Freitag, Januar 24, 2014

Saxofone für Utopia

Neues Album: Ja, Panik umrahmen ihre Referenztexte nun mit tanzbarem Wave-Pop

- Mit Marx in die Disco, mit Rousseau zur Europäischen Zentralbank

Der Begriff der Utopie und die mit diesem verbundene Vorstellung von Verhältnissen, wie sie sein könnten, wenn sie nur nicht so wären, wie sie es eben sind, wird im Kosmos der Gruppe Ja, Panik als bisher untergeordnet erinnert. Das hat vermutlich damit zu tun, dass es von zu Schlagworten einer Generation Krise mutierten Songtiteln wie „Alles hin, hin, hin“ aus dem programmatisch „The Angst And The Money“ benannten Durchbruchsalbum von 2009 zuletzt noch einmal abwärts ging. 

Neues Manifest 

Trotz einer auf dem Opus magnum „DMD KIU LIDT“ (2011) präsentierten Tendenz zur Ironie und entgegen auch eindeutig uneindeutigen Songtexten mit entsprechend hohem Interpretationspotenzial wurde mit Songs wie „Trouble“ oder „Modern Life Is War“ merkbar problemgewälzt. Immerhin konnte Sänger und Texter Andreas Spechtl auch in der neuen Wahlheimat Berlin nicht gänzlich verleugnen, dass man als geborener Ösi-Bua grundsätzlich zum Schwarzfärben neigt – wobei die Band auch erbaulichere Botschaften im Angebot hatte, so man sie denn als solche erkannte: „Suicide is love. Suicide is passion!“

Dem mittlerweile fünften und kommende Woche erscheinenden neuen Album mit dem Namen „Libertatia“ ist nun nicht nur wieder ein Manifest beigelegt, das Kritiker in ihrem Hauptvorwurf, die Band sei zu verkopft, durchwegs bestätigen sollte. Ja, Panik entwerfen mit den sechzehn dabei destillierten Thesen auch gleich einen theoretischen Überbau für die zehn neuen Songs: Fokussiert auf die Ideengeschichte von Libertatia, das als utopische Republik bereits im frühen 18. Jahrhundert etwa auch auf Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vertraut haben soll, wird der grauen Realität des Alltags über die Möglichkeit einer (anarchistischen) Insel entkommen.

Bei allem Übereifer in der Grundlagenforschung, die sich auch diesmal mit gefühlten hundert Referenzen pro Song niederschlägt – von Karl Marx, mit dem bei „Dance The ECB“ nicht nur die Europäische Zentralbank zum Tanzen gebracht wird, über Jean-Jacques Rousseau bis hin zu Peter Weibel und seinem Hotel Morphila Orchester („Liebe ist ein Hospital“) –, sollte eines nicht vergessen werden: die Hinwendung zum Groove und zu den Vorgaben eines slicken Wave-Pop zwischen kurz angeschlagenen Hallgitarren, funky Soul-Bässen und flächigen Keyboardsounds im Stil der 1980er Jahre lässt die Musik selbst vergleichsweise einfach erscheinen. 

Dancefloor-Sophistication 

Unter besonderer Berücksichtigung alter Helden wie Prefab Sprout und bisweilen auch Roxy Music entsteht zwar abermals sanft aus der Zeit gefallene Musik – diese wendet sich vom Gestus einer in sich versunkenen Hinterhof-Bohème allerdings ab und setzt stattdessen auf einen schillernden Popbegriff zwischen repetitiven Strukturen, einprägsamen Arrangements und homogen im mittleren Tempobereich angelegter Dancefloor-Sophistication. Im Gegensatz zu Spechtls zumindest nur teils bestätigter Behauptung, auch die Texte selbst seien expliziter geworden, hat man es zweifelsohne mit dem musikalisch eingängigsten Album von Ja, Panik zu tun. Das macht Spaß und funktioniert auch, wenn die Bläser auf den Spuren von Roxy Music in ihrer „Avalon“-Phase wandeln („Eigentlich wissen es alle“) oder der (Schön-)Geist eines Bryan-Ferry-Songs wie „Don’t Stop The Dance“ das smoothe „Chain Gang“ durchweht. Vor allem aber, wie die in der Zwischenzeit vom Fünfer zum Trio geschrumpfte Band bei „Radio Libertatia“ den am Papier schwierigen Brückenschlag zwischen einem anfänglichen Talking-Heads-Beat, früher Blumfeld-Ästhetik und der zu Spechtls Denglisch passenden Falco-Intonation meistert, um dabei ebenso ungewohnt wie erfrischend ausgelassen zu klingen, ist in der Tat ziemlich fantastisch.

Mit dem Saxofon über den Dancefloor und ab nach Utopia? Das klingt verrückt. Aber es funktioniert!

Ja, Panik: Libertatia (Staatsakt/Rough Trade) 

(Wiener Zeitung, 25./26.1.2014)

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