- Die Nerven aus
Stuttgart gastieren mit ihrem neuen Album in Wien
Für
gewisse Musik ist ein gewisses Alter von Vorteil. Zwar kann man auch als
ergrauter Alt-Punk noch ein lautes und dringliches „Nein!“ gegen die Welt ins
Mikrofon brüllen, um damit nichts weniger als das System in Frage oder am
besten gleich an die Wand zu stellen. Allerdings steigt von Jahr zu Jahr
natürlich auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die zentralen Diskussionen im
Leben bald auf die Textilbeschaffenheit beim Bettwäschekauf oder die
Teesortenwahl vor dem Schlafengehen verlagern.
Die
Nerven aus Stuttgart sind von diesem und ähnlichem Spießbürgertum Lichtjahre
entfernt. Im Zweifelsfall reicht dem Trio eine Schaumstoffmatratze am Boden und
eine Palette Dosenbier als Nachtkastl aus. Was will man mehr vom Leben
erwarten? Gut, Zigaretten wären nicht schlecht, solange sie billig sind. Welche
Zigaretten sind heute billig? Wir sehen schon, es geht ziemlich schnell, dem
Lager der Teetrinker anheim zu fallen und vom Jugend-Verschwenden draußen in
der nächtlichen Stadt nur mehr relativ wenig Ahnung zu haben.
Gegen den Strich
Mit
ihrem offiziell zweiten Album, das unter dem höchstens ironisch zu lesenden
Titel „Fun“ (This Charming Man Records) soeben veröffentlicht wurde, entlässt
die Band ihre Kernkompetenzen nun erstmals auch in CD-Form in die Welt: Es geht
einerseits um Kaputtheit und Resignation, Langeweile und schlechte Aussichten
in einer noch schlechteren Zeit. Andererseits signalisiert die in aller Schwere
hochenergetische Begleitmusik, dass man sich von alledem nicht über Gebühr
beeindrucken lässt – und es mit dem Kopf keineswegs gegen, sondern schlicht
durch die Wand gehen soll. Trotz und Renitenz, die Eckpfeiler jeder
rechtschaffenen Jugend!
Skandierte
Gesänge, Bässe, die wuchtig pumpen und emsig rotieren, hart gesetzte
Krawallgitarren und scheppernde Drums stehen ebenso auf dem Programm wie
harmonische Leerstellen und in Richtung Tinnitus pfeifende Feedbacks.
Dazwischen wird über nachdrückliche Akkordwechsel aber auch für sonische Schönheit
in dunkler Schattierung gesorgt. In den aufbegehrend-trotzigen Momenten darf
dazu gebrüllt, in ernüchterten Stunden hingegen ein entrückter Sprechgesang
kultiviert werden – was vor allem auch live für ein gewisses Mehr an
Unberechenbarkeit sorgen könnte.
Eine
ästhetische Nähe zu deutschen (Post-)Punk-Bands der frühen 80er Jahre ist nicht
von der Hand zu weisen. Die bei Generationen einer an der Welt leidenden
Hörerschaft beliebten Joy Division werden mit dem Beginn von „Blaue Flecken“
wiederum nur an einer Stelle explizit als Einfluss offenkundig. Die Produktion
selbst unterstützt den verschwitzten Do-It-Yourself-Charme mit grober
Kellerästhetik.
Am Sonntag gastieren Die Nerven im Wiener Rhiz.
Der Titel eines karg-metallischen und letztlich in ein Donnerwetter führenden
Abriss-Walzers, der sich unter den zehn Songs des neuen Albums befindet, gilt
für das Konzert im Übrigen nicht: „Ich erwarte nichts mehr“ – der erfrischend
gegen den Strich gebürsteten Musik wegen ist das absolute Gegenteil richtig.
(Wiener Zeitung, 15./16.2.2014)
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