Zehn Jahre
Donaufestival unter Tomas Zierhofer-Kin: ein Blick zurück nach vorn
„Wie oft habe
ich in den Anfangsjahren des ,neuen‘ Donaufestival folgende Fragen gestellt
bekommen: ,Warum brauchen wir so ein Festival? Warum leisten wir uns das? Was
hat das mit Kunst zu tun?‘“ – die Dramaturgie stimmt. Bevor es nämlich darum
geht, auf die Erfolgsgeschichte des Donaufestival als international beachtete
Spielwiese von Avantgarde und Subkultur zwischen den Hauptpolen Pop und
Performance einzugehen, erlaubt sich Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll in seiner
Rolle als Kunstfreund und finanzieller Schutzherr der Veranstaltungsreihe, auf
seinerzeitige Widerstände und In-Frage-Stellungen hinzuweisen.
Tomas
Zierhofer-Kin, der das Festival im Jahr 2004 übernahm, um eine wie auch immer
geartete Zeitgenossenschaft über die Jahre nur noch kompromissloser auszuloten (und
ihre Verwurzelung in der Avantgarde von einst kuratorisch offenzulegen), transzendierte
diesen Geist bereits auch insofern, als er in seiner ersten Saison zur
„Ausweitung der Kampfzonen“ nach Krems lud; eine Idee, die nicht nur angesichts
der vom Donaufestival stets mitverhandelten „Verhältnisse“ und der mit diesen Hand
in Hand gehenden Missstände korrespondiert und eine inhaltliche Ausrichtung ermöglichte,
der das „Anti“ nicht selten eingraviert war. Neben Angriffen auf die bestehende
Ordnung ging und geht es, idyllisch am Rande der Wachau gelegen, aber immer
auch darum, gegebene Entwürfe neu zu denken, (utopisch) an die Möglichkeit
einer Insel zu glauben und dabei auch Rückschläge zu überwinden. Der Bogen
weiterer Festivalthemen selbst kündet davon („Angst Obsession Beauty“, 2008,
„Fake Reality“, 2009, „Failed Revolutions“, 2010 oder „Die Vertreibung ins
Paradies“, 2012), wobei man heute keineswegs resignierend, aber doch sanft
verkatert feststellen muss: „In den vergangenen neun Jahren hat sich die Welt zwar verändert, aber
nur in ganz wenigen Fällen verbessert!“ – weshalb sich das Donaufestival in
seiner Jubiläumsausgabe zum zehnjährigen Bestehen auf der Performanceschiene verstärkt etwa dem Kapitalismus und seinen Auswirkungen
auf den Einzelnen widmet.
Dabei hat
sich das Donaufestival spätestens mit dem Vorjahresmotto („Krems Brûlée“) davon verabschiedet,
sich einem übergeordneten Thema zu unterwerfen. Das erlaubt den
Einzelproduktionen mehr Freiheit und erübrigt unfreiwillige Schubladisierungen,
die der Musik-Ebene ohnehin nur schwer aufzudrängen waren. Zudem sind
Label-Nights als Vorstellungsrunden am Puls der Zeit arbeitender Musikverlage
mit Vision an die Stelle von Abenden getreten, deren Programm einzelne Acts
selbst kuratierten. Wobei ein kurzer Blick auf die Bookings belegt, dass dem
Festival zugkräftige Headliner für ein FM4-affines Publikum heute (noch) weniger
wichtig sind als in den Anfangstagen. Stärker denn je wird aktuell an den
äußersten Rändern von Pop gearbeitet, die dystopischen Techno ebenso zeitigen wie
Tinnitus evozierenden Noise. Nein, wenn es beim Donaufestival nach Flex,
Schneidbrenner und Motorsäge klingt, haben wir es nicht mit Bauarbeiten am
Areal der örtlichen Mehrzweckhalle, sondern mit moderner Musik zu tun!
Auf die
als Herzstück in Sachen Betonung neuer Kunstformen in den Vordergrund drängende
Performance-Schiene ist das Festival heute auch aufgrund einer gewissen
Vorreiterrolle stolz. Schließlich hatte man bereits ein entsprechendes
Programmangebot, noch ehe genreverwandt bespielte Häuser wie das Wiener brut
existierten oder alteingesessene Institutionen auf den Zug aufzuspringen
begannen – ein Umstand, der dank regelmäßiger Besuche gemeinsam mit dem
Festival gewachsener Gruppen wie God’s Entertainment auch an den
Netzwerkgedanken des Veranstaltungsmottos „Nodes, Roots & Shoots“ von 2011
erinnert.
Bei gleichbleibendem Fokus auf Gender als
Thematik zur Zeit und der Beschränkung auf sechs (ausgiebige) Spieltage anstatt
anfänglich bis zu deren 13 beweist das
Donaufestival mit seinem unangefochtenen Austragungsort, der ein urbanes Publikum
zur Frühlingsfrische aufs Land lädt, außerdem eines: Die wahre Provinz ist im
Kopf – und ist sie nicht im Kopf, so ist sie wahrscheinlich in Wien. Das
Popfest als Plattform für heimische Acts in Ehren, ein internationales Pendant kann
es nicht ersetzen. So bleibt es dem niederösterreichischen Landeshauptmann im
Programmfolder überlassen, dem Festival, uns allen und vor allem sich selbst
gar nicht einmal so zähneknirschend jene „Courage“ zu wünschen, „diesen
spannenden Weg auch in Zukunft konsequent weiter zu gehen."
(Wiener Zeitung, 24.4.2014)
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