„Groundhog Day“:
Murmeltier Phil gibt Auskunft über das Schicksal des Winters
- Notizen
zum Murmeltiertag am kommenden Sonntag
Als
Murmeltier in der kasachischen Steppe oder weit draußen in der
nordamerikanischen Prärie hat man gemeinhin nicht die größten Ambitionen –
beziehungsweise beschränken sich diese zunächst einmal darauf, sich in den
Sommermonaten einen erheblichen Winterspeck anzufuttern. Na gut, unsere
nagenden Freunde sind zwar tüchtige Tunnelbauer, das unterirdische Gangsystem
ist vor allem aber als Rückzugsgebiet zweckdienlich. Dort kann man außer
Faulsein etwa auch exakt gar nichts tun. Ja, Murmeltiere sind gerne daheim und
unter ihresgleichen anstatt draußen in der großen und gefährlichen Welt.
Bezeichnenderweise gilt es auch, den jährlichen Winterschlaf im Extremfall auf
bis zu neun Monate auszudehnen.
Leider
aber gibt es für die prominentesten aller Murmeltiere ein Problem. Dieses heißt
Mensch und klopft unter kräftigem Getöse bereits am 2. Februar an die Tür, um
das wohlige Träumeland mit der kalten, allzu hellen und über Gebühr im Ohr
schmerzenden Wirklichkeit zu konfrontieren. Immerhin möchte man vom Murmeltier
wissen, ob der Winter noch lange andauern oder ob es doch zeitig Frühling wird.
Wir sehen schon: Menschen sind doof. Als hätte man als Nager keine anderen
Sorgen!
Für Leib und
Leben
Der
Wunsch, den Verlauf der Jahreszeiten oder etwa auch das Wetter der näheren
Zukunft möglichst genau schon im Voraus zu kennen, ist dabei so alt wie die
Menschheit selbst. Das hat, historisch betrachtet, nicht mit der Planung zu
tun, ob man als Österreicher etwa im Juli an den Wörthersee fahren oder im
Winter nach Kenia jetten soll, um – wie das Murmeltier im Bau – exakt gar
nichts zu tun, sondern mit den einfachsten Grundbedürfnissen. Immerhin galt es,
Ernteausfällen vorzubeugen oder im Falle eines zu bewältigenden Marschs durch
das Hochgebirge in kein Donnerwetter zu kommen. Kurz: Es ging um Leib und
Leben. Zur Einschätzung der Lage begann der Mensch interessanterweise durchaus
NSA-tauglich, wenn auch ohne fatalistische Algorithmen, ausgerechnet über die
Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen. Ereignisse an Lostagen etwa wurden
für längerfristige Prognosen genutzt, während kurzfristige Umschwünge über das
Verhalten der Tier- und Pflanzenwelt eingeschätzt werden konnten. Zur
Festlegung der so beobachteten Gesetzmäßigkeiten entstanden schließlich die
Bauernregeln, die heute archaisch anmuten mögen, das Wissen aber leichter
tradierbar machten.
Erstmals 1887
In
Nordamerika wurde das Murmeltier zum wetterprognostischen Leithammel geadelt.
Deutsche Einwanderer, von den Bauernregeln der alten Heimat ursprünglich an
Dachse gewöhnt, sorgten dafür – und erfanden mit dem „Groundhog Day“ nicht nur
einen Aktionstag, sondern gleich auch ein Volksfest. Die älteste diesbezügliche
Tradition etwa geht auf die 6000-Seelen-Stadt Punxsutawney im US-Bundesstaat Pennsylvania zurück, wo
Feierlichkeiten erstmals im Jahre 1887 stattfanden. Wenn Phil, das Murmeltier –
dessen Gattung im örtlich gepflegten Pennsilfaanisch Deitsch übrigens unschön
„Grundsau“ genannt wird – bei der Rückkehr an die Frischluft seines Schattens
ansichtig wird, dauert der Winter noch sechs weitere Wochen lang. Das wäre für
Phil aber insofern gut, als sein Schlaf dann für die gleiche Zeitspanne in die
Verlängerung geht.
Durch
die US-Komödie „Groundhog Day“ (Deutscher Titel: „Und täglich grüßt das
Murmeltier“) mit Bill Murray in seiner Paraderolle als zynischer TV-Reporter,
den der jährliche Bericht vom Murmeltierfest auch deshalb auf die Nerven geht,
weil er für Pulitzerpreistauglicheres eindeutig besser geeignet wäre, wurde der
Murmeltiertag nicht nur mindestens weltberühmt. Er erfuhr durch die
Parabelhaftigkeit seiner Erzählung auch eine Bedeutungsausdehnung. Über das
Gefangensein in der Zeitschleife, die Bill Murray den gleichen Tag immer und
immer wieder erleben lässt, stand der Groundhog Day bald auch synonym für den
Trott des Alltags, die Fadesse der Wiederholung und solchermaßen für die
Depression – sowie letztlich für die Überwindung all dessen.
Den Murmeltieren selbst – neben Punxsutawney
Phil sind beispielsweise auch General Beauregard Lee, Wiarton Willie, Spanish
Joe, Balzac Billy und Jimmy the Groundhog jährlich im Einsatz – dürfen diese
Überlegungen herzlich egal sein. Wobei die Trefferquote ihrer Prognosen von nur
39 Prozent durchaus Anlass zum Nachdenken gäbe. Unter innerer Einkehr aber
versteht das Murmeltier etwas ganz anderes – und verschwindet womöglich schon
am Sonntag wieder im Bau.
(Wiener Zeitung, 1./2.2.2014)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen