Schall &
Rauch
Früher
ging man in den Elektrogroßmarkt und ließ sich von zu unmotivierten
Mitarbeitern mit zu wenig Fachkenntnis zu teure Silberscheiben im Plastikmantel
andrehen, der zu bald kaputt ging. Oder aber man besuchte den Plattendealer am
Eck, um in bester „Herr, ich bin nicht würdig, dass ich eingehe unter dein
Dach“-Manier frei nach Szenarien, wie sie Nick Hornby in seinem Roman „High
Fidelity“ nicht besser hätte beschreiben können, taschengeldfeindlich Vinyl zu
beziehen, das im besten Fall aber auch selten genug war, um gleichermaßen
ideellen wie materiellen Mehrwert zu besitzen. In den Läden wurde
schmähgeführt, diskutiert und (Halb-)Wissen ausgetauscht, das mangels noch
nicht erfundenen Internets ebenfalls selten und zum Mitreden wichtig war – und
oft Legenden zeitigte, die heute im Handumdrehen – Klick! – auch schon wieder
enttarnt wären.
Die
Platte selbst war der heilige Gral. Sie stand für sich und kam nicht,
resultierend aus der Durchleuchtung unseres Kaufverhaltens, mit
geschäftstüchtiger „Das könnte Ihnen auch gefallen“-Aufschrift daher. Eventuell
gab uns der Plattendealer Tipps für ähnlichen Hörstoff. Wahrscheinlicher aber
trug er die „Schleicht’s eich“-Maske und verstand unter Geschäft bloß einen
Raum, in dem sich viele schwarze Scheiben befanden. Service war mitunter ein
Fremdwort – nicht aber Charme.
Heute
sind Platten wieder im Großhandel erhältlich. Sie sind dort um die sich
versteckenden Mitarbeiter herum sogar prominent postiert. Musik ist
allgegenwärtig, im Regelfall aber gratis. Die Hörerschaft konsumiert sie
überwiegend allein vor dem Rechner und diskutiert nichts, weil sie – Klick! –
bereits alles weiß. Vieles an dieser Entwicklung ist nicht nur
kulturpessimistisch betrachtet schlecht, anderes wiederum praktisch.
Glücklicherweise
gibt es mit der Wiederentdeckung der Schallplatte über den bloßen Nischenmarkt
hinaus und dem mit großem Engagement geführten Plattenladen am Eck aber nach
wie vor Dinge, die das Rieplʼsche Gesetz vom nicht aussterbenden, sondern in
einer Phase der technologischen Veränderung nur eine andere Rolle einnehmenden
Medium vortrefflich erklären. Zur Feier dieses Umstands sowie der Rolle des
Plattenladens als Ort des (kulturellen) Austauschs wird am nächsten Samstag
wieder der Record Store Day begangen. Auch in Wien stehen in Geschäften wie
Rave Up, Substance, Recordbag oder Tongues dann nicht nur exklusiv limitierte
Spezialpressungen zum Verkauf. Es wird, und das ist mindestens genauso wichtig,
vor allem auch einer gemeinsamen Leidenschaft gehuldigt. Gehen wir hin. Und
bitte: Führen wir Schmäh!
(Wiener Zeitung, 12./13.4.2014)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen