Die als St.
Vincent bekannte US-Musikerin Annie Clark veröffentlicht ihr viertes Album
Zweifelsohne
ist Annie Clark eine Musikerin, die weiß, was sie will. Neben einer Ästhetik,
die auf Eigenbrötlertum und Eigenständigkeit baut – selbst wenn man davon
ausgeht, dass Pop heute vor allem die Neuanordnung historisch erprobter
Versuchsanleitungen bedeutet –, spricht zusätzlich das Arbeitstempo der Frau
für diesen Umstand. Seit 2007 sind mittlerweile nicht nur vier Studioalben
unter dem Alias St. Vincent erschienen, Akzente wurden erst vor eineinhalb
Jahren auch im Doppelback mit David Byrne gesetzt. Auf „Love This Giant“
erwiesen sich der Talking-Heads-Vordenker und die junge Markant-Musikerin als Vater
und Tochter im Geiste. Zwischen lustvollem Pop, schlauer Laptopelektronik und zünftigen
Bläserarrangements, denen man hübsch groovende Beats unterschob, machte die
gemeinsame Unternehmung hörbar nicht nur dem Publikum großen Spaß. Auch auf der
Bühne selbst regierte die Freude.
Widerspenstigkeit
Außer
der Sache mit der uns tanzen machenden Rhythmik hat St. Vincent nun auch das
Blech, das zu alledem zickezackt, zumindest für einen Song ihrer neuesten
Soloplatte mitgenommen. „Digital Witness“, die zweite Singleauskopplung des
programmatisch selbstbetitelten Albums, klingt, wie das als dadaistische
Sci-Fi-Miniatur daherkommende Musikvideo dazu aussieht. Auch wenn sich hier
schon andeuten mag, dass St. Vincent verstärkt auch auf eingängige Momente setzt,
korrespondieren die Arrangements doch mit der windschiefen Frisur, die Annie
Clark für den Clip verpasst wurde – außer Promo soll es hier ja immer auch um die
Kunst gehen. Dazu hört man verhaltensauffälliges Songwriting, das sein Ziel, zu
unterhalten, bei aller Artyness und Widerspenstigkeit aber nie aus den Augen
verliert. Inhaltlich wiederum geht es um die im Selfie-Zeitalter entscheidende
Frage, warum man überhaupt noch etwas machen sollte, das die Öffentlichkeit
ohnehin nicht wahrnimmt. Schlafen zum Beispiel – ein Prozess, während dem die
Selbstdarstellung im Netz erst einmal Pause macht.
Pointierte Texte
Neben
für St. Vincent prototypischen Elementen wie der mit einer Lawine an
Effektgeräten behandelten E-Gitarre, die gegen den Strich gebürstete
Störmelodien über Songstrukturen mit überraschenden Wendungen stülpt, kommen
anderswo neue Facetten ins Spiel. Das ruhiger produzierte „I Prefer Your Love“
etwa lässt unterschwellig, aber doch, an Lana Del Rey denken; das dabei
abgefallene Soulfeeling macht sich auch bei „Prince Johnny“ bemerkbar. Nicht
von ungefähr saß neben Midlake-Mann McKenzie Smith auch der ansonsten für
Sharon Jones & The Dap-Kings aktive Homer Steinweiss für die Albumaufnahme
am Schlagzeug. Ein Hauch von Gospel wird hingegen von „Huey Newton“ verströmt, das
generell als eklektischer Bastard daherkommt, ehe die bei David Bowies
Outer-Space-Balladen andockenden Harmonien von „Psychopath“ weitere Einflüsse offenlegen.
Dass
St. Vincent nicht auf den Mund gefallen ist, weiß man bereits von älteren
Songtiteln wie dem köstlichen „Jesus Saves, I Spend“. Auf dem neuen Album
gelangt der Witz nun aber zur Meisterschaft. Schließlich kann man einen Song
kaum pointierter eröffnen, als es bei „Birth In Reverse“ mit dem Quasi-Tagebucheintrag
„Oh what an ordinary day / Take out the garbage, masturbate“ der Fall ist. Man
darf sich Annie Clark als Künstlerin vorstellen, die ihre Jugend in Texas, dem
Bayern Amerikas, nach wie vor überwinden muss.
Was man darüber hinaus auch nicht vergessen
sollte: St. Vincent ist es gelungen, mit strikt aus Indiehausen kommenden Alben
ein durchaus breites Publikum zu begeistern. Mit „Strange Mercy“ etwa drang ihr
dritter Streich 2011 bereits auf den 19. Platz der US-Billboard-Charts vor.
Originalität lohnt sich doch. Tolle Frau!
St. Vincent: St. Vincent (Caroline/Universal)
(Wiener Zeitung, 28.2.2014)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen