Wohldosierter Weltschmerz: Agnes Obel gastierte in Wien
Gefühle sind eine gute Sache – zumindest, wenn es
sich nicht um die schlechten handelt. Schließlich könnte man die Welt ja auch
so betrachten, dass das Leben im Endeffekt tödlich und der Weg bis zum Schluss
sicher kein leichter ist. Heute ist ein solches Denken nicht schwer. Neben der
Nachrichtenlage im Fernsehkastl macht uns im echten Leben längst auch ein diesbezüglich
reales Gefühl unrund und krise.
Der Otto-Normal-Verbraucher hat zur Abhilfe gute
Freunde oder bessere Tabletten – oder aber er hat ein Problem. Der Musiker wiederum
hat eine Gitarre zur Hand oder ein Klavier in der Wohnung und singt traurige
Lieder. Das ermöglicht im besten Fall nicht nur ein prekäres Dasein als Talent,
sondern vor allem eine Entfesselung der Selbstheilungskräfte. Katharsis. Wiederbelebung!
Leider vergisst der Endverbraucher zu oft, dass es für Lieder über „love“ und
„pain“ auch einen Künstler braucht, der durch die Hölle ging.
Die dänische Songwriterin Agnes Obel geht für ihre Kunst
zwar nicht durch die Hölle – trotzdem ist diese in Sachen Traurigkeit als
Bewältigungshilfe geeignet, wenn im Starbucks kein Vanille-Aroma verfügbar ist
oder uns auf Zalando das letzte geile Stück im Sale-Shopping weggeschnappt
wurde. Kurz: Die beiden bisher veröffentlichten Alben „Philharmonics“ (2010)
und „Aventine“ (2013) sind keinerlei Depression geschuldet und beschränken sich
stattdessen auf Weltschmerz in verkraftbaren Dosen. Hier wird zu angenehmen Arrangements
ganz schön gelitten. Das Herz tut weh, nur einen Grund brauchen wir noch: „This
song is about being alone!“
Im ausverkauften Stadtsaal begeistert die 33-Jährige
ihr Publikum in standesgemäßer Vortragsabend-Instrumentierung am Flügel und mit
zwei Helferleins an Cello, Geige und Bratsche nichtsdestotrotz mit
instrumentalen Fingerübungen, die auch als Soundtrack für das bürgerliche
französische Kino durchgehen würden, sowie vor allem mit hübsch reduzierten Songs wie „Riverside“, „Beast“ oder „Dorian“. Dabei
wird ohne großen Nachdruck eindringliche Kunst geschaffen, deren Eleganz auf
Konzentration und Aussparung baut. Wir hören ohne Drama-Queen-Gestus gegebene,
mit Gruppengesängen versehene und im sanft abgedunkelten Dreiviertel-Takt
wippende Songs über einsame Spaziergänge unten am Fluss sowie entlang im Wind
wogender Wiesen.
Nach einer Stunde und 15 Minuten sowie einem Cover
des John-Cale-Klassikers „Close Watch“ muss niemand traurig sein. Es ist nur
zartcore, baby – und die Nacht schwarz genug.
(Wiener Zeitung, 10.1.2014)
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