Freitag, Mai 23, 2014

Eine traurige Sache

Der Sound von gar nicht einmal so 2014: Sam Smith veröffentlicht sein Debütalbum 

„When I signed my deal I felt pressure. Donʼt wanna see the numbers, I wanna see heaven. I donʼt have money on my mind, money on my mind. I do it for … I do it for the love.“ Und: „Please donʼt get me wrong, I wanna keep it moving. I know what that requires. Iʼm not foolish. Please, can you make this work for me?“ – ja, für die Verhältnisse eines Debütalbums geht es hier doch recht ungewohnt selbstreferenziell los. Und natürlich erstaunlich altruistisch, was Nebensächlichkeiten wie beispielsweise Geld betrifft. Man muss erst Interviews lesen, mit denen sich Sam Smith dann eh als Fan nicht zwingend unter Discounter-Verdacht stehender Bekleidungs- und Kofferketten wie Prada und Louis Vuitton bekennt. Im echten Leben nämlich hat der 22-Jährige ein zweites Standbein als Sohn. Frau Muttern, vormals hochdotierte Bankerin in der Finanzmetropole London, UK, sorgte als frühe Förderin höchstpersönlich dafür, dass Smith seiner gleichnamigen Single entsprechend weniger „Money on my mind“ haben muss und sich – it’s the Kunst, stupid! – stattdessen anschicken darf, uns Liebe zu bringen. 

Start als Gastsänger 

Wobei, Liebe. Sie wäre schön, findet aber nicht statt. Davon kündet bereits auch der Titel des nun also erscheinenden Erstlings „In The Lonely Hour“ (Capitol/Universal Music), mit dem Sam Smith endgültig durchstarten will. Karrieretechnisch stehen die Zeichen ja mindestens gut, seit der junge Mann mit der ausdrucksstarken, bevorzugt auf Falsett gebuchten Stimme als Gastsänger unter gleichfalls jungen Leuten beliebter britischer Acts wie Disclosure oder Naughty Boy an der Chartsspitze vorstellig wurde. Am Ende eines für Smith also sehr erfolgreichen Jahres 2013 stand schließlich eine Nominierung zum „BBC Sound Of 2014“-Poll, der unter heftigem Rascheln und Rauschen zwischen Blätterwald und Blogosphäre wieder einmal die Neuentdeckung der Folgesaison prognostizieren (und dabei natürlich gleich selbst mitgestalten) sollte. Zur Überraschung aller – und angesichts des mit einer Spielzeit von nur 32 Minuten gar nicht einmal so kurzweiligen Albums nun noch verwunderlicher – ging Smith am Ende sogar als Sieger hervor.

Dabei klingen die zehn Songs auch in ihrer Ausrichtung zwischen US-Südstaaten-Authentizität vermitteln wollendem Ergriffenheits-Gospel und Faserschmeichler-Soul, wie er einem George Michael in den 80er Jahren selbst „under the influence“ nicht als B-Seite passiert wäre, exakt überhaupt nicht nach 2014. Im Gegenteil. Sieht man vom dezenten elektronischen Zierrat von „Money On My Mind“ einmal ab, der potenzielle Kunden eventuell noch auf die falsche Fährte bringen und Sam Smith auch solo nahe am UK-Garage-geprägten Sound von Disclosure vermuten lassen könnte, fallen die Ergebnisse doch recht betulich, andächtig und – sagen wir es – langweilig aus. 

Mit seiner raunenden, flehenden oder winselnden Stimme ist Sam Smith aber zumindest insofern am Puls der Zeit, als es sich damit durchwegs gut jammern und leiden und klagen lässt. Es ist also gar nicht so unwahrscheinlich, dass der Mann in Österreich noch weltberühmt werden könnte. Wobei es für einen zusätzlichen Karriere-Boost über wurstgleiche Solidarisierungen seitens des Publikums oder ein bestimmtes „Aber! Nicht! Mit! Mir!“ für alle, die bei Humboldt gerade den Düringer machen, noch an den fehlenden Inhalten scheitern könnte. Sam „Wonʼt you stay with me? ʼCause youʼre all I need“ Smith beschränkt sich ganz auf die Liebe und ihre Diebe und die Terz mit dem Herz. Nur die Liebe quält und macht uns „aua“ im Herzen. Ja, „In The Lonely Hour“ ist letztlich eine doch recht traurige Sache. 

Es ist zu viel 

Wir hören müde Akkordzerlegungen, betulich angeschlagene Schlafzimmergitarren und mitunter auch Supermarkt-Streicher wie von James Last arrangiert, wenn dieser den Happy Sound einmal hinter sich lassen würde. „Leave Your Lover“ dockt – es hätte nicht sein müssen – mit „Yesterday“ wiederum kurz bei den Beatles an, während „Like I Can“  auf eine Ö3 und seine Hörerschaft nicht enttäuschen sollende Weise verhältnismäßig aus den Boxen poprockt. Dazu immer ein Greinen und Weinen und das in Smiths Stimme eingebrannte Selbstmitleid, das schon nach einer halben Stunde außer zu viel nur viel zu viel ist.

Ob die BBC-Super-Top-Listen-Checker nun gleichsam sehr traurig sind, ist übrigens nicht überliefert. Nach einem noch stärkeren Fehlgriff als im Vorjahr mit den eh netten Haim-Schwestern aus Kalifornien gäbe es jedenfalls einen handfesten Grund dafür. The sound of heul.


(Wiener Zeitung, 24./25.5.2014)

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