Dienstag, Februar 11, 2014

Aber! Nicht! Mit! Uns!

Beschwerde und Widerstand: Der Protestsongcontest findet heuer zum elften Mal statt 

- Am Mittwoch im Rabenhof: ein Abend dafür, dagegen zu sein 

Dass es bei den Eskimos hoch droben am Nordpol besonders viele Wörter für Schnee geben soll, ist einerseits einleuchtend und eine schöne Geschichte – andererseits aber vollkommen falsch. Das Klischeebild vom sich hauptberuflich ärgernden (Ost-)Österreicher als grantiger Griesgram, der schnell einmal damisch wird, wenn ihn – Teifl eini! Zefix! – etwas an der Welt da draußen aber sowas von anfäuld oder ihm jemand saudeppert kommt, wird vom Wortschatz her hingegen eher bestätigt. Immerhin muss man ja auch raunzen, sudern, jammern und meutern, wenn man gerade einen Gachn und dabei aber soichane Kawen kriagt, einem das Geimpfte also so richtig schön aufgeht. Und jetzt haben wir noch gar nicht über die Folgen gesprochen. Putz di. Foa o! Heast G’spritzda, wüst schlegan?

Wir sehen schon, ein gewisser Grant ist vorhanden. Heute vor allem auch wegen der europäischen Zentraldings und ihrer Nullpolitik für unsere Zinsen. Oder nehmen wir als Beispiel ein Bier. Wer hätte dem Kirchenwirt denn je 54 Schilling dafür gegeben? Und auch ganz generell muss man über die Verhältnisse einmal sagen dürfen: Früher hätte es das nicht gegeben! 

Schaum vorm Mund 

Mit seiner Wut kann man nun spazieren oder zum Stammtisch gehen. Man kann aber auch eine Partei gründen und das Wort „Werte“ aus dem Fernseher bellen. Andere wiederum werden Schauspieler und kompensieren ihren Zorn am Vorbild eines Louis de Funès mit dramatisch in Szene gesetzten Wutanfällen. Am besten aber nimmt man noch immer eine Gitarre zur Hand und schreibt ein Protestlied über „das System“ und seine Erfüllungsgehilfen, die Stellvertreter des Teufels auf Erden.

Mit seinem Aufruf zum Widerstand befördert der Protestsongcontest seit 2004 nicht nur die Idee, sich bierernst über reale Missstände im eigenen Land, in der dritten oder längst auch der digitalen Welt zu empören – es ist zwar oasch, aber: Nicht! Mit! Uns! Mit gewitzten Protestnoten gegen alltägliche Ärgernisse, die als skandiert vorgetragene Widerständchen daherkommen, darf es gerne auch um lustvolle Beschwerden gehen. Wer dauerhaft Schaum vor dem Mund hat, riskiert schließlich, von der Revolution aufgefressen zu werden.  

Andererseits: zu vieles ist uns zu oft auch zu gleichgültig. Das mit Syrien zum Beispiel ist eine Schweinerei, aber schlimmer noch, wenn sich der Fernseher von der Couch erhebt und mit der „ZIB“ im Hintergrund feststellt, dass es dem Kühlschrank an Essen fehlt. Das Duo FS2 aus dem oberösterreichischen Ebensee ist dagegen und dokumentiert den Hang zur Wurstigkeit mit seinem völkerverbindend von jamaikanischen Entspannungsgrooves und steirischer Quetschn getragenen Protestlied „Egal“. Aber auch das wilde Putinstan und die Olympischen Spiele in Sotschi, von mancher Politikerrede verbreiteter „Pallawatsch“, das Polizeiwesen als solches („ACAB“) oder  das Gefangensein im Hamsterrad („Wöd ändern, oda?“) sind Themen, die in den zehn Beiträgen dieses Jahrgangs verhandelt werden. Mit dem quengelnden „Bored“ fordert das Kollektiv Damenkapelle zudem sein Recht auf Langeweile ein, während ein Männergesangsverein namens Die Schläfer mit „Sag beim Abschub leise Servus“ nichts weniger als polemisch Klartext spricht. Zwei im Vorjahr in der Votivkirche gestrandete Flüchtlinge wiederum sind als Gastsänger von Fight Rap Camp akustisch vertreten, um mit „Schmelzende Zeilen“ kritisch aus dem echten Leben zu intervenieren. 

Vereint sind alle Teilnehmer in der Beschwerde. Nur ein Protestsong gegen diesen Zusammenhalt fehlt jetzt noch. Nihilistischer Punk klassischer Schule quasi: Protest dem Protest!

(Wiener Zeitung, 12.2.2014)

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