Freitag, März 28, 2014

Hier kommt das Drama

SOHN, Wahlwiener aus London, und sein Debütalbum „Tremors“ 

- Kunststudentischer Pop mit kirchturmhohen Gesängen

Eine auch international auf fruchtbaren Boden stoßende Karriere zeichnete sich bereits im Vorfeld der Veröffentlichung ab. Nicht nur der frühe Hype in der Blogosphäre und prominente Aufmerksamkeitsbekundungen, etwa durch die digital Geborenen als Zentralorgan geltende Pop-Rezeptionsplattform Pitchfork, sprachen dafür. Auch die Unterzeichnung eines Plattenvertrags mit dem renommierten britischen 4AD-Label ließ keinen Zweifel daran, dass man sich den Namen SOHN würde merken müssen. In der Zwischenzeit wiederum wurden Remix-Aufträge für Lana Del Rey oder Rhye und Produktions-Jobs für Kwabs und Banks, Letztere bekannt als Platz 3 der BBC-Watchlist „Sound of 2014“, erfolgreich an Land gezogen. Das ist beachtlich.

Bei allem Donnerwetter rund um das kommende Woche erscheinende Debütalbum doch überraschend, wird von offizieller Seite her nichts über die Person hinter dem enigmatischen Künstlernamen verlautbart – und auch das Booklet von „Tremors“ hüllt sich diesbezüglich in Schweigen. Dabei weiß man aus dem Internet, dass der einzige PR-Infohappen eines „in Wien lebenden Musikers aus London“ niemand anderen als Toph Taylor bezeichnet, der unter seinem Alias Trouble Over Tokyo schon einmal mit einem Soloprojekt vorstellig wurde. Der dabei gereichte elektronische Songwriter-Pop mit melodramatischem Gestus und Hang zum Falsettgesang, der an Thom Yorke in seiner Paraderolle als traurigster Wolf unter dem Mond oder, in zweifelhafteren Momenten, an Matt Bellamy und die Bombastrocker von Muse denken ließ, war hörbar eine Talentprobe – aber er ging sich nicht aus. Nach einer letzten Veröffentlichung im Jahr 2012 zog sich Taylor vorerst zurück, um sich als SOHN neu zu erfinden und letztlich jene Anerkennung einzufahren, die ihm in den Jahren der musikalischen Vorarbeit nur bedingt gewiss war.

Die elf auf dem Debütalbum versammelten Songs von SOHN beleuchten nun die kunststudentische Facette Taylors. Ja, es jamesblaket, wobei die im sogenannten Post-Dubstep wurzelnden Soundgebilde zwischen kirchturmhohem Hallgesang mit sakralem Gestus, gehäckselten Loops, mal pluckernden, mal tuckernden Beats und flickernder und flackender Elektronik am Puls der Zeit genug Gespür für den Song als solchen beweisen.

Schöngeistiger Weltschmerz

Mit Mut zur Lücke und harmonischen Leerstellen, die sich mit flächigen Keyboards schon nach wenigen Takten auflösen, ergibt das eine grundsätzlich aufgeräumte Ästhetik, die von überbordendem Gefühl kompensiert wird. Und das Gefühl ist schlecht. Es hat mit gebrochenen Herzen zu tun und veräußert sich in schöngeistigem Weltschmerz zwischen angerauntem Neo-R&B, sich nach Erlösung sehnendem Restgospel am Hallklavier und dem erwähnten Wolf in der zittrigen Stimme sowie in durchaus fatalistischen Textzeilen: „I died a week ago / there’s nothing left / It’s caught on video / the very last breath“. Zwischendurch wird zu himmelwärts gerichteten Stoßseufzern erklärt, warum diese Musik auch im andächtigen Rahmen eines Kirchenkonzerts hervorragend funktionieren würde: „Oh Lord / I got lost along the way you set for me!“

Wenn es besonders dramatisch wird, darf übrigens auch der Synthesizer beweisen, dass er nur ein Mensch ist. Moderne Musik nach Kraftwerk ist immer auch human-maschinelle Hybridkunst. Wir hören dann, wie es klingt, wenn der Gerätschaft die Sicherung durchbrennt – nämlich toll wie der weitgehende Rest dieses in sich stimmigen Albums. Live am 23. April in der Wiener Arena.

SOHN: Tremors (4AD/Indigo)

(Wiener Zeitung, 29./30.3.2014)

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