SOHN,
Wahlwiener aus London, und sein Debütalbum „Tremors“
- Kunststudentischer Pop mit kirchturmhohen Gesängen
Eine
auch international auf fruchtbaren Boden stoßende Karriere zeichnete sich
bereits im Vorfeld der Veröffentlichung ab. Nicht nur der frühe Hype in der Blogosphäre
und prominente Aufmerksamkeitsbekundungen, etwa durch die digital Geborenen als
Zentralorgan geltende Pop-Rezeptionsplattform Pitchfork, sprachen dafür. Auch
die Unterzeichnung eines Plattenvertrags mit dem renommierten britischen
4AD-Label ließ keinen Zweifel daran, dass man sich den Namen SOHN würde merken
müssen. In der Zwischenzeit wiederum wurden Remix-Aufträge für Lana Del Rey
oder Rhye und Produktions-Jobs für Kwabs und Banks, Letztere bekannt als Platz
3 der BBC-Watchlist „Sound of 2014“, erfolgreich an Land gezogen. Das ist
beachtlich.
Bei
allem Donnerwetter rund um das kommende Woche erscheinende Debütalbum doch
überraschend, wird von offizieller Seite her nichts über die Person hinter dem
enigmatischen Künstlernamen verlautbart – und auch das Booklet von „Tremors“
hüllt sich diesbezüglich in Schweigen. Dabei weiß man aus dem Internet, dass der
einzige PR-Infohappen eines „in Wien lebenden Musikers aus London“ niemand
anderen als Toph Taylor bezeichnet, der unter seinem Alias Trouble Over Tokyo schon
einmal mit einem Soloprojekt vorstellig wurde. Der dabei gereichte
elektronische Songwriter-Pop mit melodramatischem Gestus und Hang zum
Falsettgesang, der an Thom Yorke in seiner Paraderolle als traurigster Wolf unter
dem Mond oder, in zweifelhafteren Momenten, an Matt Bellamy und die Bombastrocker
von Muse denken ließ, war hörbar eine Talentprobe – aber er ging sich nicht
aus. Nach einer letzten Veröffentlichung im Jahr 2012 zog sich Taylor vorerst zurück,
um sich als SOHN neu zu erfinden und letztlich jene Anerkennung einzufahren, die
ihm in den Jahren der musikalischen Vorarbeit nur bedingt gewiss war.
Die
elf auf dem Debütalbum versammelten Songs von SOHN beleuchten nun die
kunststudentische Facette Taylors. Ja, es jamesblaket, wobei die im sogenannten
Post-Dubstep wurzelnden Soundgebilde zwischen kirchturmhohem Hallgesang mit
sakralem Gestus, gehäckselten Loops, mal pluckernden, mal tuckernden Beats und
flickernder und flackender Elektronik am Puls der Zeit genug Gespür für den
Song als solchen beweisen.
Schöngeistiger Weltschmerz
Mit
Mut zur Lücke und harmonischen Leerstellen, die sich mit flächigen Keyboards schon
nach wenigen Takten auflösen, ergibt das eine grundsätzlich aufgeräumte
Ästhetik, die von überbordendem Gefühl kompensiert wird. Und das Gefühl ist schlecht.
Es hat mit gebrochenen Herzen zu tun und veräußert sich in schöngeistigem
Weltschmerz zwischen angerauntem Neo-R&B, sich nach Erlösung sehnendem
Restgospel am Hallklavier und dem erwähnten Wolf in der zittrigen Stimme sowie
in durchaus fatalistischen Textzeilen: „I died a week ago / there’s nothing
left / It’s caught on video / the very last breath“. Zwischendurch wird zu himmelwärts
gerichteten Stoßseufzern erklärt, warum diese Musik auch im andächtigen Rahmen
eines Kirchenkonzerts hervorragend funktionieren würde: „Oh Lord / I got lost
along the way you set for me!“
Wenn
es besonders dramatisch wird, darf übrigens auch der Synthesizer beweisen, dass
er nur ein Mensch ist. Moderne Musik nach Kraftwerk ist immer auch human-maschinelle
Hybridkunst. Wir hören dann, wie es klingt, wenn der Gerätschaft die Sicherung
durchbrennt – nämlich toll wie der weitgehende Rest dieses in sich stimmigen
Albums. Live am 23. April in der Wiener Arena.
SOHN: Tremors
(4AD/Indigo)
(Wiener Zeitung, 29./30.3.2014)
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