeger, zentrale Figur des US-Folk, verstarb im Alter von 94 Jahren in New York 

- Zum Tod des Schöpfers von Songs wie "Where Have All The Flowers Gone?" 

In den 1960er Jahren wurde sein vermutlich größter Hit zum Schlüsselsong der Friedensbewegung: Das von einer im Zuge des Vietnam-Kriegs stark politisierten US-Jugend dankbar angenommene „Where Have All The Flowers Gone?“ traf den Nerv der Zeit zum einen inhaltlich. Musikalisch wiederum kam Pete Seeger das Folk-Revival zu Hilfe, das in seiner Heimat New York vor allem im bald auch von Bob Dylan bewohnten Bohème-Viertel Greenwich Village grassierte. Weiter bekannt gemacht wurde der Song von Joan Baez, während eine von Marlene Dietrich zum Besten gegebene Interpretation („Sag mir, wo die Blumen sind“) 1962 auch im deutschsprachigen Raum reüssierte. 

Politik am Banjo 

Zu diesem Zeitpunkt stieß Pete Seegers Hauptanliegen auf eine verbreiterte Basis: Von seiner Erziehung beeinflusst – Seegers Vater war Musikwissenschaftler, seine Mutter Geigenlehrerein –, ging es dem am 3. Mai des Jahres 1919 geborenen Musiker um die Pflege des Folk-Songs als genuines amerikanisches Kulturgut. Zeit seines Lebens trat Seeger nicht nur als Interpret von Traditionals sowie mit eigenen Songs – darunter politisch wachsame sowie gesellschaftspolitisch sensible Klassiker wie „If I Had A Hammer (The Hammer Song)“ oder „Turn, Turn, Turn!“ – in Erscheinung. Als Mitbegründer des Folk-Magazins „Sing Out!“ oder der Musikorganisation „People’s Songs“ setzte Seeger ebenso Akzente wie mit Buchpublikationen. Zu Standardwerken wie „The Incompleat Folksinger“ kamen praktische Lehrbücher wie das um Seegers Lieblingsinstrument kreisende „How to Play the Five-String Banjo“.

Seine bereits in jungen Jahren geformte politische Haltung, die sich künstlerisch an der Vorarbeit eines Woody Guthrie orientierte, wurde durch eine erste Zäsur in seiner Laufbahn alles andere als abgeschwächt. Nach nur zwei Jahren, die Seeger mit seiner Band The Almanac Singers verbringen durfte, ging es für die US-Army in den Zweiten Weltkrieg – wobei Seeger vor allem damit beauftragt war, seine Truppe musikalisch bei Laune zu halten. Die Tradition der zwischen Antikriegsliedern und Songs über das Leben der einfachen Arbeiter angesiedelten Almanac Singers, die ihre Stimme nicht zuletzt auch für starke Gewerkschaften erhoben, wurde nach 1945 zunächst mit The Weavers fortgesetzt. Im Verbund mit wechselnden Kollegen wie dem einflussreichen Musikdokumentaristen Alan Lomax oder Seegers großem Vorbild Woody Guthrie gelangen Klassiker wie das besagte, für die US-Bürgerrechtsbewegung wichtige und etwa auch von Aretha Franklin gecoverte „If A Had A Hammer“, das zuletzt auch noch zum „Wikileaks Song“ mutierte. 

Im Visier der Behörden 

In den 50er Jahren geriet der für wenige Jahre auch als Mitglied der Communist Party USA aktive Songwriter aber zunehmend ins Visier der US-Behörden. Während die Verbannung der Weavers auf die Schwarze Liste während der sogenannten McCarthy-Ära das Schicksal der Band besiegelte, verweigerte Seeger eine Aussage vor dem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“. Von der daraus resultierenden Verurteilung zu zehn Jahren Haft musste er zwar nur zwölf Monate absitzen. Als wesentlich schlimmer erwies sich aber der anschließende Boykott durch die Medien, der ihn im echten Leben zur Randnotiz degradierte. Der Siegeszug des Rock ’n’ Roll machte die Sache nicht leichter. Folk kam aus der Mode. Und der Aufbruch wünschte sich frisches Blut statt bierernster Mahner.

Bis heute sinnbildlich für die sich abzeichnende Wende steht Bob Dylans Auftritt beim Newport Folk Festival im Jahre 1965, der die Verstärker zum Glühen und Pete Seeger zum Schäumen brachte – auch wenn dieser rückwirkend argumentierte, sich nur über die lautstärkebedingte Text-Unverständlichkeit geärgert zu haben.

Bis ins Jahr 2008 und zu seinem Album „At 89“ erschien zwar weiterhin Solomaterial von Pete Seeger. Die erhebliche Entschleunigung des Produktionstempos aber ließ Raum für anderweitige Aktivitäten. Umweltschutz war etwa ein Thema, seit Seeger 1969 die Organisation „Clearwater“ mitbegründete. Seinen Mythos durften ohnehin längst andere Künstler befeuern (wie etwa Bruce Spingsteen mit seiner Hommage „We Shall Overcome: The Seeger Sessions“); seine Altersrolle als Elder Statesman des Folk genoss Pete Seeger aber sichtlich, als seinem Auftritt bei der Inauguration Barack Obamas 2009 die ganze Welt zusehen konnte.

Am Montag ist Pete Seeger 94-jährig in einem New Yorker Krankenhaus verstorben. Mit ihm geht eine der brennendsten Stimmen für eine sozial gerechtere Welt, die die Folk-Szene jemals hervorgebracht hat.

(Wiener Zeitung, 29.1.2014)

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