Donnerstag, März 27, 2014

Der später erntet

Rodriguez, Held der Musikdoku „Searching For Sugar Man“, gastierte in Wien

- Ein Konzertabend mit tröstlicher Botschaft 

Es gibt Lebensläufe, die auch ein Hollywood-Drehbuch nicht zu erfinden vermag. In einem solchen Fall muss die Realität her, um sie – wie im Falle des 1942 geborenen US-Musikers Sixto Diaz Rodriguez – in die Geschichtsbücher zu schreiben und den Stoff für einen mindestens erstaunlichen Dokumentarfilm zu liefern.

Schließlich kennt sich Rodriguez mit der Realität nicht nur insofern aus, als seine Anfang der 70er-Jahre erschienenen Alben „Cold Fact“ und „Coming From Reality“ die kalten Fakten des Lebens und deren Folgen für die unteren 10.000 umkreisten; nach den Flops seiner Werke war auch der eigene Traum vom Leben als Musiker rasch wieder geplatzt. Rodriguez gründete eine Familie, hielt sie im unter dem wirtschaftlichen Abstieg leidenden Detroit mit Jobs über Wasser und kam nicht etwa in den Genuss eines wohlverdienten Ruhestands per Hacklerregelung oder „Hobt’s mi gern!“ 

Happy End

Während der Musiker zuhause schnell wieder vergessen war, wurde er im abgeschotteten Südafrika der Apartheid-Ära allerdings populär, ohne es zu wissen. Und er wurde von der Hörerschaft auch mangels Informationsflut aus dem noch nicht erfundenen Internet in die Liga eines Bob Dylan imaginiert. Erst der ausbleibende musikalische Nachschub erklärte die heute undenkbare Pop-Legendbildung über krude Gerüchte wie jenes, Rodriguez hätte sich auf der Bühne das Leben genommen. Recherchen zweier südafrikanischer Fans brachten schließlich Licht ins Dunkel. Malik Bendjellouls 2013 mit einem Oscar prämierte Doku „Searching For Sugar Man“ kündet davon und ermöglichte mehr als ein Happy End in Form einer filmischen Momentaufnahme. Als Mann, der nicht mehr am Bau ackern muss, sondern die Ernte wieder an der Wandergitarre einfahren darf, tingeltangelt Rodriguez seither durch Konzertsäle, die verlässlich ausverkauft sind.

In der Wiener Stadthalle kommt ein gebrechlicher Rodriguez zwar auf zwei Begleiter gestützt zum Mikrofonständer. Das über derlei Alterserscheinungen und eine auch trotz jahrzehntelanger Schonung vom Leben gezeichnete Stimme hinwegsehende Publikum wird der harmonischen Stimmung des Abends aber auch dann nicht gefährlich, wenn der Bandsound gerade nicht in voller Blüte steht. Man ist gerührt und alleine schon deshalb begeistert. Nichts muss mehr. Alles darf. Gerade als junger Mensch sollte man nun zuversichtlich sein und Vorteile im Alter erkennen, die über ein geregeltes Einkommen per Pension deutlich hinausgehen. 

Hass und Trost

Seine Auszeit vom Geschäft erklärt Rodriguez im Graubereich zwischen Verweigerungshaltung und entrückter Konzertdramaturgie. Immerhin geht es mit einem Solovortrag und Coverversionen von Nina Simone und dem Doo-wop der Flamingos nicht unoriginell los. Der vom psychedelischen Zierrat befreite Hit „Sugar Man“ wiederum, eine Hymne auf die Flucht vor den Gegebenheiten, wird eher beiläufig eingestreut, während Rodriguez auf das Vorrecht des Rentners besteht, mit Carl Perkins und Little Richard retro zu rocken und rollen. Es spielt dann „Blue Suede Shoes“ oder ein heiser gekrächztes „Lucille“. Eigene, an den zärtlichen Folkpop eines Cat Stevens erinnernde Songs wie „Forget It“, das im Klang wärmende, inhaltlich aber böse „I Wonder“ oder das mit aufgedrehter Fuzzgitarre ungewohnt feist stampfende „Only Good For Conversation“ darf man sich als Unterbrechung vorstellen. Dazwischen und angesichts des aufständischen „This Is Not A Song, Itʼs An Outburst: Or, The Establishment Blues“ noch ein guter Rat für den Nachhauseweg: Hass, ihr Guten, ist eine zu mächtige Gefühlsregung, um sie an ungeliebte Menschen zu vergeuden!

Nach einer Stunde, zwei Zugaben und mehreren Standing Ovations ist der Auftritt gelaufen. Nichts muss, alles darf. Alles ist gut, auch wenn es gar nicht so gut ist. Ein Abend der tröstlichen Botschaften. 

(Wiener Zeitung, 28.3.2014)

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