Hysterie,
Dystopie, Drama und Tanz: der Donnerstag am
Donaufestival in Krems
Die
Konstellation ist nicht von ungefähr stimmig. Zum einen wird dem
US-Choreografen Jeremy Wade attestiert, in seiner Arbeit vor allem körperliche
Extremzustände auszuloten. Zum anderen sind Xiu Xiu als mit der Livevertonung
beauftragte Band exklusiv auf den Abgrund und entsprechend zwischen Hysterie
und Drama angesiedelte Stimmungslagen gebucht. Gemeinsam mit der Künstlerin
Monika Grzymala wiederum steht man dem Donaufestival gut zu Gesicht, das neben
neuen performativen Ausdrucksmöglichkeiten immer auch auf die Verschränkung der
Spielarten setzt. Die Grenzen sind fließend.
Ein
Balance-Akt
Im
Forum Frohner in Krems werden solchermaßen die buchstäblichen Verhältnisse zum
Tanz gebracht. „Dark Material“, das zu Xiu Xiu insofern bereits auch vom Titel
her passt, als deren Mastermind Jamie Stewart als Mann gilt, dessen Licht der
Schatten ist, erkundet die zwischenmenschliche Beziehung über das drohende
Scheitern einer Paarkonstellation. Das Stück wird dabei in doppelter Hinsicht
zum Balance-Akt: Vom vorsichtigen Sich-Umräkeln geht es hin zum Nahkampf der
Geschlechter. Die überwiegend in Zeit- bis Superzeitlupentempo durchgeführten
Bewegungen verstärken das Gefühl eines Drahtseilakts in Sachen Gleichgewicht.
Wird am Ende doch alles aus den Fugen geraten?
Xiu
Xiu, passend zum Raum in schwarz-weißer Arbeitskleidung – Konflikte kennen kein
als Dazwischen betrachtbares Grau –, unterstützen die Dramaturgie mit erhöhter
Dynamik. Die im „Vorspiel“ unbehaglich durch den Raum dröhnende Bassdrum wird
von enigmatischem Glöckchengeläut abgelöst; je intensiver die Reibung auf dem
Parkett wird, desto nachdrücklicher behandelt auch die Band ihre Gerätschaft.
Kein Wunder, dass es hier bald zittert, kein Wunder, dass es bebt. Mit
heftigen, das Auditorium auf den Sesseln massierenden Bassattacken,
Noise-Schlieren und Sounds, die Grzymalas anfängliche Klebeband-Installierungen
reflektieren, geht das Ergebnis, wie von Xiu Xiu gewohnt, konsequent bis an die
Schmerzgrenze. Das Spiel mit dem abrupten Bruch hinterlässt ein verzweifeltes
und erschöpftes Atmen im Raum. Zum Schluss ist auch der Boden schwarz – oder
ein letzter Abgrund, der sich geöffnet hat.
Mit
ihrem Konzert im randvollen Stadtsaal erklären Xiu Xiu später hingegen ihre
Kernkompetenzen im melodramatischen Popsong, der Obsessionen, Gewalt und den
Tod umkreist; wobei diesmal weniger zutage tritt, dass diese Band allen
störrischen Begleitsounds zum Trotz wunderbar eingängige Stücke schreiben kann.
Mit dem live noch widerständiger vorgetragenen Material des aktuellen Albums
„Angel Guts: Red Classroom“ bleibt alles schwierig. Stewarts ohne Vorwarnung
ausgestoßene Schreie dringen wie Messerspitzen durch die Trommelfelle der
Hörerschaft. Im Verbund mit der IG Metall zu Ehren gereichenden
Schleifgeräuschen, Shayna Dunkelmans auf Angriff gestimmtem Schlagzeug und
pluckernden und tuckernden Synthesizern von anno dazumal hört man Songs, die
ihre Verortung zwischen „double penetration and double suicide“ mit Titeln wie
„Black Dick“ oder dem gemeinsame Selbstauslöschung behandelnden „New Life
Immigration“ erklären. Nur ob Stewarts grimmiger Blick mit den technischen
Problemen zu Beginn zu tun hat, Pose oder – wie eine Begegnung beim Spaziergang
durch Krems nahelegt – natürlicher Extremzustand ist, bleibt offen.
Kathedralische Klänge
Keine
Miene hingegen lässt auf das Gemüt James Ferraros schließen. Im Dunkel
verborgen und hinter der Schaltkanzel versteckt, erweist sich die Erscheinung
des Produzenten als ebenso ungreifbar wie seine Musik; lose dem
Vaporwave-Subsubsubgenre zugeordnet, dessen rätselhaftes Wesen zwischen
esoterischen New-Age- und etwa auch aus Spielkonsolen gezogenen Trash-Sounds
ankert, demonstrierte der US-Musiker mit dem programmatisch betitelten Album
„NYC, Hell 3:00 AM“ zuletzt die Verdunkelung seiner Klangwelten. Postindustrielle
Ruinensounds, Polizeisirenen, die ein Grundgefühl dystopischen Unbehagens
evozieren, dazu Computerstimmen, die kapitalistische Lebenswelten verhandeln.
Der ehemaligen Minoritenkirche stehen die kathedralischen Klänge, die Ferraro
als Nährboden auslegt, gut – wenn die Musik selbst auch nicht zum Verweilen
lädt, sondern ihren eigentümlichen Reiz in einer Begegnung entfaltet, die so
flüchtig ist wie sie selbst. Im Konzert entsteht so ein entrückt-hypnotischer
Sog, dem Auflösung wichtiger ist als Struktur. Erst später ins Spiel kommende
„Beats“ sind entsprechend windschiefe, mit dem Häcksler errichtete Loops, die
auf harte Schnitte vertrauen. Nach 45 Minuten ist der Auftritt vorbei und
Ferraro verschwunden. Die Ästhetik ist hier alles, der Darbieter selbst nichts
mehr wert.
Zurück ins Licht
Ehe
Peaches die ihr an diesem Tag anheim gefallene Rolle der Publikumsmagnatin mit
einer gewohnt exzessiven Performance erfüllt, erspielt sich aber auch Terre
Thaemlitz alias DJ Sprinkles eine tanzfreudige Halle. Wir hören Deep House zwischen mächtigen
Bassgrooves, subtropischen Beats und computergenerierten Klaviersolos – und das
alles mit offenkundiger Unterhaltungsintention. Nach Stunden im schwärzesten
Schwarz ist darüber auch das Publikum froh. Gar nicht schlecht, am Donaufestival
auch einmal dem lichten Leben zu begegnen.
(Wiener Zeitung, 3./4.5.2014)
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