Die britische
Pop-Institution Depeche Mode gastierte auf ihrer „Delta Machine Tour“ in Wien
- In der
Stadthalle entfesselten Depeche Mode ihr Publikum mit einer weiteren
Greatest-Hits-Show
Wer
dieser Band einmal verfällt, ist für immerdar verloren. Das passt einerseits
gut zu den von Martin Gore strikt um die Pole absolute Hingabe und unbedingte
Leidenschaft zentrierten Songtexten, die damit gleichermaßen Religion und Sex
verhandeln und, unterstützt von Dave Gahans Risikobiografie als Steigerung aus
dem echten Leben, als Offenbarungen und Passionsspiele ebenso daherkommen wie auch
als Predigten und Glaubensbekenntnisse: „Now Iʼm not looking for absolution /
Forgiveness for the things I do / But before you come to any conclusions / Try
walking in my shoes“. Gekoppelt mit Göttersongs wie eben „Walking In My Shoes“
aus dem Jahre 1993 kann das alles auch nach zahlreichen Welttourneen noch immer
für Gänsehaut und den sprichwörtlichen Knödel im Hals sorgen. Siehe auch: „Though we may deserve it / It will be
worth it!“
Schlüsselreize
Andererseits
stellt sich natürlich die Situation, dass der als „Black Swarm“ bezeichnete
Schwarze Block unter den Depeche-Mode-Fans sich zwar in den Internet-Foren
versammelt, um nächtlich aufs Neue eine Setlist live mitzuverfolgen, die sich
auch auf der seit bald einem Jahr laufenden „Delta Machine Tour“ im Grunde
nicht ändert. Wie gesagt, man ist verloren, leidet frustrationstolerant und
auch gar nicht ungern still vor sich hin und findet in der Nostalgie einen
geeigneten Ankerplatz. Immerhin bedingt Nostalgie Schlüsselreize, die uns daran
erinnern, was früher einmal alles (besser) war und – Stichwort:
Selbstgeißelung, Auto-Leid, SM aus uns selbst heraus! – in dieser Form nicht
mehr kommen wird. Es sei denn, man zieht die alte Lederjacke über und geht auf
ein Depeche-Mode-Konzert, auf dem verlässlich alles beim Alten bleibt. Auch in
der ausverkauften Stadthalle erlebt ein für Wiener Verhältnisse ungewohnt und
selbst unter dem Dach hinten links Richtung Lugner City und Merkur euphorisch
gestimmtes Publikum nichts weniger als ein Freudenfest der fixen Routine.
Wie
üblich geht es mit zwei neuen Songs los. Nach dem zunächst plingenden und
plongenden und danach hübsch pluckernden „Welcome To My World“ werden die
Kernkompetenzen erstmals mit „Angel“ demonstriert. Andy Fletcher, der Mann
hinter dem sich selbst spielenden Keyboard – Ein Wunder! Ein Wunder! – erhebt
die Hände zur Segnung der Massen. Herr, erbarme dich unser! Passend dazu singt
Dave Gahan längst in der Jesuspose über fremde Zungen und den Pfad der
Erlösung. Dieser Weg wird bekanntlich kein leichter sein, aber er lohnt sich.
DM, das magische Triumvirat – die aus unterkühlter Elektronik und wärmendem
Blues von unten in Mississippi sowohl mit Morast als auch mit Bits und Bytes
geölte Delta Machine!
Einsatz und
Vibrato
Mit
den keuchenden Maschinenbeats von „Black Celebration“ und einem innigen „Should
Be Higher“, das live aber als Opfer für ein schlecht gelauntes Mischpult
herhalten muss, geht es hin zum akustischen Balladenteil, in dem Martin Gore
zum Klavier barhockerbluest, um bei Songs wie „Slow“, „Blue Dress“ oder später
auch der alten B-Seite „But Not To Night“ mit üppigem Vibrato-Gesang die
Drama-Queen zu mimen. Abgesehen einmal von „Halo“, das im Zugabenblock in der
berührenden Goldfrapp-Version dargereicht wird, hat man es hier mit den
intimsten Momenten zu tun, die man von einer Greatest-Hits-Show in der
Mehrzweckhalle erwarten kann – sowie gleichzeitig mit einer Verschnaufpause für
Dave Gahan, dessen Einsatzbereitschaft als Mann, der sich schon immer für uns
hingegeben hat, auch nach dreieinhalb Jahrzehnten im Geschäft nicht nachlassen
will.
Der Rest? Ein tanzbares
„Behind The Wheel“ (Amore, Motore!), ein erhabenes „Enjoy The Silence“, ein
dramaturgisch zugespitztes „Personal Jesus“ und ein testosteroninduziertes „A
Question Of Time“, dessen Energielevel höchstens noch von „I Feel You“ aus der Heroin-Ära
in den 90er-Jahren und dem zeitlosen „Never Let Me Down Again“ ganz am Ende übertroffen
wird.
Draußen vor der Stadthalle sieht die Nacht im
Anschluss gar nicht mehr so finster aus. Nostalgie ist keine schlechte Sache,
zumindest nicht immer. Heiliges Triumvirat der elektronischen Popmusik? Der
Friede sei mit dir.
(Wiener Zeitung / Online / 9.2.2014)
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