Donnerstag, April 10, 2014

Elternpop und Tiergedichte

Wir-sind-Helden-Frontfrau Judith Holofernes gab ihr Solodebüt in der Wiener Arena 

Die direkten Folgen der Auszeit ihrer Stammband auch aus Nachwachsgründen sind natürlich schon offenkundig. Nicht im Auftreten oder mit in dieser Hinsicht dann eh ausbleibenden Zwischenansagen – Letzteres mit immerhin einer Ausnahme, die Judith Holofernes als Solosängerin auf Wir-sind-Helden-Sabbatical das öffentliche Interesse an ihrer Person als Mutter in gewohnter Verweigerungshaltung vom Tisch fegen lässt. Man will sich nicht darüber definieren lassen. 

Liebesbekenntnis 

Andererseits legt Holofernes mit ihrem Soloalbum „Ein leichtes Schwert“ und dessen Livepräsentation in der Wiener Arena Zeugnis davon ab, dass Pop als Begleiter durch alle Lebenslagen längst auch Trägermedium sich so ihre Gedanken machender Musiker-Mütter und -Väter sein kann. Judith Holofernes singt dann beispielsweise über Mamas am Rande zum Burnout, die man zum Rückerwerb der Lebenslust per Mädelsabend auf die Tanzfläche locken muss. Oder sie sorgt mit dem hübsch anzuhörenden und von zärtlichem Folkrock beeinflussten „Liebe Teil 2 – Jetzt erst recht“ für Elternpop zwischen Erschöpfungszustand und Liebesbekenntnis: „Du sagst, komm, wir schieben heute alles den Kindern in die Schuhe / Du sagst, ich sehe doch toll aus / Ich sag, Mann, lass mich in Ruhe / Ich sag, ich bin so müde / Du sagst – ist dir Recht / Das ist Liebe, das ist Liebe / Jetzt erst recht.“

An anderen Stellen wiederum tritt die spielerisch-infantile Ader der Sängerin mit gewitzten Abzählreimen heute noch stärker zutage. Das führt im Konzert auch zur Rezitation von an Christoph Grissemann im Salon Helga erinnernden Tiergedichten. Kurz: Auf und vor der Bühne regiert dann der Spaß. Judith Holofernes, sich mit Berliner Schnauze an ihr Publikum wendend: „Na, ihr seid ja jut druff!“ 

Americana-Einfluss 

Während einer Konzertdauer von gut eineinhalb Stunden vermeidet es die 37-Jährige dabei, in Konkurrenz mit ihrer Stammband zu treten. Um auf abendfüllende Auftrittslänge zu kommen, setzt es stattdessen gelungene Coverversionen von Lyle Lovetts „If I Had A Boat“ oder Elvis Costellos „I Hope You’re Happy Now“, allesamt in deutscher Übersetzung – wie auch „Catherine The Waitress“ aus der Feder des färöischen Songwriters Teitur, dessen köstliche Eröffnungszeilen Holofernes pflichtschuldig nahe am Original übersetzt: „Catherine the waitress / If you only knew where my mind is / ,Is there anything youʼd like?‘ / If I could only tell you!“. „Kamikazefliege“, ihr erster je geschriebener Song, der 1999 an der Wandergitarre noch erheblich nach Jungscharlager klang, wird live wiederum dylanesque ausinstrumentiert. Neben einer Aneignung des Stones-Hadern „You Can’t Always Get What You Want“, einem Abstecher ins Dub-Reggae-Land und  eingestreuten Mariachi-Trompeten findet sich darin auch der überraschendere Teil des Abends, der sich mit den Songs aus „Ein leichtes Schwert“ auf Kernkompetenzen verlässt.

Wir hören Judith Holofernes trotzig-kieksend in Opposition zu den auf Leistung und Konsum gestimmten Verhältnissen („Nichtsnutz“, „Danke, ich hab schon“) oder als Frau, die die Welt umarmt. Verwurzelt in Americana-Gefilden drängt „Pechmarie“ an die Countrybar. Bei „Havarie“ hat Judith Holofernes den Blues – und „Brennende Brücken“ ist gefühliger Kaminfeuer-Folk, der inhaltlich nahe an Nick Caves „Ship Song“ ankert. 

Nach dem als Wiegenlied hörbaren „John Irving“ geht es übrigens noch nicht ins Bett, sondern in den Zugabenteil. Von wegen „Bring mich nach Hause!“ – dann lieber doch eine Auszeit von der Auszeit.

(Wiener Zeitung, 11.4.2014)

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