Freitag, Januar 31, 2014

Die Grundsau und das Wetter

„Groundhog Day“: Murmeltier Phil gibt Auskunft über das Schicksal des Winters

- Notizen zum Murmeltiertag am kommenden Sonntag 

Als Murmeltier in der kasachischen Steppe oder weit draußen in der nordamerikanischen Prärie hat man gemeinhin nicht die größten Ambitionen – beziehungsweise beschränken sich diese zunächst einmal darauf, sich in den Sommermonaten einen erheblichen Winterspeck anzufuttern. Na gut, unsere nagenden Freunde sind zwar tüchtige Tunnelbauer, das unterirdische Gangsystem ist vor allem aber als Rückzugsgebiet zweckdienlich. Dort kann man außer Faulsein etwa auch exakt gar nichts tun. Ja, Murmeltiere sind gerne daheim und unter ihresgleichen anstatt draußen in der großen und gefährlichen Welt. Bezeichnenderweise gilt es auch, den jährlichen Winterschlaf im Extremfall auf bis zu neun Monate auszudehnen.

Leider aber gibt es für die prominentesten aller Murmeltiere ein Problem. Dieses heißt Mensch und klopft unter kräftigem Getöse bereits am 2. Februar an die Tür, um das wohlige Träumeland mit der kalten, allzu hellen und über Gebühr im Ohr schmerzenden Wirklichkeit zu konfrontieren. Immerhin möchte man vom Murmeltier wissen, ob der Winter noch lange andauern oder ob es doch zeitig Frühling wird. Wir sehen schon: Menschen sind doof. Als hätte man als Nager keine anderen Sorgen! 

Für Leib und Leben 

Der Wunsch, den Verlauf der Jahreszeiten oder etwa auch das Wetter der näheren Zukunft möglichst genau schon im Voraus zu kennen, ist dabei so alt wie die Menschheit selbst. Das hat, historisch betrachtet, nicht mit der Planung zu tun, ob man als Österreicher etwa im Juli an den Wörthersee fahren oder im Winter nach Kenia jetten soll, um – wie das Murmeltier im Bau – exakt gar nichts zu tun, sondern mit den einfachsten Grundbedürfnissen. Immerhin galt es, Ernteausfällen vorzubeugen oder im Falle eines zu bewältigenden Marschs durch das Hochgebirge in kein Donnerwetter zu kommen. Kurz: Es ging um Leib und Leben. Zur Einschätzung der Lage begann der Mensch interessanterweise durchaus NSA-tauglich, wenn auch ohne fatalistische Algorithmen, ausgerechnet über die Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen. Ereignisse an Lostagen etwa wurden für längerfristige Prognosen genutzt, während kurzfristige Umschwünge über das Verhalten der Tier- und Pflanzenwelt eingeschätzt werden konnten. Zur Festlegung der so beobachteten Gesetzmäßigkeiten entstanden schließlich die Bauernregeln, die heute archaisch anmuten mögen, das Wissen aber leichter tradierbar machten.

Erstmals 1887 

In Nordamerika wurde das Murmeltier zum wetterprognostischen Leithammel geadelt. Deutsche Einwanderer, von den Bauernregeln der alten Heimat ursprünglich an Dachse gewöhnt, sorgten dafür – und erfanden mit dem „Groundhog Day“ nicht nur einen Aktionstag, sondern gleich auch ein Volksfest. Die älteste diesbezügliche Tradition etwa geht auf die 6000-Seelen-Stadt Punxsutawney im US-Bundesstaat Pennsylvania zurück, wo Feierlichkeiten erstmals im Jahre 1887 stattfanden. Wenn Phil, das Murmeltier – dessen Gattung im örtlich gepflegten Pennsilfaanisch Deitsch übrigens unschön „Grundsau“ genannt wird – bei der Rückkehr an die Frischluft seines Schattens ansichtig wird, dauert der Winter noch sechs weitere Wochen lang. Das wäre für Phil aber insofern gut, als sein Schlaf dann für die gleiche Zeitspanne in die Verlängerung geht.

Durch die US-Komödie „Groundhog Day“ (Deutscher Titel: „Und täglich grüßt das Murmeltier“) mit Bill Murray in seiner Paraderolle als zynischer TV-Reporter, den der jährliche Bericht vom Murmeltierfest auch deshalb auf die Nerven geht, weil er für Pulitzerpreistauglicheres eindeutig besser geeignet wäre, wurde der Murmeltiertag nicht nur mindestens weltberühmt. Er erfuhr durch die Parabelhaftigkeit seiner Erzählung auch eine Bedeutungsausdehnung. Über das Gefangensein in der Zeitschleife, die Bill Murray den gleichen Tag immer und immer wieder erleben lässt, stand der Groundhog Day bald auch synonym für den Trott des Alltags, die Fadesse der Wiederholung und solchermaßen für die Depression – sowie letztlich für die Überwindung all dessen. 

Den Murmeltieren selbst – neben Punxsutawney Phil sind beispielsweise auch General Beauregard Lee, Wiarton Willie, Spanish Joe, Balzac Billy und Jimmy the Groundhog jährlich im Einsatz – dürfen diese Überlegungen herzlich egal sein. Wobei die Trefferquote ihrer Prognosen von nur 39 Prozent durchaus Anlass zum Nachdenken gäbe. Unter innerer Einkehr aber versteht das Murmeltier etwas ganz anderes – und verschwindet womöglich schon am Sonntag wieder im Bau. 

(Wiener Zeitung, 1./2.2.2014)

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