Dienstag, Mai 27, 2014

„Ooh-oooh-a-ooh-a-heeeyy!!!“

US-Sängerin Mariah Carey kehrt mit einem neuen Album ins Geschäft zurück 

Am Ende hat dieses bereits seit dem Jahr 2011 in Entstehung befindliche Album ganze 16 Produzenten verschlissen. Über das Budget für die Aufnahmesessions ist nichts bekannt. Aber auch die Tatsache, dass die erste Singleauskopplung „Triumphant (Get ʼEm)“ letztlich wegen akuter Erfolglosigkeit von der Tracklist gekippt wurde, demonstriert, warum man sich an Mariah Carey vor allem als Diva erinnert. Sofern man sich heute noch an sie erinnert. 

Nach einem kommerziellen Siegeszug im Zeichen weichgespült Soul- und R&B-induzierter Charts-Nummereinsen um von Whitney Houston beeinflusste Schmalzballaden wie „Hero“ in den 90er Jahren, einer späteren Modernisierung über durchaus brauchbare Bezüge zum Hip-Hop und wohldokumentierten Fahrten mit der Karriere-Achterbahn wurde der Comeback-Versuch auch von Careys mittelalterlicher Jungmutterschaft nicht zwingend beschleunigt. 

Wieder in die Hände gespuckt

Und eigentlich wäre eine Ruhepause im Alter von 44 oder 45 Jahren – über das exakte Geburtsjahr gibt es, Careys Rolle als Diva entsprechend, kein gesichertes Wissen – auch eingedenk der Leistungsbilanz nun zwar ebenso verdient wie von allen Beteiligten (denken wir nur an uns selbst!) selbstverständlich begrüßt.

Auch aufgrund der aktuellen Ertragschancen für Sparefrohs bei gleichzeitigem Fortlaufen der Erhaltungskosten für, sagen wir, kleinstadtgroße Popstar-Anwesen und den dort beschäftigen Personalstab sowie natürlich die erwähnten 16 Produzenten wird aktuell dann aber doch wieder in die Hände gespuckt. Vielleicht muss Mariah Carey am Ende sogar auf Tournee gehen wollen. Gottlob wird es womöglich irgendwann auch in Europa wieder Auftritte geben, weil nach Privatkonzerten für  Muammar al-Gaddafi (2008) oder Angolas mindestens umstrittenen Präsidenten Josè Eduardo dos Santos im Vorjahr aktuell noch kein Angebot aus Nordkorea vorliegt.

Ah ja, dafür also gibt es jetzt auch dieses neue Album. Den Titel „Me. I Am Mariah …“ – Beisatz: „The Elusive Chanteuse“ – erklärt die Protagonistin mit einem Sprechstück am Ende und einem im Alter von drei Jahren angefertigten Selbstporträt ihrer selbst am Backcover gleich doppelt. Das verdeutlicht den nostalgischen Charakter des Werks, dessen Songs in gewohnt melismatischer Vortragsweise („Ooh-oooh-a-ooh-a-heeeyy!!!“) wieder einmal über gebrochene Herzen sinnierend waidwund zersungen werden. Diesbezüglich könnte Mariah Carey noch etwas von ihren vergleichsweise zurückhaltend agierenden Kindern lernen, die ihren Dienst sanft im Hintergrund brabbelnd versehen. Weil Nachwuchs immer auch die Absicherung der eigenen Zukunft bedeutet, ging es für die Carey-Zwillinge vermutlich direkt vom Fashion-Shooting mit dem Celebrity-Magazin aus NYC in the US of A gleich ab ins Studio zu den Produzenten. 

Photoshop-Desaster 

Ja, man vergisst es gerne, woran die von leidendem Auweh-Gospel, auf Rihanna gebuchten Neo-R&B-Presets und organisch in die Disco verweisenden Midtempogrooves getragene Spielstunde zwischendurch immer wieder erinnert: Mariah Carey war vokal auch für eine Folgegeneration Aguilera verantwortlich, deren überemphatischer Ausdrucksgesang für schwer verdaulichen Popmainstream sorgte. Dieser aber zeitigte immerhin nicht nur in Sachen Kritikerprosa preisverdächtige Bezeichnungen wie jene der „Kampfkoloratur“.

Große Hits sind heute übrigens ebenso wenig auszumachen wie Komplettausfälle – sieht man vom George-Michael-Cover „One More Try“ oder der Fantasy-Ästhetik des Album-Artworks einmal ab, das zweifelsohne unter „Photoshop Disaster“ getaggt werden muss. Diesbezüglich kennt man sich auch in Nordkorea aus. Eine erste Brücke scheint gelegt. Wehe. 

Mariah Carey: Me. I Am Mariah... The Elusive Chanteuse (Universal)

(Wiener Zeitung, 28./29.5.2014)

Keine Kommentare: