Beschwerde und
Widerstand: Der Protestsongcontest findet heuer zum elften Mal statt
- Am Mittwoch im
Rabenhof: ein Abend dafür, dagegen zu sein
Dass
es bei den Eskimos hoch droben am Nordpol besonders viele Wörter für Schnee
geben soll, ist einerseits einleuchtend und eine schöne Geschichte –
andererseits aber vollkommen falsch. Das Klischeebild vom sich hauptberuflich
ärgernden (Ost-)Österreicher als grantiger Griesgram, der schnell einmal
damisch wird, wenn ihn – Teifl eini! Zefix! – etwas an der Welt da draußen aber
sowas von anfäuld oder ihm jemand saudeppert kommt, wird vom Wortschatz her
hingegen eher bestätigt. Immerhin muss man ja auch raunzen, sudern, jammern und
meutern, wenn man gerade einen Gachn und dabei aber soichane Kawen kriagt,
einem das Geimpfte also so richtig schön aufgeht. Und jetzt haben wir noch gar
nicht über die Folgen gesprochen. Putz di. Foa o! Heast G’spritzda, wüst
schlegan?
Wir
sehen schon, ein gewisser Grant ist vorhanden. Heute vor allem auch wegen der
europäischen Zentraldings und ihrer Nullpolitik für unsere Zinsen. Oder nehmen
wir als Beispiel ein Bier. Wer hätte dem Kirchenwirt denn je 54 Schilling dafür
gegeben? Und auch ganz generell muss man über die Verhältnisse einmal sagen
dürfen: Früher hätte es das nicht gegeben!
Schaum vorm Mund
Mit
seiner Wut kann man nun spazieren oder zum Stammtisch gehen. Man kann aber auch
eine Partei gründen und das Wort „Werte“ aus dem Fernseher bellen. Andere
wiederum werden Schauspieler und kompensieren ihren Zorn am Vorbild eines Louis
de Funès mit dramatisch in Szene gesetzten Wutanfällen. Am besten aber nimmt
man noch immer eine Gitarre zur Hand und schreibt ein Protestlied über „das
System“ und seine Erfüllungsgehilfen, die Stellvertreter des Teufels auf Erden.
Mit
seinem Aufruf zum Widerstand befördert der Protestsongcontest seit 2004 nicht
nur die Idee, sich bierernst über reale Missstände im eigenen Land, in der
dritten oder längst auch der digitalen Welt zu empören – es ist zwar oasch,
aber: Nicht! Mit! Uns! Mit gewitzten Protestnoten gegen alltägliche Ärgernisse,
die als skandiert vorgetragene Widerständchen daherkommen, darf es gerne auch
um lustvolle Beschwerden gehen. Wer dauerhaft Schaum vor dem Mund hat, riskiert
schließlich, von der Revolution aufgefressen zu werden.
Andererseits:
zu vieles ist uns zu oft auch zu gleichgültig. Das mit Syrien zum Beispiel ist
eine Schweinerei, aber schlimmer noch, wenn sich der Fernseher von der Couch
erhebt und mit der „ZIB“ im Hintergrund feststellt, dass es dem Kühlschrank an
Essen fehlt. Das Duo FS2 aus dem oberösterreichischen Ebensee ist dagegen und
dokumentiert den Hang zur Wurstigkeit mit seinem völkerverbindend von
jamaikanischen Entspannungsgrooves und steirischer Quetschn getragenen Protestlied
„Egal“. Aber auch das wilde Putinstan und die Olympischen Spiele in Sotschi,
von mancher Politikerrede verbreiteter „Pallawatsch“, das Polizeiwesen als
solches („ACAB“) oder das Gefangensein
im Hamsterrad („Wöd ändern, oda?“) sind Themen, die in den zehn Beiträgen
dieses Jahrgangs verhandelt werden. Mit dem quengelnden „Bored“ fordert das
Kollektiv Damenkapelle zudem sein Recht auf Langeweile ein, während ein
Männergesangsverein namens Die Schläfer mit „Sag beim Abschub leise Servus“
nichts weniger als polemisch Klartext spricht. Zwei im Vorjahr in der
Votivkirche gestrandete Flüchtlinge wiederum sind als Gastsänger von Fight Rap
Camp akustisch vertreten, um mit „Schmelzende Zeilen“ kritisch aus dem echten
Leben zu intervenieren.
Vereint sind alle Teilnehmer in der Beschwerde.
Nur ein Protestsong gegen diesen Zusammenhalt fehlt jetzt noch. Nihilistischer
Punk klassischer Schule quasi: Protest dem Protest!
(Wiener Zeitung, 12.2.2014)
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