Neues Album: Ja,
Panik umrahmen ihre Referenztexte nun mit tanzbarem Wave-Pop
- Mit Marx in die
Disco, mit Rousseau zur Europäischen Zentralbank
Der
Begriff der Utopie und die mit diesem verbundene Vorstellung von Verhältnissen,
wie sie sein könnten, wenn sie nur nicht so wären, wie sie es eben sind, wird
im Kosmos der Gruppe Ja, Panik als bisher untergeordnet erinnert. Das hat
vermutlich damit zu tun, dass es von zu Schlagworten einer Generation Krise
mutierten Songtiteln wie „Alles hin, hin, hin“ aus dem programmatisch „The
Angst And The Money“ benannten Durchbruchsalbum von 2009 zuletzt noch einmal
abwärts ging.
Neues Manifest
Trotz
einer auf dem Opus magnum „DMD KIU LIDT“ (2011) präsentierten Tendenz zur
Ironie und entgegen auch eindeutig uneindeutigen Songtexten mit entsprechend
hohem Interpretationspotenzial wurde mit Songs wie „Trouble“ oder „Modern Life
Is War“ merkbar problemgewälzt. Immerhin konnte Sänger und Texter Andreas
Spechtl auch in der neuen Wahlheimat Berlin nicht gänzlich verleugnen, dass man
als geborener Ösi-Bua grundsätzlich zum Schwarzfärben neigt – wobei die Band
auch erbaulichere Botschaften im Angebot hatte, so man sie denn als solche erkannte:
„Suicide is love. Suicide is passion!“
Dem
mittlerweile fünften und kommende Woche erscheinenden neuen Album mit dem Namen
„Libertatia“ ist nun nicht nur wieder ein Manifest beigelegt, das Kritiker in
ihrem Hauptvorwurf, die Band sei zu verkopft, durchwegs bestätigen sollte. Ja,
Panik entwerfen mit den sechzehn dabei destillierten Thesen auch gleich einen theoretischen
Überbau für die zehn neuen Songs: Fokussiert auf die Ideengeschichte von
Libertatia, das als utopische Republik bereits im frühen 18. Jahrhundert etwa
auch auf Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vertraut haben soll,
wird der grauen Realität des Alltags über die Möglichkeit einer (anarchistischen)
Insel entkommen.
Bei
allem Übereifer in der Grundlagenforschung, die sich auch diesmal mit gefühlten
hundert Referenzen pro Song niederschlägt – von Karl Marx, mit dem bei „Dance
The ECB“ nicht nur die Europäische Zentralbank zum Tanzen gebracht wird, über Jean-Jacques Rousseau bis hin zu Peter Weibel
und seinem Hotel Morphila Orchester („Liebe ist ein Hospital“) –, sollte
eines nicht vergessen werden: die Hinwendung zum Groove und zu den Vorgaben
eines slicken Wave-Pop zwischen kurz angeschlagenen Hallgitarren, funky Soul-Bässen
und flächigen Keyboardsounds im Stil der 1980er Jahre lässt die Musik selbst vergleichsweise
einfach erscheinen.
Dancefloor-Sophistication
Unter
besonderer Berücksichtigung alter Helden wie Prefab Sprout und bisweilen auch
Roxy Music entsteht zwar abermals sanft aus der Zeit gefallene Musik – diese
wendet sich vom Gestus einer in sich versunkenen Hinterhof-Bohème allerdings ab und setzt
stattdessen auf einen schillernden Popbegriff zwischen repetitiven Strukturen,
einprägsamen Arrangements und homogen im mittleren Tempobereich angelegter
Dancefloor-Sophistication. Im Gegensatz zu Spechtls zumindest nur teils
bestätigter Behauptung, auch die Texte selbst seien expliziter geworden, hat
man es zweifelsohne mit dem musikalisch eingängigsten Album von Ja, Panik zu
tun. Das macht Spaß und funktioniert auch, wenn die Bläser auf den Spuren von
Roxy Music in ihrer „Avalon“-Phase wandeln („Eigentlich wissen es alle“) oder
der (Schön-)Geist eines Bryan-Ferry-Songs wie „Don’t Stop The Dance“ das
smoothe „Chain Gang“ durchweht. Vor allem aber, wie die in der Zwischenzeit vom
Fünfer zum Trio geschrumpfte Band bei „Radio Libertatia“ den am Papier
schwierigen Brückenschlag zwischen einem anfänglichen Talking-Heads-Beat,
früher Blumfeld-Ästhetik und der zu Spechtls Denglisch passenden Falco-Intonation
meistert, um dabei ebenso ungewohnt wie erfrischend ausgelassen zu klingen, ist
in der Tat ziemlich fantastisch.
Mit
dem Saxofon über den Dancefloor und ab nach Utopia? Das klingt verrückt. Aber
es funktioniert!
Ja, Panik:
Libertatia (Staatsakt/Rough Trade)
(Wiener Zeitung, 25./26.1.2014)
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