Sonntag, April 13, 2014

Die Scheiben-Welt

Schall & Rauch 

Früher ging man in den Elektrogroßmarkt und ließ sich von zu unmotivierten Mitarbeitern mit zu wenig Fachkenntnis zu teure Silberscheiben im Plastikmantel andrehen, der zu bald kaputt ging. Oder aber man besuchte den Plattendealer am Eck, um in bester „Herr, ich bin nicht würdig, dass ich eingehe unter dein Dach“-Manier frei nach Szenarien, wie sie Nick Hornby in seinem Roman „High Fidelity“ nicht besser hätte beschreiben können, taschengeldfeindlich Vinyl zu beziehen, das im besten Fall aber auch selten genug war, um gleichermaßen ideellen wie materiellen Mehrwert zu besitzen. In den Läden wurde schmähgeführt, diskutiert und (Halb-)Wissen ausgetauscht, das mangels noch nicht erfundenen Internets ebenfalls selten und zum Mitreden wichtig war – und oft Legenden zeitigte, die heute im Handumdrehen – Klick! – auch schon wieder enttarnt wären.

Die Platte selbst war der heilige Gral. Sie stand für sich und kam nicht, resultierend aus der Durchleuchtung unseres Kaufverhaltens, mit geschäftstüchtiger „Das könnte Ihnen auch gefallen“-Aufschrift daher. Eventuell gab uns der Plattendealer Tipps für ähnlichen Hörstoff. Wahrscheinlicher aber trug er die „Schleicht’s eich“-Maske und verstand unter Geschäft bloß einen Raum, in dem sich viele schwarze Scheiben befanden. Service war mitunter ein Fremdwort – nicht aber Charme.

Heute sind Platten wieder im Großhandel erhältlich. Sie sind dort um die sich versteckenden Mitarbeiter herum sogar prominent postiert. Musik ist allgegenwärtig, im Regelfall aber gratis. Die Hörerschaft konsumiert sie überwiegend allein vor dem Rechner und diskutiert nichts, weil sie – Klick! – bereits alles weiß. Vieles an dieser Entwicklung ist nicht nur kulturpessimistisch betrachtet schlecht, anderes wiederum praktisch.

Glücklicherweise gibt es mit der Wiederentdeckung der Schallplatte über den bloßen Nischenmarkt hinaus und dem mit großem Engagement geführten Plattenladen am Eck aber nach wie vor Dinge, die das Rieplʼsche Gesetz vom nicht aussterbenden, sondern in einer Phase der technologischen Veränderung nur eine andere Rolle einnehmenden Medium vortrefflich erklären. Zur Feier dieses Umstands sowie der Rolle des Plattenladens als Ort des (kulturellen) Austauschs wird am nächsten Samstag wieder der Record Store Day begangen. Auch in Wien stehen in Geschäften wie Rave Up, Substance, Recordbag oder Tongues dann nicht nur exklusiv limitierte Spezialpressungen zum Verkauf. Es wird, und das ist mindestens genauso wichtig, vor allem auch einer gemeinsamen Leidenschaft gehuldigt. Gehen wir hin. Und bitte: Führen wir Schmäh!

(Wiener Zeitung, 12./13.4.2014)

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