Freitag, Mai 02, 2014

Dass es zittert, dass es bebt

Hysterie, Dystopie, Drama und Tanz: der Donnerstag am Donaufestival in Krems 

Die Konstellation ist nicht von ungefähr stimmig. Zum einen wird dem US-Choreografen Jeremy Wade attestiert, in seiner Arbeit vor allem körperliche Extremzustände auszuloten. Zum anderen sind Xiu Xiu als mit der Livevertonung beauftragte Band exklusiv auf den Abgrund und entsprechend zwischen Hysterie und Drama angesiedelte Stimmungslagen gebucht. Gemeinsam mit der Künstlerin Monika Grzymala wiederum steht man dem Donaufestival gut zu Gesicht, das neben neuen performativen Ausdrucksmöglichkeiten immer auch auf die Verschränkung der Spielarten setzt. Die Grenzen sind fließend. 

Ein Balance-Akt 

Im Forum Frohner in Krems werden solchermaßen die buchstäblichen Verhältnisse zum Tanz gebracht. „Dark Material“, das zu Xiu Xiu insofern bereits auch vom Titel her passt, als deren Mastermind Jamie Stewart als Mann gilt, dessen Licht der Schatten ist, erkundet die zwischenmenschliche Beziehung über das drohende Scheitern einer Paarkonstellation. Das Stück wird dabei in doppelter Hinsicht zum Balance-Akt: Vom vorsichtigen Sich-Umräkeln geht es hin zum Nahkampf der Geschlechter. Die überwiegend in Zeit- bis Superzeitlupentempo durchgeführten Bewegungen verstärken das Gefühl eines Drahtseilakts in Sachen Gleichgewicht. Wird am Ende doch alles aus den Fugen geraten?

Xiu Xiu, passend zum Raum in schwarz-weißer Arbeitskleidung – Konflikte kennen kein als Dazwischen betrachtbares Grau –, unterstützen die Dramaturgie mit erhöhter Dynamik. Die im „Vorspiel“ unbehaglich durch den Raum dröhnende Bassdrum wird von enigmatischem Glöckchengeläut abgelöst; je intensiver die Reibung auf dem Parkett wird, desto nachdrücklicher behandelt auch die Band ihre Gerätschaft. Kein Wunder, dass es hier bald zittert, kein Wunder, dass es bebt. Mit heftigen, das Auditorium auf den Sesseln massierenden Bassattacken, Noise-Schlieren und Sounds, die Grzymalas anfängliche Klebeband-Installierungen reflektieren, geht das Ergebnis, wie von Xiu Xiu gewohnt, konsequent bis an die Schmerzgrenze. Das Spiel mit dem abrupten Bruch hinterlässt ein verzweifeltes und erschöpftes Atmen im Raum. Zum Schluss ist auch der Boden schwarz – oder ein letzter Abgrund, der sich geöffnet hat. 

Mit ihrem Konzert im randvollen Stadtsaal erklären Xiu Xiu später hingegen ihre Kernkompetenzen im melodramatischen Popsong, der Obsessionen, Gewalt und den Tod umkreist; wobei diesmal weniger zutage tritt, dass diese Band allen störrischen Begleitsounds zum Trotz wunderbar eingängige Stücke schreiben kann. Mit dem live noch widerständiger vorgetragenen Material des aktuellen Albums „Angel Guts: Red Classroom“ bleibt alles schwierig. Stewarts ohne Vorwarnung ausgestoßene Schreie dringen wie Messerspitzen durch die Trommelfelle der Hörerschaft. Im Verbund mit der IG Metall zu Ehren gereichenden Schleifgeräuschen, Shayna Dunkelmans auf Angriff gestimmtem Schlagzeug und pluckernden und tuckernden Synthesizern von anno dazumal hört man Songs, die ihre Verortung zwischen „double penetration and double suicide“ mit Titeln wie „Black Dick“ oder dem gemeinsame Selbstauslöschung behandelnden „New Life Immigration“ erklären. Nur ob Stewarts grimmiger Blick mit den technischen Problemen zu Beginn zu tun hat, Pose oder – wie eine Begegnung beim Spaziergang durch Krems nahelegt – natürlicher Extremzustand ist, bleibt offen. 

Kathedralische Klänge


Keine Miene hingegen lässt auf das Gemüt James Ferraros schließen. Im Dunkel verborgen und hinter der Schaltkanzel versteckt, erweist sich die Erscheinung des Produzenten als ebenso ungreifbar wie seine Musik; lose dem Vaporwave-Subsubsubgenre zugeordnet, dessen rätselhaftes Wesen zwischen esoterischen New-Age- und etwa auch aus Spielkonsolen gezogenen Trash-Sounds ankert, demonstrierte der US-Musiker mit dem programmatisch betitelten Album „NYC, Hell 3:00 AM“ zuletzt die Verdunkelung seiner Klangwelten. Postindustrielle Ruinensounds, Polizeisirenen, die ein Grundgefühl dystopischen Unbehagens evozieren, dazu Computerstimmen, die kapitalistische Lebenswelten verhandeln. Der ehemaligen Minoritenkirche stehen die kathedralischen Klänge, die Ferraro als Nährboden auslegt, gut – wenn die Musik selbst auch nicht zum Verweilen lädt, sondern ihren eigentümlichen Reiz in einer Begegnung entfaltet, die so flüchtig ist wie sie selbst. Im Konzert entsteht so ein entrückt-hypnotischer Sog, dem Auflösung wichtiger ist als Struktur. Erst später ins Spiel kommende „Beats“ sind entsprechend windschiefe, mit dem Häcksler errichtete Loops, die auf harte Schnitte vertrauen. Nach 45 Minuten ist der Auftritt vorbei und Ferraro verschwunden. Die Ästhetik ist hier alles, der Darbieter selbst nichts mehr wert. 


Zurück ins Licht 

Ehe Peaches die ihr an diesem Tag anheim gefallene Rolle der Publikumsmagnatin mit einer gewohnt exzessiven Performance erfüllt, erspielt sich aber auch Terre Thaemlitz alias DJ Sprinkles eine tanzfreudige Halle. Wir hören Deep House zwischen mächtigen Bassgrooves, subtropischen Beats und computergenerierten Klaviersolos – und das alles mit offenkundiger Unterhaltungsintention. Nach Stunden im schwärzesten Schwarz ist darüber auch das Publikum froh. Gar nicht schlecht, am Donaufestival auch einmal dem lichten Leben zu begegnen. 

(Wiener Zeitung, 3./4.5.2014)

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