Donnerstag, Februar 27, 2014

Verschroben nach oben

Die als St. Vincent bekannte US-Musikerin Annie Clark veröffentlicht ihr viertes Album 

Zweifelsohne ist Annie Clark eine Musikerin, die weiß, was sie will. Neben einer Ästhetik, die auf Eigenbrötlertum und Eigenständigkeit baut – selbst wenn man davon ausgeht, dass Pop heute vor allem die Neuanordnung historisch erprobter Versuchsanleitungen bedeutet –, spricht zusätzlich das Arbeitstempo der Frau für diesen Umstand. Seit 2007 sind mittlerweile nicht nur vier Studioalben unter dem Alias St. Vincent erschienen, Akzente wurden erst vor eineinhalb Jahren auch im Doppelback mit David Byrne gesetzt. Auf „Love This Giant“ erwiesen sich der Talking-Heads-Vordenker und die junge Markant-Musikerin als Vater und Tochter im Geiste. Zwischen lustvollem Pop, schlauer Laptopelektronik und zünftigen Bläserarrangements, denen man hübsch groovende Beats unterschob, machte die gemeinsame Unternehmung hörbar nicht nur dem Publikum großen Spaß. Auch auf der Bühne selbst regierte die Freude. 

Widerspenstigkeit 

Außer der Sache mit der uns tanzen machenden Rhythmik hat St. Vincent nun auch das Blech, das zu alledem zickezackt, zumindest für einen Song ihrer neuesten Soloplatte mitgenommen. „Digital Witness“, die zweite Singleauskopplung des programmatisch selbstbetitelten Albums, klingt, wie das als dadaistische Sci-Fi-Miniatur daherkommende Musikvideo dazu aussieht. Auch wenn sich hier schon andeuten mag, dass St. Vincent verstärkt auch auf eingängige Momente setzt, korrespondieren die Arrangements doch mit der windschiefen Frisur, die Annie Clark für den Clip verpasst wurde – außer Promo soll es hier ja immer auch um die Kunst gehen. Dazu hört man verhaltensauffälliges Songwriting, das sein Ziel, zu unterhalten, bei aller Artyness und Widerspenstigkeit aber nie aus den Augen verliert. Inhaltlich wiederum geht es um die im Selfie-Zeitalter entscheidende Frage, warum man überhaupt noch etwas machen sollte, das die Öffentlichkeit ohnehin nicht wahrnimmt. Schlafen zum Beispiel – ein Prozess, während dem die Selbstdarstellung im Netz erst einmal Pause macht. 



Pointierte Texte 

Neben für St. Vincent prototypischen Elementen wie der mit einer Lawine an Effektgeräten behandelten E-Gitarre, die gegen den Strich gebürstete Störmelodien über Songstrukturen mit überraschenden Wendungen stülpt, kommen anderswo neue Facetten ins Spiel. Das ruhiger produzierte „I Prefer Your Love“ etwa lässt unterschwellig, aber doch, an Lana Del Rey denken; das dabei abgefallene Soulfeeling macht sich auch bei „Prince Johnny“ bemerkbar. Nicht von ungefähr saß neben Midlake-Mann McKenzie Smith auch der ansonsten für Sharon Jones & The Dap-Kings aktive Homer Steinweiss für die Albumaufnahme am Schlagzeug. Ein Hauch von Gospel wird hingegen von „Huey Newton“ verströmt, das generell als eklektischer Bastard daherkommt, ehe die bei David Bowies Outer-Space-Balladen andockenden Harmonien von „Psychopath“ weitere Einflüsse offenlegen.

Dass St. Vincent nicht auf den Mund gefallen ist, weiß man bereits von älteren Songtiteln wie dem köstlichen „Jesus Saves, I Spend“. Auf dem neuen Album gelangt der Witz nun aber zur Meisterschaft. Schließlich kann man einen Song kaum pointierter eröffnen, als es bei „Birth In Reverse“ mit dem Quasi-Tagebucheintrag „Oh what an ordinary day / Take out the garbage, masturbate“ der Fall ist. Man darf sich Annie Clark als Künstlerin vorstellen, die ihre Jugend in Texas, dem Bayern Amerikas, nach wie vor überwinden muss. 

Was man darüber hinaus auch nicht vergessen sollte: St. Vincent ist es gelungen, mit strikt aus Indiehausen kommenden Alben ein durchaus breites Publikum zu begeistern. Mit „Strange Mercy“ etwa drang ihr dritter Streich 2011 bereits auf den 19. Platz der US-Billboard-Charts vor. Originalität lohnt sich doch. Tolle Frau!

St. Vincent: St. Vincent (Caroline/Universal) 

(Wiener Zeitung, 28.2.2014)

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