„Sound of 2014“:
Auch heuer verkündet die BBC die Pop-Durchstarter von morgen
-
Sieger des diesjährigen
BBC-Polls ist der Brite Sam Smith
Bereits
die ältesten heute bekannten und auf die frühen Hochkulturen Ägyptens
zurückgehenden Kalender belegen das urmenschliche Interesse, in die Zukunft zu blicken.
Dieses mag mit zunehmendem Alter eventuell ein klein wenig abnehmen und zu Sätzen
führen, die mit „Wir werden es nicht mehr erleben“ beginnen. Aber auch schon
zuvor ist es ganz dem individuellen Standpunkt geschuldet, ob der Blick nach
vorne zuversichtlich („Du kannst es dir vorstellen. Also kannst es auch
bauen!“) oder, angesichts der Verhältnisse, zweckpessimistisch ausfällt. Eine
diesbezügliche „Befürchtung“ wusste einst bereits Karl Valentin auf den Punkt
zu bringen. Sie lautet: „Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon
ist!“
Erschwerte
Prognosen
Um
Genaueres über die Zukunft aussagen zu können, bedurfte es aber einer radikalen
Erfindung. Mit der Einführung der Zeitreise in die Literatur durch H. G. Wells,
der mit seinem Science-Fiction-Roman „The Time Machine“ im Jahre 1895 Pionierarbeit leistete, waren weder
Utopie noch Dystopie weiter Grenzen gesetzt. Vor allem durfte die Zukunft ab
nun auch über gezielte Manipulationen der Vergangenheit gestaltet und
ummodelliert werden. Das musste man sich erst einmal vorstellen können!
Die
Etablierung von Erwerbs- und Beschäftigungsmöglichkeiten im Umfeld der Trend-
und Zukunftsforschung sowie in sogenannten Think-Tanks (nicht nur) politischer
Parteien mutet vergleichsweise profan und erheblich Hollywood-untauglicher an.
Allerdings bestätigt sie den Trend zum Trend nachdrücklich wie sonst nur ein Besuch
beim Friseur. Dort bildet man sich etwa mit allwissenden Modezeitschriften dahingehend
fort, dass die, ja, „Trendfarben“ „Radiant Orchid“ und „First Date Violet“ im
Jahre 2014 die Wangen und das Haupthaar der Frauenwelt dominieren werden. Wer
hätte das gedacht?
Ehe
weitere Elemente aus der Science-Fiction-Literatur Realität und somit etwa auch
Algorithmen an die Stelle von höchstens als Fehlerquelle verlässlichen Experten
treten werden, bleibt die akkumulierte Branchenmeinung das Maß aller Dinge. In
Sachen Pop etwa ist die BBC mit ihrem jährlich abgehaltenen „Sound of …“-Poll
mindestens tonangebend, wenn es um die Prognose der Newcomer für die
Folgesaison geht. Dabei ist ein gewisser Erfolgsgarant, dass die massiv erhöhte
Aufmerksamkeit per Nominierung für selbsterfüllende Prophezeiungen sorgt. An
Namen wie 50 Cent oder Adele gab und gibt es etwa tatsächlich kein
Vorbeikommen, während stagnierende Karrieren von weiteren einstigen Listensiegern
wie Little Boots aber auch von der Möglichkeit eines temporären Hypes künden.
Starke Stimmen
Aus
der am Freitag vervollständigten Prognose für das Jahr 2014 jedenfalls lässt
sich nun etwa ableiten, dass die Experten heuer bevorzugt auf ausdrucksstarke Stimmen
setzen – und im Grunde keine Gitarren mehr hören wollen. Auf dem fünften und
letzten Platz der Shortlist ist mit George Ezras akustischem Songwriting nur ein
diesbezüglicher Act vertreten. Gediegen-gefühlige Klavierkompositionen (Sampha,
Platz 4), unterkühlt-modernistischer R&B-Pop mit Neigung zu dunklen Beats
(Banks, Platz 3) und hübscher, auch für den erlösträchtigeren Erwachsenenmarkt bestens
geeigneter R&B in der Hausmachervariante dominieren das Bild – Letztgenannter mit der 19-jährigen Britin Ella Eyre, die stimmlich durchaus an
Amy Winehouse erinnert und genau wie diese oder Adele die BRIT School for
Performing Arts & Technology absolvierte.
Allen
gemeinsam ist der standesgemäße Mangel an bisher veröffentlichtem Material. So mag
der 21-jährige britische Diesjahressieger Sam Smith zwar bereits als Gaststimme
von Acts wie Disclosure oder Naughty Boy vorstellig geworden sein. Die wenigen verfügbaren
Songs unter eigenem Namen sind zwischen schwer verdaulichem Balladenkitsch und näher
am Puls der Zeit gehaltenem R&B allerdings noch schwer einzuschätzen. Mehr
Aufschluss sollte das Debütalbum geben, dessen Veröffentlichung vom Platten-Major
Universal für Ende Mai anberaumt wurde.
Nach
den zuletzt gekrönten, letztlich unspektakulären Fleetwood-Mac-Wiedergängen von
Haim aus Kalifornien wäre es an der Zeit für etwas mehr Substanz an der Spitze.
Diese scheint fürs Erste allerdings nicht in Sicht – zumal ohne Zeitmaschine.
(Wiener Zeitung, 11./12.1.2014)
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