Donnerstag, Januar 09, 2014

Ganz schön leiden

Wohldosierter Weltschmerz: Agnes Obel gastierte in Wien

Gefühle sind eine gute Sache – zumindest, wenn es sich nicht um die schlechten handelt. Schließlich könnte man die Welt ja auch so betrachten, dass das Leben im Endeffekt tödlich und der Weg bis zum Schluss sicher kein leichter ist. Heute ist ein solches Denken nicht schwer. Neben der Nachrichtenlage im Fernsehkastl macht uns im echten Leben längst auch ein diesbezüglich reales Gefühl unrund und krise.

Der Otto-Normal-Verbraucher hat zur Abhilfe gute Freunde oder bessere Tabletten – oder aber er hat ein Problem. Der Musiker wiederum hat eine Gitarre zur Hand oder ein Klavier in der Wohnung und singt traurige Lieder. Das ermöglicht im besten Fall nicht nur ein prekäres Dasein als Talent, sondern vor allem eine Entfesselung der Selbstheilungskräfte. Katharsis. Wiederbelebung! Leider vergisst der Endverbraucher zu oft, dass es für Lieder über „love“ und „pain“ auch einen Künstler braucht, der durch die Hölle ging.

Die dänische Songwriterin Agnes Obel geht für ihre Kunst zwar nicht durch die Hölle – trotzdem ist diese in Sachen Traurigkeit als Bewältigungshilfe geeignet, wenn im Starbucks kein Vanille-Aroma verfügbar ist oder uns auf Zalando das letzte geile Stück im Sale-Shopping weggeschnappt wurde. Kurz: Die beiden bisher veröffentlichten Alben „Philharmonics“ (2010) und „Aventine“ (2013) sind keinerlei Depression geschuldet und beschränken sich stattdessen auf Weltschmerz in verkraftbaren Dosen. Hier wird zu angenehmen Arrangements ganz schön gelitten. Das Herz tut weh, nur einen Grund brauchen wir noch: „This song is about being alone!“ 

Im ausverkauften Stadtsaal begeistert die 33-Jährige ihr Publikum in standesgemäßer Vortragsabend-Instrumentierung am Flügel und mit zwei Helferleins an Cello, Geige und Bratsche nichtsdestotrotz mit instrumentalen Fingerübungen, die auch als Soundtrack für das bürgerliche französische Kino durchgehen würden, sowie vor allem mit hübsch reduzierten  Songs wie „Riverside“, „Beast“ oder „Dorian“. Dabei wird ohne großen Nachdruck eindringliche Kunst geschaffen, deren Eleganz auf Konzentration und Aussparung baut. Wir hören ohne Drama-Queen-Gestus gegebene, mit Gruppengesängen versehene und im sanft abgedunkelten Dreiviertel-Takt wippende Songs über einsame Spaziergänge unten am Fluss sowie entlang im Wind wogender Wiesen.

Nach einer Stunde und 15 Minuten sowie einem Cover des John-Cale-Klassikers „Close Watch“ muss niemand traurig sein. Es ist nur zartcore, baby – und die Nacht schwarz genug. 

(Wiener Zeitung, 10.1.2014)

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