Mittwoch, April 23, 2014

Aufbruch und Baustellenmusik

Zehn Jahre Donaufestival unter Tomas Zierhofer-Kin: ein Blick zurück nach vorn 

„Wie oft habe ich in den Anfangsjahren des ,neuen‘ Donaufestival folgende Fragen gestellt bekommen: ,Warum brauchen wir so ein Festival? Warum leisten wir uns das? Was hat das mit Kunst zu tun?‘“ – die Dramaturgie stimmt. Bevor es nämlich darum geht, auf die Erfolgsgeschichte des Donaufestival als international beachtete Spielwiese von Avantgarde und Subkultur zwischen den Hauptpolen Pop und Performance einzugehen, erlaubt sich Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll in seiner Rolle als Kunstfreund und finanzieller Schutzherr der Veranstaltungsreihe, auf seinerzeitige Widerstände und In-Frage-Stellungen hinzuweisen.

Tomas Zierhofer-Kin, der das Festival im Jahr 2004 übernahm, um eine wie auch immer geartete Zeitgenossenschaft über die Jahre nur noch kompromissloser auszuloten (und ihre Verwurzelung in der Avantgarde von einst kuratorisch offenzulegen), transzendierte diesen Geist bereits auch insofern, als er in seiner ersten Saison zur „Ausweitung der Kampfzonen“ nach Krems lud; eine Idee, die nicht nur angesichts der vom Donaufestival stets mitverhandelten „Verhältnisse“ und der mit diesen Hand in Hand gehenden Missstände korrespondiert und eine inhaltliche Ausrichtung ermöglichte, der das „Anti“ nicht selten eingraviert war. Neben Angriffen auf die bestehende Ordnung ging und geht es, idyllisch am Rande der Wachau gelegen, aber immer auch darum, gegebene Entwürfe neu zu denken, (utopisch) an die Möglichkeit einer Insel zu glauben und dabei auch Rückschläge zu überwinden. Der Bogen weiterer Festivalthemen selbst kündet davon („Angst Obsession Beauty“, 2008, „Fake Reality“, 2009, „Failed Revolutions“, 2010 oder „Die Vertreibung ins Paradies“, 2012), wobei man heute keineswegs resignierend, aber doch sanft verkatert feststellen muss: „In den vergangenen neun Jahren hat sich die Welt zwar verändert, aber nur in ganz wenigen Fällen verbessert!“ – weshalb sich das Donaufestival in seiner Jubiläumsausgabe zum zehnjährigen Bestehen auf der Performanceschiene verstärkt etwa dem Kapitalismus und seinen Auswirkungen auf den Einzelnen widmet.

Dabei hat sich das Donaufestival spätestens mit dem Vorjahresmotto („Krems Brûlée“) davon verabschiedet, sich einem übergeordneten Thema zu unterwerfen. Das erlaubt den Einzelproduktionen mehr Freiheit und erübrigt unfreiwillige Schubladisierungen, die der Musik-Ebene ohnehin nur schwer aufzudrängen waren. Zudem sind Label-Nights als Vorstellungsrunden am Puls der Zeit arbeitender Musikverlage mit Vision an die Stelle von Abenden getreten, deren Programm einzelne Acts selbst kuratierten. Wobei ein kurzer Blick auf die Bookings belegt, dass dem Festival zugkräftige Headliner für ein FM4-affines Publikum heute (noch) weniger wichtig sind als in den Anfangstagen. Stärker denn je wird aktuell an den äußersten Rändern von Pop gearbeitet, die dystopischen Techno ebenso zeitigen wie Tinnitus evozierenden Noise. Nein, wenn es beim Donaufestival nach Flex, Schneidbrenner und Motorsäge klingt, haben wir es nicht mit Bauarbeiten am Areal der örtlichen Mehrzweckhalle, sondern mit moderner Musik zu tun!

Auf die als Herzstück in Sachen Betonung neuer Kunstformen in den Vordergrund drängende Performance-Schiene ist das Festival heute auch aufgrund einer gewissen Vorreiterrolle stolz. Schließlich hatte man bereits ein entsprechendes Programmangebot, noch ehe genreverwandt bespielte Häuser wie das Wiener brut existierten oder alteingesessene Institutionen auf den Zug aufzuspringen begannen – ein Umstand, der dank regelmäßiger Besuche gemeinsam mit dem Festival gewachsener Gruppen wie God’s Entertainment auch an den Netzwerkgedanken des Veranstaltungsmottos „Nodes, Roots & Shoots“ von 2011 erinnert. 

Bei gleichbleibendem Fokus auf Gender als Thematik zur Zeit und der Beschränkung auf sechs (ausgiebige) Spieltage anstatt anfänglich bis zu deren 13  beweist das Donaufestival mit seinem unangefochtenen Austragungsort, der ein urbanes Publikum zur Frühlingsfrische aufs Land lädt, außerdem eines: Die wahre Provinz ist im Kopf – und ist sie nicht im Kopf, so ist sie wahrscheinlich in Wien. Das Popfest als Plattform für heimische Acts in Ehren, ein internationales Pendant kann es nicht ersetzen. So bleibt es dem niederösterreichischen Landeshauptmann im Programmfolder überlassen, dem Festival, uns allen und vor allem sich selbst gar nicht einmal so zähneknirschend jene „Courage“ zu wünschen, „diesen spannenden Weg auch in Zukunft konsequent weiter zu gehen."

(Wiener Zeitung, 24.4.2014)

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