Sonntag, Februar 09, 2014

Passionslieder für den Schwarzen Block

Die britische Pop-Institution Depeche Mode gastierte auf ihrer „Delta Machine Tour“ in Wien

- In der Stadthalle entfesselten Depeche Mode ihr Publikum mit einer weiteren Greatest-Hits-Show 

Wer dieser Band einmal verfällt, ist für immerdar verloren. Das passt einerseits gut zu den von Martin Gore strikt um die Pole absolute Hingabe und unbedingte Leidenschaft zentrierten Songtexten, die damit gleichermaßen Religion und Sex verhandeln und, unterstützt von Dave Gahans Risikobiografie als Steigerung aus dem echten Leben, als Offenbarungen und Passionsspiele ebenso daherkommen wie auch als Predigten und Glaubensbekenntnisse: „Now Iʼm not looking for absolution / Forgiveness for the things I do / But before you come to any conclusions / Try walking in my shoes“. Gekoppelt mit Göttersongs wie eben „Walking In My Shoes“ aus dem Jahre 1993 kann das alles auch nach zahlreichen Welttourneen noch immer für Gänsehaut und den sprichwörtlichen Knödel im Hals sorgen. Siehe auch: „Though we may deserve it / It will be worth it!“ 

Schlüsselreize 

Andererseits stellt sich natürlich die Situation, dass der als „Black Swarm“ bezeichnete Schwarze Block unter den Depeche-Mode-Fans sich zwar in den Internet-Foren versammelt, um nächtlich aufs Neue eine Setlist live mitzuverfolgen, die sich auch auf der seit bald einem Jahr laufenden „Delta Machine Tour“ im Grunde nicht ändert. Wie gesagt, man ist verloren, leidet frustrationstolerant und auch gar nicht ungern still vor sich hin und findet in der Nostalgie einen geeigneten Ankerplatz. Immerhin bedingt Nostalgie Schlüsselreize, die uns daran erinnern, was früher einmal alles (besser) war und – Stichwort: Selbstgeißelung, Auto-Leid, SM aus uns selbst heraus! – in dieser Form nicht mehr kommen wird. Es sei denn, man zieht die alte Lederjacke über und geht auf ein Depeche-Mode-Konzert, auf dem verlässlich alles beim Alten bleibt. Auch in der ausverkauften Stadthalle erlebt ein für Wiener Verhältnisse ungewohnt und selbst unter dem Dach hinten links Richtung Lugner City und Merkur euphorisch gestimmtes Publikum nichts weniger als ein Freudenfest der fixen Routine.

Wie üblich geht es mit zwei neuen Songs los. Nach dem zunächst plingenden und plongenden und danach hübsch pluckernden „Welcome To My World“ werden die Kernkompetenzen erstmals mit „Angel“ demonstriert. Andy Fletcher, der Mann hinter dem sich selbst spielenden Keyboard – Ein Wunder! Ein Wunder! – erhebt die Hände zur Segnung der Massen. Herr, erbarme dich unser! Passend dazu singt Dave Gahan längst in der Jesuspose über fremde Zungen und den Pfad der Erlösung. Dieser Weg wird bekanntlich kein leichter sein, aber er lohnt sich. DM, das magische Triumvirat – die aus unterkühlter Elektronik und wärmendem Blues von unten in Mississippi sowohl mit Morast als auch mit Bits und Bytes geölte Delta Machine! 

Einsatz und Vibrato 

Mit den keuchenden Maschinenbeats von „Black Celebration“ und einem innigen „Should Be Higher“, das live aber als Opfer für ein schlecht gelauntes Mischpult herhalten muss, geht es hin zum akustischen Balladenteil, in dem Martin Gore zum Klavier barhockerbluest, um bei Songs wie „Slow“, „Blue Dress“ oder später auch der alten B-Seite „But Not To Night“ mit üppigem Vibrato-Gesang die Drama-Queen zu mimen. Abgesehen einmal von „Halo“, das im Zugabenblock in der berührenden Goldfrapp-Version dargereicht wird, hat man es hier mit den intimsten Momenten zu tun, die man von einer Greatest-Hits-Show in der Mehrzweckhalle erwarten kann – sowie gleichzeitig mit einer Verschnaufpause für Dave Gahan, dessen Einsatzbereitschaft als Mann, der sich schon immer für uns hingegeben hat, auch nach dreieinhalb Jahrzehnten im Geschäft nicht nachlassen will. 

Der Rest? Ein tanzbares „Behind The Wheel“ (Amore, Motore!), ein erhabenes „Enjoy The Silence“, ein dramaturgisch zugespitztes „Personal Jesus“ und ein testosteroninduziertes „A Question Of Time“, dessen Energielevel höchstens noch von „I Feel You“ aus der Heroin-Ära in den 90er-Jahren und dem zeitlosen „Never Let Me Down Again“ ganz am Ende übertroffen wird. 

Draußen vor der Stadthalle sieht die Nacht im Anschluss gar nicht mehr so finster aus. Nostalgie ist keine schlechte Sache, zumindest nicht immer. Heiliges Triumvirat der elektronischen Popmusik? Der Friede sei mit dir.

(Wiener Zeitung / Online / 9.2.2014)

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