Wenn alles gut geht, reimt sich „desire“ hier immer auf „fire“. Alles wird in Flammen stehen. Im Hotel zur Verschmelzung werden Nächte in weißem Satin vor roten Samttapeten verbracht. Es sind Nächte, die niemals enden, auch wenn das grelle Morgenlicht hinter dem Vorhang bereits sein böses Antlitz zeigt. Amour fou bedeutet fatalistische Liebe, nach der nichts mehr kommen kann. Und sie existiert.
Wenn es nicht so gut geht – und das passiert ziemlich oft –, findet man sich alleine und isoliert im schwärzesten Schwarz eines Kellers wieder, der Seele heißt und hinten rechts im Schatten des Herzens liegt. Es gibt kein Licht und keine Liebe und keine Hoffnung mehr. Die Welt ist schlecht. Aber sie existiert, im Gegensatz zu uns selbst, gefühltermaßen tatsächlich.
Filmischer Unterton
Ja, die Kunst Anna Calvis bevorzugt Extreme. Ein höchstes Hoch folgt auf das tiefste Tief – vor allem aber verhält es sich umgekehrt. Immerhin wurde das im Herbst des Vorjahres veröffentlichte Album „One Breath“ autobiografisch von einer Depression „erleichtert“. Stilistisch dachte es das zwischen prototypischen Twang-Gitarren, melodramatischen Stimmungswechseln und filmisch bei Ennio Morricone und David Lynch andockendem Unterton changierende Debüt von 2011 konsequent fort.
Unter Beigabe symphonischer Arrangements, die bei aktuellen Live-Konzerten außen vor bleiben müssen, wurde der Hang zum Spaghetti-Western noch einmal erhöht und zwischendurch ein Hauch von Garagenrock eingestreut. Das klang fantastisch.
In Wien allerdings muss Anna Calvi im Chaya Fuera auftreten. Dort klingt kaum etwas fantastisch und das Schlagzeug dafür so, als wäre es – boing, boom, tschak! – hinter einer Rigipswand im Zimmer nebenan aufgestellt. Und jetzt haben wir uns noch gar nicht darüber beschwert, dass der Bauplan der ansonsten für Business-Events und Clubbings genutzten Trendbezirk-Bar dafür sorgt, dass von der Heldin des Abends gerade einmal der strenge Scheitel zu sehen ist – und der Sound kompromisslos von vorne kommt, anstatt uns zu satt umhüllen. Das wiederum führt dazu, dass Anna Calvi und ihre dreiköpfige Band heute machen können, was auch immer sie wollen, die für das Fach unabdingbare Intensität aber auf ein Minimum reduziert aus den Boxen malheurt.
Sehnsucht, zitternd
Dabei ist Anna Calvi bemüht, die dynamische Breite ihrer Songs live noch einmal zuzuspitzen – was vor allem dann für Gänsehaut sorgt, wenn es leise, innig und zärtlich wird. Mit Calvi allein auf der Bühne gerät etwa das im Vortrag gewisperte Bruce-Springsteen-Cover „Fire“ zum Höhepunkt, der die ursprüngliche Wirkung des Songs auch dann nicht entstellt, wenn Calvi seinen nicht nur unterschwelligen Machismo quasi-karikaturistisch entblößt: „You say you donʼt like it, but girl I know youʼre a liar / ʼcause when we kiss, fire!“
Zurückgenommen und reduziert wird gleich eingangs „Suzanne And I“ gegeben. Immer wieder wird das Tempo dramaturgisch geschickt abgebremst und ein Auskommen mit sanften Trommeltupfern gefunden. Die Streicher ersetzt Calvi nicht nur beim eklektisch mäandernden „Carry Me Over“ mit ausufernden Gitarrensoli; „Love Won’t Be Leaving“ etwa wird den Vorzügen der Britin als schwurbelnde Saitenvirtuosin gänzlich untergeordnet, ehe es gegen Ende in einen befreienden Jam nahe am Bluesrock geht. Darin ist auch der verhältnismäßig ausgelassenste Teil des Abends zu finden, der sich mit dem polternden Kellergrunge von „Love Of My Life“ vervollständigt.
Der Rest ist divenhafter Ausdrucksgesang, Sehnsucht, zitternd und eine emotionale Schräglage, deren Hang zur Haltlosigkeit auch beweisen soll, dass man doch noch am Leben ist. Frei nach den Nine Inch Nails: "I hurt myself today / to see if I still feel." Beim nächsten Mal dann bitte an einem Ort, der das Konzert nicht zerstört.
(Wiener Zeitung, 7.3.2014)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen