Donnerstag, Mai 15, 2014

Es ist vorbei – bye, bye!

Herzeleid statt Weltumarmung: Coldplay und ihr neues Album „Ghost Stories“ 

Zweifelsohne stand dieses Album nicht unter den besten Sternen. Einerseits durfte man sich hörerseitig alleine schon insofern ein wenig vor der Rückkehr von Coldplay fürchten, als man deren Vorgängerwerk „Mylo Xyloto“ noch über die Anbiederung an Rihanna und die endgültige Ankunft im gleichzeitig glattgebügelten und dabei überfrachteten Mainstreampop für Formatradiohörer in Erinnerung hatte. Andererseits bekundete selbst Sänger und Mastermind Chris Martin zuletzt, des Songwritings ein wenig überdrüssig geworden zu sein. Zwar ist es nicht mit Schwerstarbeit in der metallverarbeitenden Industrie vergleichbar, was der Mann seit mittlerweile vierzehn Jahren für seine Hörer und die Musikwirtschaft leistet. Allerdings sollte man die berufliche Bürde nicht unterschätzen, die mit der Herstellung von heulsusig verstimmtem Kuschelrock und euphorisch-weltumarmenden Gute-Laune-Hymnen für singfreudige Fußballfanclubs einhergeht. Es gibt kein Dazwischen in dieser glattest möglichen Musik der Extreme. 

Gut anzuhören 

Vor allem aber rührte die Sorge um das nun unter dem Titel „Ghost Stories“ (Warner) vorliegende Album daher, dass Chris Martin zuletzt mit der Verarbeitung einer Trennung beschäftigt war und ihn die Suche nach etwas Halt gar in die spirituell bis gesamtheitlich heilenden Hände eines Sufis treiben musste. Nach dem Aus seiner mit zehn Jahren gar nicht so kurz bemessenen Ehe mit Gwyneth Paltrow – die Verhältnisse eines sogenannten Celebrity Couples miteinbedacht – ist der mittlerweile sechste Langspieler der Band folgerichtig auch eines jener Verdauungswerke geworden, die das Publikum am eigenen Leid teilhaben lassen. Wobei der Schmerz und das Traurigsein und ein entsprechendes Gefühl des Bemitleidet-werden-Wollens bei Coldplay schon immer wichtig waren, verlässlich im Song darauf – das nicht vorhandene Dazwischen! – aber umgekehrt wurden. Wo kein Schatten, da kein Licht.

Dass es diesmal nicht so recht zum Trost durch Euphorie und schlachtruftaugliche Mitsingrefrains kommen will, die uns links zur Leuchtgirlande und rechts zum Käsekrainer-Hot-Dog mit Ketchup greifen lassen, hat aber zweifelsohne sein Gutes. In ihrer ungewohnt aufgeräumten Produktion, die luftzentriert-schwebende Soundatmosphären mit sakralem Hall zeitigt und den Boden für Martins andächtig vorgetragenes Kopfstimmenleid legt, klingen die Songs durchaus hübsch und vor allem unaufdringlich wie selten zuvor. Ja, dieses Album ist kein Hit. Es ist, trotz schöngeistiger Vocoder-Meditationen, die grundsätzlich von James Blake beeinflusst sein könnten, oder dem einen um Radiohead Bescheid wissenden Frickelbeat im mittleren Tempobereich aber keineswegs auch nur im Ansatz als experimentell zu bezeichnen. Gott behüte! Dafür sind die Ergebnisse über weite Strecken der knappen Spiel-Dreiviertelstunde schlicht ganz gut anzuhören. 

Späte Plattitüden 

Mitunter dauert es also etwas länger, bis sich Plattitüden wie die auf namenlosen Straßen noch immer nichts finden könnenden U2-Gitarren einschleichen, um einen Song Arrangement-technisch mit Zierrat zu „veredeln“. Auch lässt man sich Zeit, zumindest an einer Stelle dann doch noch in alte Muster zurückzufallen. Das zusätzlich zur U2-Gitarre flott elektronisch in Richtung Partyinsel Ibiza oder RTL2-Werbeblock böllernde „A Sky Full Of Stars“ etwa wurde als nach Schema F geschnitztes Erbauungsangebot an die vorletzte Stelle des Albums gereiht. Und auch der manifeste Kitsch steht mit „O“, Chris Martins Fingerübung am Klavier, diesmal erst ganz am Ende – von den entzwei gebrochenen Engelsflügeln in Herzform am Cover und den Songtexten jetzt einmal abgesehen. Ein am Markt bewährtes Produkt leidet unter allzu großer Veränderung ja nur. Die Werbeindustrie und Coldplay wissen Bescheid: Alles andere wäre Avantgarde, Jazz oder Wahnsinn.

Coldplay: Ghost Stories (Warner) 

(Wiener Zeitung, 16.5.2014) 

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