Rodriguez, Held
der Musikdoku „Searching For Sugar Man“, gastierte in Wien
- Ein Konzertabend
mit tröstlicher Botschaft
Es
gibt Lebensläufe, die auch ein Hollywood-Drehbuch nicht zu erfinden vermag. In
einem solchen Fall muss die Realität her, um sie – wie im Falle des 1942
geborenen US-Musikers Sixto Diaz Rodriguez – in die Geschichtsbücher zu
schreiben und den Stoff für einen mindestens erstaunlichen Dokumentarfilm zu
liefern.
Schließlich
kennt sich Rodriguez mit der Realität nicht nur insofern aus, als seine Anfang
der 70er-Jahre erschienenen Alben „Cold Fact“ und „Coming From Reality“ die
kalten Fakten des Lebens und deren Folgen für die unteren 10.000 umkreisten;
nach den Flops seiner Werke war auch der eigene Traum vom Leben als Musiker
rasch wieder geplatzt. Rodriguez gründete eine Familie, hielt sie im unter dem
wirtschaftlichen Abstieg leidenden Detroit mit Jobs über Wasser und kam nicht
etwa in den Genuss eines wohlverdienten Ruhestands per Hacklerregelung oder
„Hobt’s mi gern!“
Happy End
Während
der Musiker zuhause schnell wieder vergessen war, wurde er im abgeschotteten
Südafrika der Apartheid-Ära allerdings populär, ohne es zu wissen. Und er wurde
von der Hörerschaft auch mangels Informationsflut aus dem noch nicht erfundenen
Internet in die Liga eines Bob Dylan imaginiert. Erst der ausbleibende
musikalische Nachschub erklärte die heute undenkbare Pop-Legendbildung über
krude Gerüchte wie jenes, Rodriguez hätte sich auf der Bühne das Leben
genommen. Recherchen zweier südafrikanischer Fans brachten schließlich Licht
ins Dunkel. Malik Bendjellouls 2013 mit
einem Oscar prämierte Doku „Searching For Sugar Man“ kündet davon und
ermöglichte mehr als ein Happy End in Form einer filmischen Momentaufnahme. Als
Mann, der nicht mehr am Bau ackern muss, sondern die Ernte wieder an der
Wandergitarre einfahren darf, tingeltangelt Rodriguez seither durch
Konzertsäle, die verlässlich ausverkauft sind.
In der Wiener Stadthalle kommt ein gebrechlicher
Rodriguez zwar auf zwei Begleiter gestützt zum Mikrofonständer. Das über derlei
Alterserscheinungen und eine auch trotz jahrzehntelanger Schonung vom Leben
gezeichnete Stimme hinwegsehende Publikum wird der harmonischen Stimmung des
Abends aber auch dann nicht gefährlich, wenn der Bandsound gerade nicht in
voller Blüte steht. Man ist gerührt und alleine schon deshalb begeistert. Nichts
muss mehr. Alles darf. Gerade als junger Mensch sollte man nun zuversichtlich
sein und Vorteile im Alter erkennen, die über ein geregeltes Einkommen per
Pension deutlich hinausgehen.
Hass und Trost
Seine Auszeit vom Geschäft erklärt Rodriguez im
Graubereich zwischen Verweigerungshaltung und entrückter Konzertdramaturgie.
Immerhin geht es mit einem Solovortrag und Coverversionen von Nina Simone und
dem Doo-wop der Flamingos nicht unoriginell los. Der vom psychedelischen
Zierrat befreite Hit „Sugar Man“ wiederum, eine Hymne auf die Flucht vor den
Gegebenheiten, wird eher beiläufig eingestreut, während Rodriguez auf das
Vorrecht des Rentners besteht, mit Carl Perkins und Little Richard retro zu
rocken und rollen. Es spielt dann „Blue Suede Shoes“ oder ein heiser
gekrächztes „Lucille“. Eigene, an den zärtlichen Folkpop eines Cat Stevens
erinnernde Songs wie „Forget It“, das im Klang wärmende, inhaltlich aber böse
„I Wonder“ oder das mit aufgedrehter Fuzzgitarre ungewohnt feist stampfende
„Only Good For Conversation“ darf man sich als Unterbrechung vorstellen.
Dazwischen und angesichts des aufständischen „This Is Not A Song, Itʼs An
Outburst: Or, The Establishment Blues“ noch ein guter Rat für den Nachhauseweg:
Hass, ihr Guten, ist eine zu mächtige Gefühlsregung, um sie an ungeliebte
Menschen zu vergeuden!
Nach einer Stunde, zwei Zugaben und mehreren Standing
Ovations ist der Auftritt gelaufen. Nichts muss, alles darf. Alles ist gut, auch
wenn es gar nicht so gut ist. Ein Abend der tröstlichen Botschaften.
(Wiener Zeitung, 28.3.2014)
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