Montag, Februar 17, 2014

Bilder aus Musik

Der große Ennio Morricone begeisterte mit seinem 160-Personen-Tross in Wien 

- Eine Lehr- und Geschichtsstunde in Sachen (Film-)Musik 

Der Abend beginnt mit einem Video, in dem der Großmaestro über sein Arbeitsverständnis und den Spalt zwischen Absoluter und angewandter Musik referiert, der seine Karriere maßgeblich prägte. Immerhin kam Ennio Morricone von der Avantgarde um die Gruppo di Improvvisazione di Nuova Consonanza, ehe er so unterschiedliche Namen wie Paul Anka, Milva, Mireille Mathieu, die Pet Shop Boys oder Morrissey mit Kompositionen und Arrangements versorgte – und mit mehr als 500 Soundtracks sowohl Musik- als auch Filmgeschichte schrieb.

Dabei stellte sich Morricone nicht „nur“ in den Dienst der Bilder, deren Wirkungsmacht es zu erhöhen galt. Er drückte den Filmen auch nicht etwa „nur“ seinen Stempel auf. Im Extremfall gelang es dem 1928 in Rom geborenen Komponisten, die Musik selbst als Handlungsträger zu installieren und die Regisseure seinerseits in Sachen Bildgestaltung zu beeinflussen. Als Paradebeispiel dafür ist Sergio Leones Rache-Epos „Once Upon A Time In The West“ zu nennen, für das Morricone die Filmmusik bereits vor Drehbeginn fertigstellte. Die Folgen sind bekannt: Nicht nur Melodien aus der Feder des studierten Trompeters, sondern auch einzelne Töne oder – dank außermusikalischer Sounds, mit denen auf die Musique concrète Bezug genommen wurde – einzelne Geräusche befördern auch heute noch ganze Szenen aus dem kollektiven Gedächtnis. Schuld und Sühne. Close-ups auf Kanonen und Augenpartien. Der Wind peitscht durch die Prärie, über der die Aasgeier kreisen. Schüsse fallen. Bäume von Männern gehen zu Boden. Vom Kirchturm herab drängt ein letztes Glockengeläut in den Staub.

Eiserne Arbeitsmoral

In die Wiener Stadthalle wird ein gebrechlich wirkender Ennio Morricone ans Pult geführt. Der Maestro, so eine Durchsage, entschuldige sich beim Publikum dafür, aufgrund von Ischias-Beschwerden sitzend dirigieren zu müssen. Ja, der heute 85-Jährige gilt auch nach einer Dekaden umspannenden Weltkarriere nicht nur als bescheiden, sondern vor allem als Mann mit eiserner Arbeitsmoral. Allen Widrigkeiten zum Trotz, zu denen noch kommt, dass das Publikum permanent applaudieren will, wird zwei Stunden lang dienstgeleistet. Es gilt, das 85-köpfige Modern Art Orchestra sowie den mit 75 Personen besetzten Kodály Choir durch das Werk zu führen, das sich auf die Filmmusiken beschränkt, die Klassiker aber keineswegs in der Vordergrund stellt. Immerhin betont Ennio Morricone in ungefähr jedem Interview, den geringsten Teil seiner Arbeitszeit für Aufträge im (ihm als Bezeichnung verhassten) Spaghetti-Western aufgewendet zu haben. 

Einigen Stücken werden neue Nuancen verliehen. „Come Maddalena“ fährt mit einem Bass auf, den die Disco-Ära geprägt hat. Bei „Falls“ wird die Pan- durch eine Querflöte ersetzt. Den live mit Nachdruck betonten Fräsen-Sound von „La classe operaia va in Paradiso“ hätten die Einstürzenden Neubauten lauter, aber nicht besser hinbekommen.

Zu friedvoll-schwelgenden, auf einen Himmel voller Geigen gebauten Kompositionen wie „Deborah’s Theme“ werden Kontrapunkte im Unbehaglichen („The Strength Of The Righteous“) oder im mit Pauken und Trompeten zum Marsch galoppierend Kriegerischen („The Battle Of Algiers“) gesetzt. „The Ecstasy Of Gold“, der längst von  der Popkultur vereinnahmte und live von Sopranistin Susanna Rigacci geschmetterte Klassiker, steht in hübscher Verweigerungshaltung wiederum erst spät auf dem Programm – wird im Zugabenblock dafür noch ein zweites Mal zum Besten gegeben; ebenso „On Earth As It Is In Heaven“, mit dem ein großer Abend schließlich zu Ende geht. Standing Ovations, lauter Applaus und nur noch ein Wunsch an den Maestro: Gesundheit!

 (Wiener Zeitung, 18.2.2014)

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