Samstag, April 05, 2014

Der an der Bar sinniert

Mit „Out Of Chaos“ veröffentlicht Yello-Sänger Dieter Meier sein spätes Solodebüt

Zuletzt musste Dieter Meier erleben, wie Helene Fischer ihn im Rahmen der „Echo“-Verleihung anmoderierte. Mit seinem Kompagnon Boris Blank ging es immerhin darum, eine Auszeichnung für das mit Yello erschaffene Lebenswerk abzuholen. Dieter Meier nahm es gelassen. Und er erwies sich einmal mehr als jener Sir, als den ihn seit jungen Jahren auch ein Erscheinungsbild zwischen Maßschuhen und Halstuch ausweist. 

Ein Tausendsassa 

Ab Ende der 70er Jahre und somit den Anfangstagen des elektronisch generierten Popsongs stand das schweizerische Duo für Musik, die die minimalistisch-verspielten, aus Dilettantismus und Neugierde geborenen Sound-Experimente Blanks mit dem Dada-Sprech Meiers („Bow bow, oh yeah, chick-chicka-chicka!“) zu einer originellen Mischung verwob. Nach frühen Veröffentlichungen auf Ralph Records, der Brutstätte der spinnerten Pop-Enigmatiker The Residents, sorgten auch die von Meier gestalteten, buchstäblich „poppigen“ Videoclips für damals wichtige Rotation auf MTV. Zwei, drei der dabei abgefallenen, vielfach für Film und Werbung lizensierten Hits wie „The Race“ oder „Oh Yeah“, das bei den Simpsons immer erklingt, wenn der Duffman um die Ecke biegt, sind nach wie vor im kollektiven Gedächtnis gespeichert. Und sie ermöglichten Mastermind Blank den Luxus, Yello ohne Veröffentlichungsdruck fortzuführen.

Parallel dazu entschied sich Meier – nichts gelernt, alles probiert! – für einen von Abwechslung geprägten Karriereweg. Bereits in seiner Zeit als hauptberuflicher Pokerspieler drängte es den Bankierssohn in die Konzeptkunst. Eine 1972 auf der Documenta präsentierte Arbeit um eine in Beton eingelassene Tafel mit dem Schriftzug „Am 23. März 1994 von 15.00 – 16.00 Uhr wird Dieter Meier auf dieser Platte stehen“ wurde schließlich an besagtem Datum vollendet. Heute ist Meier als Investor, Hersteller digitaler Mischpulte mit einer Firma im Silicon Valley sowie als Rinderzüchter und Weinbauer aktiv. Nur für eine weitere Kleinigkeit musste er 69 Jahre alt werden: sein am kommenden Freitag erscheinendes erstes Soloalbum. 

Nachdenklich gestimmt 

Im Gegensatz zu Boris Blank, dessen Solodebüt gleichfalls heuer erschien, benötigte Meier als deklarierter Nichtmusiker die ausführende Hilfe junger Produzenten für seinen Erstling. Unter Regie von T.Raumschmiere, Nackt und Ben Lauber ist durchaus überraschend aber kein am Zeitgeist orientiertes Album entstanden, sondern eine auf Alterswerk gestimmte Songsammlung, deren elektronischer Zierrat sich nobel im Hintergrund hält. Mit Meiers Erzählbariton, introspektivem Barhockerklavier und bei Tom Waits andockenden Percussions, die nach einem Malheur in der Kuchl klingen, geht es hübsch nachdenklich zu. In gut der Hälfte der Lieder sitzt ein Mann zu früh bei zu vielen Martinis an der Bar und denkt über sein Leben nach. Es geht dann gleichermaßen um von Meiers Autoren-Ich besungene Liebschaften, die nie mehr zurückkehren werden, wie auch um semibiografisch lesbare Reflexionen über ein hektisches Leben: „Running in circles / I never arrive / Busy going nowhere / It looks like my life.“ Man hat den Altmännerblues, ohne aber zu verzweifeln. Schließlich wird der Leerraum zwischen den Eiswürfeln mit der durch die Türe blinzelnden Sonne gelegentlich auch von Licht ausgefüllt. Das tut weh in den Augen. Aber es lässt den Ausweg erkennen.

Den Songcharakter unterstützen der von seiner Arbeit mit Nick Cave bekannte Schlagzeuger Thomas Wydler oder Tobias Preisig an der Geige, mit der es nicht nur bei „Loveblind“ sanft melodramatisch wird. Ein Hauch von brecht-weill’scher-Cabaret-Ästhetik rundet diesen gelungenen Kern des Albums ab, das um das zu einem nachtschwarzen Vierviertel-Beat auf Schwizerdütsch vorgetragene „Schueffele“ im letzten Drittel noch etwas ausfranst. Live am 29. Mai im Wiener WUK.

Dieter Meier: „Out Of Chaos“ (Staatsakt) 

(Wiener Zeitung, 5./6.4.2014)

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