Herzeleid statt
Weltumarmung: Coldplay und ihr neues Album „Ghost Stories“
Zweifelsohne
stand dieses Album nicht unter den besten Sternen. Einerseits durfte man sich
hörerseitig alleine schon insofern ein wenig vor der Rückkehr von Coldplay
fürchten, als man deren Vorgängerwerk „Mylo Xyloto“ noch über die Anbiederung
an Rihanna und die endgültige Ankunft im gleichzeitig glattgebügelten und dabei
überfrachteten Mainstreampop für Formatradiohörer in Erinnerung hatte. Andererseits
bekundete selbst Sänger und Mastermind Chris Martin zuletzt, des Songwritings
ein wenig überdrüssig geworden zu sein. Zwar ist es nicht mit Schwerstarbeit in
der metallverarbeitenden Industrie vergleichbar, was der Mann seit mittlerweile
vierzehn Jahren für seine Hörer und die Musikwirtschaft leistet. Allerdings
sollte man die berufliche Bürde nicht unterschätzen, die mit der Herstellung
von heulsusig verstimmtem Kuschelrock und euphorisch-weltumarmenden
Gute-Laune-Hymnen für singfreudige Fußballfanclubs einhergeht. Es gibt kein
Dazwischen in dieser glattest möglichen Musik der Extreme.
Gut anzuhören
Vor
allem aber rührte die Sorge um das nun unter dem Titel „Ghost Stories“ (Warner)
vorliegende Album daher, dass Chris Martin zuletzt mit der Verarbeitung einer
Trennung beschäftigt war und ihn die Suche nach etwas Halt gar in die
spirituell bis gesamtheitlich heilenden Hände eines Sufis treiben musste. Nach
dem Aus seiner mit zehn Jahren gar nicht so kurz bemessenen Ehe mit Gwyneth
Paltrow – die Verhältnisse eines sogenannten Celebrity Couples miteinbedacht –
ist der mittlerweile sechste Langspieler der Band folgerichtig auch eines jener
Verdauungswerke geworden, die das Publikum am eigenen Leid teilhaben lassen.
Wobei der Schmerz und das Traurigsein und ein entsprechendes Gefühl des
Bemitleidet-werden-Wollens bei Coldplay schon immer wichtig waren, verlässlich im
Song darauf – das nicht vorhandene Dazwischen! – aber umgekehrt wurden. Wo kein
Schatten, da kein Licht.
Dass
es diesmal nicht so recht zum Trost durch Euphorie und schlachtruftaugliche
Mitsingrefrains kommen will, die uns links zur Leuchtgirlande und rechts zum
Käsekrainer-Hot-Dog mit Ketchup greifen lassen, hat aber zweifelsohne sein
Gutes. In ihrer ungewohnt aufgeräumten Produktion, die luftzentriert-schwebende
Soundatmosphären mit sakralem Hall zeitigt und den Boden für Martins andächtig
vorgetragenes Kopfstimmenleid legt, klingen die Songs durchaus hübsch und vor
allem unaufdringlich wie selten zuvor. Ja, dieses Album ist kein Hit. Es ist,
trotz schöngeistiger Vocoder-Meditationen, die grundsätzlich von James Blake
beeinflusst sein könnten, oder dem einen um Radiohead Bescheid wissenden
Frickelbeat im mittleren Tempobereich aber keineswegs auch nur im Ansatz als
experimentell zu bezeichnen. Gott behüte! Dafür sind die Ergebnisse über weite
Strecken der knappen Spiel-Dreiviertelstunde schlicht ganz gut anzuhören.
Späte
Plattitüden
Mitunter
dauert es also etwas länger, bis sich Plattitüden wie die auf namenlosen
Straßen noch immer nichts finden könnenden U2-Gitarren einschleichen, um einen
Song Arrangement-technisch mit Zierrat zu „veredeln“. Auch lässt man sich Zeit,
zumindest an einer Stelle dann doch noch in alte Muster zurückzufallen. Das
zusätzlich zur U2-Gitarre flott elektronisch in Richtung Partyinsel Ibiza oder
RTL2-Werbeblock böllernde „A Sky Full Of Stars“ etwa wurde als nach Schema F
geschnitztes Erbauungsangebot an die vorletzte Stelle des Albums gereiht. Und
auch der manifeste Kitsch steht mit „O“, Chris Martins Fingerübung am Klavier,
diesmal erst ganz am Ende – von den entzwei gebrochenen Engelsflügeln in
Herzform am Cover und den Songtexten jetzt einmal abgesehen. Ein am Markt
bewährtes Produkt leidet unter allzu großer Veränderung ja nur. Die
Werbeindustrie und Coldplay wissen Bescheid: Alles andere wäre Avantgarde, Jazz
oder Wahnsinn.
Coldplay: Ghost
Stories (Warner)
(Wiener Zeitung, 16.5.2014)
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